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Gewalt im Schlaf

Fatima Zeeshan mit ihrem Mann Mustafa

Im Prozess zum Mord an Fatima Zeeshan zeigen sich Gutachter-Einseitigkeiten. Wird das Gutachten zu Schlafstörungen ihres Mannes nun ausgedehnt?

von Thomas Vikoler

Mustafa Zeeshan, der nunmehrige Angeklagte, wackelt leicht mit den Beinen. Er ist zu sehen auf einem im Gerichtssaal abgespielten Video, das im Rahmen eines Gerichtsgutachtens in einem Schlaflabor aufgenommen wurde. Videos von anderen Probanden zeigen ein Bein-Stoßen, aber keine gewaltsamen Handlungen.

Das hat wohl auch damit zu tun, dass die Videos während der sogenannten REM-Phase, also im Tiefschlaf, wenn sich die Augen rascher bewegen als sonst, aufgenommen wurden.

Mustafa Zeeshan, 41, hat seine Ehefrau Fatima in der Nacht auf den 30. Jänner 2020 in der gemeinsamen Wohnung in Vierschach zu Tode geprügelt und steht nun wegen Mordes vor Gericht.

Die ursprüngliche Hypothese, dass Zeeshan seine Frau während einer REM-Phase ermordet hat, ist im Hauptverfahren seit gestern mehr oder weniger vom Tisch. Das Schwurgericht unter Vorsitz von Carlo Busato musste feststellen, dass die vom Voruntersuchungsrichter beauftragten Gutachter das Thema Schlafstörung „einseitig“ angegangen sind, nämlich allein auf einen Gewaltausbruch während der REM-Phase fixiert. Dabei ist bekannt, dass in dieser der Muskelapparat eher erstarrt als sich enthemmt.

Das Mordopfer Fatima Zeeshan

Ausgerechnet der Sachverständige der Anklage weist die Geschworenen darauf hin, dass es auch Schlafstörungen während der Nicht-REM-Phase (NREM) gibt – und die können zuweilen besonders gewaltsam ausfallen.

Fedrico Fava, der Verteidiger Zeeshans, hinterlegt eine Studie, der zufolge es von 1879 bis zum Erstellungsdatum im Jahre 2010 weltweit 28 im Schlaf verübte Morde gegeben hat. 27 davon in der NREM-Phase. Die Studie nennt sich „Violence in sleep“, einer der Mit-Autoren, Lino Nobili, ist Sachverständiger der Verteidigung.

Diese will auf einer der nächsten Verhandlungen den Antrag stellen, das Gerichtsgutachten auf die sogenannte Parasomnie, der einige Dutzend Schlafstörungen zugerechnet werden, auszuweiten. „Bevor jemand zu lebenslänglicher Haft verurteilt wird, sollte man untersuchen, ob dieses Phänomen auf den Angeklagten zutrifft“, findet Verteidiger Fava.

Sollte das Gericht eine Untersuchung anordnen, wäre diese nicht einfach durchzuführen, zumal es zu klären gilt, ob Zeeshan, vor dem Mord bereits an einer Schlafstörung mit Gewaltausbrüchen litt. Da müsste man seine Eltern und Geschwister befragen. Im Bozner Gefängnis, wo der Pizzabäcker in U-Haft einsitzt, waren bisher von Zellennachbarn keine auffälligen Verhaltensweisen im Schlaf gemeldet worden.

Die Schlaf-Angelegenheit bleibt verwirrend und es ist eher unwahrscheinlich, dass Zeeshan einer lebenslänglichen Haftstrafe entgehen kann.

Die nächste Verhandlung findet am 6. Dezember mit der Anhörung weiterer Gutachter statt.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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