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„Das Virus ist heimtückisch“

Der Frankfurter Virologe Martin Stürmer ist selbst an Covid-19 erkrankt und hat teilweise seinen Geschmacks- und 
Geruchssinn verloren. Er warnt: „Ich kann nur jedem empfehlen, das Virus nicht zu bekommen.“
TAGESZEITUNG Online: Herr Dr. Stürmer, Sie sind Virologe und haben sich selbst mit dem Coronavirus infiziert. Wie haben Sie die Krankheit erlebt?
Martin Stürmer: Das stimmt. Angesteckt habe ich mich wohl im Skiurlaub mit meiner Familie in Sölden (Tirol). Das war Mitte März. Heute kann ich sagen, ich habe die Erkrankung in drei Phasen erlebt: Am Anfang war es emotional so, dass ich mir dachte: „Na gut, jetzt bin ich positiv. Das werden wir schon hinter uns kriegen. Dann müssen wir uns keine Gedanken mehr darüber machen.“ Wir, also auch meine Frau und mein Sohn, hatten milde Verläufe. Bei mir waren es Rückenschmerzen, die sich von der Niere bis zur Körpermitte hochgezogen haben. 
Also eher untypische Symptome…
Ja, als dann die Schmerzen an einem Tag so schlimm waren, dass ich nicht mehr wusste, ob ich stehen, sitzen oder liegen soll, kam dann der Augenblick, wo ich mir dachte, hoffentlich geht das nicht schief. Hoffentlich muss ich nicht ins Krankenhaus. Ich bin jetzt doch über 50, habe Bluthochdruck, bin also einem größeren Risiko ausgesetzt. Das war ein unschönes Gefühl in dem Moment. Dann gingen die Schmerzen aber doch schnell wieder weg. Zuerst dachte ich, dass ich alles gut überstanden habe, doch dann habe ich meinen Geschmacks- und Geruchssinn verloren. Mein Geschmack und Geruch war wirklich komplett weg, ich konnte nichts mehr riechen und schmecken. Und ich habe den Eindruck, dass er immer noch nicht vollständig wiederhergestellt ist. Ich kann nicht mehr so riechen und schmecken wie davor. Die Qualität ist nicht mehr die gleiche. 
Könnte das dauerhaft bestehen bleiben?
Ja, möglicherweise bleibt das eine Spät- und Dauerfolge der Erkrankung. Man liest auch in Berichten, dass Patienten, die einen schweren Verlauf hatten, definitiv Folgeschäden an der Lunge haben werden. Ich hatte jetzt keinen schweren Verlauf, dennoch macht man sich Gedanken, ob nicht doch etwas hängen geblieben ist. Denn das Virus kann ja diverse Organe befallen, unter anderem die Niere, die Leber, das Gehirn, das Herz, natürlich die Lunge -und wir wissen nicht, was das Virus über einen längeren Zeitraum hinweg mit uns anstellt. Zu wenig ist bislang noch erforscht.
Deshalb warnen Sie auch davor, nicht zu leichtsinnig mit dem Coronavirus umzugehen…
Ja, niemand sollte das Virus auf die leichte Schulter nehmen und denken: „Mir passiert sowieso nichts, wenn ich mich anstecke. Nach ein paar Wochen kann ich eh wieder alles tun, was ich vorher gemacht habe. Ich habe keine Probleme mehr.“ Ich kann nur jedem empfehlen, das Virus nicht zu bekommen. Das ist die Lehre, die ich daraus gezogen habe. Bei einem Virus, das man erst seit kurzer Zeit kennt, sollte man sehr vorsichtig sein. Das ist nicht einfach nur ein normaler grippaler Infekt, den man einfach so wegsteckt. Es können langfristige Schäden zurückbleiben. Man kann nicht oft genug sagen: Leute überlegt euch das gut. Wir wissen nicht genau, was da noch nachkommt. 
Was sagen Sie dann eigentlich dazu, dass Länder wie Österreich sich nun entschieden haben, die Maskenpflicht ab Mitte Juni größtenteils abzuschaffen?
Im Handel, in Schulen, als Gast im Restaurant oder Cafés und im Tourismus muss man künftig keine Maske mehr tragen…
Grundsätzlich halte ich das Tragen einer Maske für wichtig und sinnvoll. Gerade in geschlossenen Räumen ist neben der Abstandsregelung die Maske ein guter Schutz gegen eine Ansteckung mit dem Coronavirus. Denn sie ist geeignet Tröpfchen und in gewissem Maße auch Aerosole zurückzuhalten. Die Gefahr sich anzustecken geht damit nicht auf null, aber ein Infizierter hat damit weniger Chancen andere zu infizieren. Und wir wissen auch aktuell noch zu wenig über die Dunkelziffer Bescheid, das heißt, wie viele Menschen sind Virusträger bzw. – überträger, die nichts von ihrer Infektion wissen. Es gibt viele Studien- und Fallberichte, die zeigen, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Menschen asymptomatisch ist. Sie zeigen keine Symptome, können aber andere anstecken – und das unbemerkt. Das darf man nicht unterschätzen. Das Virus ist sehr heimtückisch. Durch einen Mundschutz werden sie aber daran gehindert, das Virus zu verbreiten. Ich würde also ungern sehen, dass die Maskenpflicht jetzt wieder abgeschafft wird. 
Sie sind also auch weiterhin für eine Maskenpflicht…
Österreich hat zwar niedrige Fallzahlen, allerdings werden ja auch die Grenzen wieder geöffnet, sodass möglicherweise das Virus im Rahmen des Tourismus wieder ins Land kommen könnte. Das mag dann gefährlicher sein, wenn man im Land auf die Maskenpflicht verzichtet, aber Menschen ins Land lässt, wo wir möglicherweise eine höhere Infektionslast haben. Es werden viel mehr Menschen unterwegs sein. Daher halte ich die Abkehr von der Maskenpflicht aus diesem Grunde auch für verfrüht.
Auch hier in Südtirol will man die Maskenpflicht nach österreichischem Vorbild lockern. Was sagen Sie dazu? Ist das jetzt auch zu früh?
Für Südtirol gilt Ähnliches wie für Österreich. Es gibt wenig bekannte Fälle und wir haben das Problem der unbekannten Dunkelziffer. Man weiß nicht, wie viele tatsächlich infiziert sind. Gleichzeitig werden bald vollumfänglich die Grenzen geöffnet und viele Touristen strömen in das Land. Deshalb halte ich es auch in Südtirol für verfrüht, jetzt von der Maskenpflicht abzukehren. 
Wie lange wird oder sollte uns der Mundschutz dann noch begleiten? 
Das ist schwer abzuschätzen. Ich denke, dass wir vor dem Impfstoff und der breiten Verwendung des Impfstoffs nicht zur gewohnten Normalität zurückkehren können. Das wird frühestens im Frühjahr 2021 sein. Ich denke, dass wir lernen müssen, mit dem Mundschutz zu leben – zumindest bis es einen gut verträglichen Impfstoff gibt. Ich weiß, dass dies ungewohnt für uns ist, aber damit können wir die Ansteckungsgefahr minimieren. In asiatischen Ländern zum Beispiel ist es üblich, dass man einen Mundschutz trägt, um andere Menschen nicht anzustecken. 
Am Anfang der Pandemie hat man immer wieder gehört, dass die warmen Temperaturen das Virus in seiner Verbreitung eindämmen. Wird der Sommer das Virus abbremsen bzw. abschwächen?
Also abbremsen und abschwächen auf jeden Fall, aber nicht in der Form, dass sich die Pandemie tot läuft. Es gibt einige Aspekte, die dafür sorgen werden, dass sich das Virus nicht so stark ausbreitet: Unsere Schleimhäute sind derzeit nicht so empfindlich, es gibt nicht noch weitere Erkältungskrankheiten, die uns zusätzlich schwächen würden, die Tröpfchen verhalten sich bei warmen Temperaturen anders als bei kalten und wir halten uns generell mehr im Freien auf. Aber wie gesagt, wenn man sich die Situation in Indien, Brasilien oder Iran ansieht, wo es derzeit heftige Ausbrüche gibt, ist zu befürchten, dass SARS-Cov-2 nicht ganz so temperaturempfindlich ist, wie andere Erreger. Denn hier handelt es sich nicht um Länder, in denen es besonders kalt ist. 
Rechnen Sie mit einer zweiten Corona-Welle?
Ich sage es mal so: Wenn sich sehr viele Menschen weiterhin an die Corona-Maßnahmen halten, sprich Mundschutz tragen, Abstand halten und auf die Hygienemaßnahmen achten, gibt man dem Virus möglichst wenig Potenzial, sich zu verbreiten. Dann sehe ich auch die Chance, dass es zu einer zweiten Welle kommt, für gering. Das größte Problem sehe ich darin, wenn es wieder kleine Ausbrüche gibt und diese zu lange unerkannt bleiben. Denn da ist die Gefahr groß, dass es aus dem Ruder läuft.
Abschließend möchte ich jetzt noch gerne auf eine Aussage von Ihnen zurückkommen. Sie haben gesagt: Covid-19 ist heimtückisch. Können Sie erklären, was Sie damit meinen?
Ja, ich möchte damit sagen, dass das Virus anders ist und wir es nicht unterschätzen sollten. Zuerst einmal haben wir eine relativ lange Inkubationszeit von 14 Tagen. Dann haben wir – wie bereits erwähnt – diese asymptomatischen Fälle. Menschen, die überhaupt nicht wissen, dass sie infiziert sind, aber andere anstecken können. Und bei jenen, die später krank werden, ist auch eine Verbreitung schon vor Ausbruch der Symptome möglich. Das war beim ersten SARS-Virus 2002/2003 anders. Da war das Virus erst dann übertragbar, wenn die Patienten krank waren. Das macht es insgesamt sehr schwierig, das Virus in seiner Ausbreitung zu kontrollieren.
Interview: Eva Maria Gapp
Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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