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„Die Spitze ist erreicht“

WIFO-Direktor Georg Lun rechnet nach dem Erreichen der Rekordinflation im Dezember mit einem Absinken der Preise. Das Interview. 

Tageszeitung: Herr Lun, Südtirol hat im Dezember eine Rekordinflation von 12,5 Prozent erreicht, die Rohstoffpreise sind aktuell allerdings rückläufig. Ist die Spitze nun erreicht?

Georg Lun: Wenn man die Inflationsentwicklung in den einzelnen Ländern in Europa anschaut, dann ist die Spitze erreicht, in den meisten Ländern war ein leichter Inflationsrückgang festzustellen, das Inflationsniveau bleibt allerdings hoch. Für Südtirol ist die Inflation tendenziell immer etwas höher. Das hat insbesondere mit der besonderen Lage zu tun. Wir haben sehr viel Tourismus und eine verhältnismäßig gute Konjunktur. Das führt dazu, dass die Preissteigerungen leicht höher sind als im restlichen Italien.

Man kann also davon ausgehen, dass die Inflationsrate in Südtirol nun sinken wird?

Wir gehen schon davon aus, dass es keine weitere Steigerung gibt. Wir sehen ja auch, dass die Energiepreise, die Rohölpreise und die Gaspreise zurückgegangen sind. Viele Indikatoren zeigen also in die Richtung, dass sich die Inflation leicht zurückentwickelt, das Niveau wird aber auch 2023 hoch bleiben.

Wie groß wird diese Reduktion sein?

Das ist schwer einzuschätzen, ich traue mich nicht, auf Jahresbasis eine Zahl zu nennen, ich gehe aber davon aus, dass wir die Zehn-Prozent-Marke unterschreiten werden. Eine starke Entlastung erwarte ich mir also nicht, aber zumindest dürfte es leicht besser werden.

Die Wirtschaft hat sich 2022 in vielen Sektoren gut erholt. Vor allem der Tourismus hat sich gut erholt. Wie steht Südtirol wirtschaftlich dar?

Das vergangene Jahr wurde wirtschaftlich erstaunlich gut abgeschlossen. Auch im vierten Quartal war die Entwicklung besser als erwartet. Das gilt vor allem für den Tourismus, aber auch für das verarbeitende Gewerbe. Die Rohstoffpreise drücken aber auf die Erwartungen für das heurige Jahr. Die Stimmung ist bei den Unternehmen, aber auch bei den Konsumenten, für 2023 schlecht. Im Herbst war das Konsumklima so tief wie lange nicht mehr. Ob das aber tatsächlich eintritt, ist eine andere Frage. Wenn sich die Rohstoffpreise am Markt wieder beruhigen, ist davon auszugehen, dass die Krise nicht so eintritt, wie befürchtet.

Einige Wirtschaftsinstitute haben sogar eine Rezession für möglich gehalten. Kann das nun ausgeschlossen werden?

Wir haben bereits im Herbst ein Wachstum von 0,5 Prozent für das heurige Jahr prognostiziert, das würde ich auf jeden Fall bestätigen, tendenziell wird es sogar noch höher. Der Blick in die Zukunft ist also optimistischer als noch vor einigen Monaten.

Wie werden sich die steigenden Zinsen auf Südtirols Wirtschaft auswirken?

Speziell für das Handwerk wird das eine Herausforderung darstellen, das Bauen wird durch die Steigerung der Zinsen für Kredite, für Privatpersonen nämlich schwieriger. Das kann dazu führen, dass sich die Baukonjunktur etwas abschwächt. Die Konjunktur war in den letzten Jahren aufgrund verschiedener Rahmenbedingungen wie den 110-Prozent-Bonus aber so gut wie lange nicht mehr. Die Bauwirtschaft normalisiert sich also nur.

Nicht nur die Preise, sondern auch die Löhne sind in Südtirol ein Problem. Der Ruf nach Erhöhungen wird immer lauter…

Wir sind als Teil von Italien an die Entwicklung der nationalen Löhne gekoppelt. In Italien sind diese in den letzten Jahren minimal angestiegen. Real gesehen sind die Löhne mehr oder weniger konstant geblieben. In unseren Nachbarländern Österreich und vor allem in Deutschland hat es in diesem Zeitraum einen Anstieg gegeben. Die Unterschiede zwischen Deutschland und Italien sind dementsprechend sehr hoch. Für Regionen, die in der Mitte von Italien liegen, ist das kein Problem. Der kulturelle und geografische Abstand ist so groß, dass der Brain-Drain, also die Abwanderung von qualifiziertem Personal, keine Gefahr darstellt. In Südtirol ist das anders. Der deutsche Arbeitsmarkt ist eine Konkurrenz, entsprechend sind die Löhne ein großes Problem.

Eine Erhöhung der Lähne ist also unumgänglich. Können sich die Betriebe das aber leisten?

Das ist die Zwickmühle, in der sich die Südtiroler Wirtschaft befindet. Lohnerhöhungen müssen irgendwie auch finanziert werden. Entscheidend ist aber auch, dass unsere Unternehmen konkurrenzfähig, also ihre Produktivität verbessern. Es ist gemeinsame Aufgabe der Unternehmen und der Wirtschaftspolitik, diese Konkurrenzfähigkeit zu sichern und dafür zu sorgen, dass die entsprechend hohen Löhne gezahlt werden können.

Kommt die Politik dieser Aufgabe ausreichend nach?

Die Politik ist seit Jahren bestrebt, die Innovation zu fördern. Als Beispiel ist hier der NOI Tech-Park zu nennen. Die Initiativen sind sehr wertvoll, da es gerade in diesen Bereichen in Zukunft ein Wachstum geben wird. Die Sektorenstruktur ist in Südtirol aber relativ traditionell. Bestimmte Sektoren kommen deshalb künftig eher unter Druck.

Ein weiteres Problem ist der Arbeitermangel. Wie wird sich dieser in den nächsten Monaten entwickeln?

Das ist für die nächsten Jahre und Jahrzehnte eine Herausforderung, weil mehr Menschen in  Pension gehen als junge nachkommen. Entsprechend haben wir zu wenig Menschen für die aktuellen Stellen: Die Unternehmen müssen also mit höheren Löhnen Personen von außen zu holen und die Zuwanderung zu erleichtern oder Stellen rationalisieren. Wo es Möglichkeiten gibt, ist es rentabel, Arbeitsplätze durch Maschinen zu ersetzen. Das ist ein internationaler Trend, der auch in Südtirol notwendig sein wird, um dem Personalmangel zu begegnen. In vielen Dienstleistungsbereichen ist das allerdings nicht möglich. Eine Pflegekraft kann nicht durch einen Roboter ersetzt werden. Dort wird die Herausforderung also noch größer.

Die einzige Möglichkeit im Dienstleistungssektor bleibt also die Zuwanderung?

Ja, wir stehen hier aber in direkter Konkurrenz mit allen anderen Ländern in Europa. Wenn man sieht, wie Österreich die Rot-Weiß-Rot-Karte einführt und Deutschland die Zuwanderung fördert, muss sich auch Südtirol überlegen, wie man qualifizierter und motivierte Arbeiter von außen holen kann. Hier spielen Löhne, aber auch andere Dinge, wie Wohnen, internationale Schule und viele weitere Aspekte eine Rolle. Mit der neuen Initiative „Work in Südtirol“ versucht auch die Handelskammer hier unterstützend tätig zu werden.

Südtirol hat also im Vergleich mit den Nachbarn also einen schweren Stand?

Die Herausforderung ist, dass Südtirol keine Metropole ist, wir haben aber drei große Metropolen mit Mailand, Zürich und München die nicht sehr weit von Südtirol entfernt liegen. Diese Metropolen haben andere Möglichkeiten und wirken auf das Umland wie ein Magnet. Mit München werden wir in dieser Hinsicht also nie konkurrieren können, wir dürfen aber nicht zu stark zurückfallen, müssen unser Niveau hochhalten und unsere Vorteile ausspielen. Gerade dort, wo wir gute Chancen haben, müssen wir uns gut aufstellen. Es gibt in Südtirol gar einige „Hidden Champions“ die in ihrer Nische auch auf dem Weltmarkt mitspielen können. Auf diese Unternehmen können wir setzen.

Ganz allgemein wird also auch das Jahr 2023 voraussichtlich aus wirtschaftlicher Sicht schwierig?

Es gibt für die Unternehmen aktuell zwar viele Herausforderung, aber die Wirtschaft wird nicht einbrechen. Die Rahmenbedingungen sind so, dass die Märkte weiter funktionieren und Aufträge reinkommen werden. Wir können also durchaus mit Zuversicht auf die nächsten Monate blicken.

Interview: Markus Rufin

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (2)

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  • gulli

    Die Preise werden nicht sinken, das war noch nie der Fall. Wenn überhaupt nur minimal, den Mehrgewinn sacken sich andere ein!

  • klum

    Mit Februar müsste die Inflation eigentlich auf 3 bis 4 Prozent zurück gehen.
    Warum? Weil mit dem Vergleichsmonat Februar 2022 keine weiteren Preissteigerungen auch nur irgendwie nachvollziehbar wären. Alle Rohstoffpreise sinken seit Wochen und sogar Monaten.

    Wenn die Inflation hoch bleibt, sacken das Wirtschaftshaie und Spekulanten ein.

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