Du befindest dich hier: Home » News » „Fass voll und Frau betrunken“

„Fass voll und Frau betrunken“

Der langjährige SVP-Parlamentarier Karl Zeller spricht sich gegen die Blockfreiheit aus: „Nur mit einem Programm mit der Regierung bist du in Rom erfolgreich.“

Tageszeitung: Herr Zeller, wie bewerten Sie die neue Durchführungsbestimmung?

Karl Zeller: Grundsätzlich ist jede neue Durchführungsbestimmung positiv zu bewerten. Mit dieser Durchführungsbestimmung wird die Zusammenarbeit zwischen der Landesverwaltung und dem Rechnungshof verstärkt, indem bereits im Vorfeld bestimmte Unsicherheiten aus dem Weg geräumt und gegenseitig Informationen ausgetauscht werden, um Streitfälle zu verhindern. Bislang war es so, dass der Rechnungshof immer erst im Nachhinein mit seinen Beanstandungen gekommen ist. Durch die Entsendung von zwei Richtern, wie es in anderen Regionen schon praktiziert wird, kann die Landesverwaltung die eigene Sichtweise beim Rechnungshof miteinbringen. Das ist in Südtirol besonders wichtig, weil viele Richter von außen kommen und unser System nicht kennen.

Sie sehen nicht die Gefahr, dass der Landtag durch die Entsendung von Richtern in die Judikative eingreift?

Nein, es geht hier um die Kontrollsektion des Rechnungshofs, die kein rechtsprechendes Organ ist. Somit liegt keine Inkompatibilität vor. Darüber hinaus handelt es sich um ein Kollegialorgan, bei dem die vom Landtag entsandten Richter in der Minderheit sind. Die Durchführungsbestimmung zielt vor allem darauf ab, die Beamten, die bei einem Fehlverhalten mit dem eigenen Vermögen haften, zu schützen. Sie können sich künftig schon im Vorfeld Ratschläge von der Kontrollsektion einholen, um unnötige Streitfälle zu vermeiden. Der Dialog ist hier sehr wichtig.

Die Fraktionen im Landtag geben aus Angst vor dem strengen Rechnungshof nur noch einen Bruchteil der zur Verfügung stehenden Gelder aus …

Daran wird sich auch in Zukunft nicht viel ändern. Die Durchführungsbestimmung kann aber dazu beitragen, präventiv Auskunft über die Ordnungsmäßigkeit von bestimmten Ausgaben einzuholen, um Rechtstreitigkeiten zu verhindern. Ich habe zuletzt die SVP-Fraktion erfolgreich vor Gericht vertreten, als es darum ging, ob die Ausgaben für das Coaching rechtmäßig waren. Das Präventivkontrollrecht des Rechnungshofs wurde richtigerweise Ende der 1990er Jahre abgeschafft. Was es jetzt bräuchte, wäre ein fakultatives Auskunftsrecht bei haarigen Angelegenheiten. Wenn ein Beamter die Möglichkeit hat, binnen 30 Tagen Auskunft beim Rechnungshof einzuholen, kann er danach nicht wegen schweren Verschuldens verurteilt werden. Das ist aber noch Zukunftsmusik. Eine solche Änderung ist nicht mit Durchführungsbestimmung zu machen, sondern es bräuchte dafür eine Gesetzesanpassung.

Die Durchführungsbestimmung zum Rechnungshof ist die bislang einzige, die Südtirol unter Ministerpräsident Mario Draghi erzielt hat. Warum geht es in Rom so schleppend voran?

Sicher spielten in der Pandemie andere Themen eine wichtigere Rolle. Das ist aber nicht der alleinige Grund. In der vergangenen Legislaturperiode ist es mir im Zusammenspiel mit dem Landeshauptmann und den anderen Parlamentariern gelungen, 20 Durchführungsbestimmungen zu erarbeiten. Ausschlaggebend dafür war das Programm, das wir mit der Regierung ausverhandelt haben. Diesen Weg wollte man in dieser Legislatur nicht mehr einschlagen.

Weil man sich für die Blockfreiheit entschieden hat?

Blockfreiheit heißt, dass man weniger politische Verantwortung hat. Ohne Programm kann man auch keine Gegenleistungen von der Regierung einfordern. In meinen 25 Jahren im Parlament hatten wir fast immer ein Programm mit der Regierung und konnten dementsprechende Erfolge einfahren. Unter den Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi und Mario Draghi gab es kein Programm, weshalb wir auch nichts durchsetzen konnten. Besonders erfolgreich waren wir unter Romano Prodi, Pier Luigi Bersani, Enrico Letta, Matteo Renzi und Paolo Gentiloni. Mit der 5-Sterne-Bewegung wollte die SVP kein Programm machen. Doch wenn du in Rom nichts gibst, wirst du auch nichts bekommen.

Die Diskussion über die Blockfreiheit wird mit Sicherheit auch vor den nächsten Parlamentswahlen die SVP-interne Debatte bestimmen?

Ja, sicher, aber daran werde ich mich nicht beteiligen, weil ich mich um kein Parteiamt mehr bewerbe. Ich stelle lediglich fest, dass uns in meinen 25 Jahren im Parlament 80 Durchführungsbestimmungen gelungen sind. Das zeigt, dass der Kurs nicht so falsch war. Wenn dieser Kurs jetzt nicht mehr gewünscht wird, dann nehme ich das zur Kenntnis. Man darf sich dann aber auch keine großen Durchführungsbestimmungen erwarten. In Italien sagt man: „Non si può avere la botte piena e la moglie ubriaca.” Technische Anpassungen wie etwa jene zu den Volkszählungen können auch ohne Programm erreicht werden, die großen Durchführungsbestimmungen aber nicht, weil man dafür zu wenig politische Kraft hat. In den Jahren 2019 bis Anfang 2021 hätten wir die Chance gehabt, besonders erfolgreich zu sein, weil die Regierung auf unsere Stimmen angewiesen war. Diese Chance haben wir verstreichen lassen.

Interview: Matthias Kofler

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (1)

Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen

  • artimar

    Gibt es nach eigenen Angaben und Aussagen der derzeitigen SVP-Parlamentarier-innen in Rom eigentlich noch eine Interessensvertretung und Verantwortung für Südtirol?
    Südtirol wäre jedenfalls gut beraten (gewesen), die fachlichen, aber auch seine strategischen Kompetenzen des Zeller exklusiv für Autonomie-Agenden und Landesinteressen in Rom (koordinierend) einzusetzen.
    So haben haben wir zu unserem Leidwesen und Nachteil den Zeller bei PPPs und in der SVP.

Kommentar abgeben

Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.

2024 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen