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„Südtirol braucht ein progressives Milieu“

Hannes Götsch: Es geht in erster Linie auch um Selbstermächtigung der Bevölkerung, das Zulassen, positives Denken und Abbau von Neid als Blockade.

Hannes Götsch ist Gründungsmitglied des Gründer- und Innovationszentrums BASIS Vinschgau und macht sich Gedanken, wie die Südtiroler Kreativen, die Kunst- und Kulturschaffenden ihre Interessen effizienter vertreten können.

Tageszeitung: Herr Götsch, beim Webinar „Live Performing Artists“ von vergangener Woche wurde über  die Gründung einer Bewegung/Vereinigung/Fachgruppe der Kreativwirtschaft geredet. Mit welchem Ergebnis?

Hannes Götsch:  Dieser Wirtschaftsbereich hat viele Unterkategorien und Nischen. Es sind meist Freiberufler oder sehr kleine bis mittlere Unternehmensgrößen und deren Arbeitsleistung wird von anderen Marktteilnehmern oft nur punktuell abgerufen. Kreativprozesse sind aber in absolut jeder Branche notwendig, um zu innovieren bzw. diversifizieren. Es geht jetzt darum, die Akteure eine Stufe tiefer zu sondieren, als es bis jetzt geschehen ist. Im Frühjahr nächsten Jahres werden wir dann mit den bestehenden Netzwerkpartnern entscheiden, wie wir weiter fortfahren. BASIS Vinschgau Venosta arbeitet mit dem Verein Weigh Station, der IDM, UniBZ, Eurac und verschiedenen Unternehmen bereits seit 2 Jahren an der Stärkung dieses Sektors. Nun kommt mit der Covid19 Krise und der Initiative „Live Performing Artists“ von Manfred Schweigkofler neuer Schwung in die Bude.

Kreativwirtschaft umfasst von Kunst, Literatur, Design, Musik, Software, Film, Schauspiel, Werbung bis hin zu Handwerk ziemlich viele und sehr unterschiedliche Branchen. Welches gemeinsames Interesse verbindet sie?

Ja, es fehlen für die Südtiroler Definition noch Software & Spiele, Architektur, Radio, Presse und beim Handwerk ist Kunsthandwerk die richtige Zuordnung. Das Handwerk ist mit dem LVH bereits sehr gut organisiert und investiert stark in neue Themen, F&I und hat eine wirksame Lobby. Es verbindet sie der gemeinsame schöpferische Akt in der Ausführung ihrer Tätigkeit und der Bedarf einer Stimme im politischen und wirtschaftlichen System, da ihre Leistungen sonst oft einseitig ausgenutzt und nicht gerecht wertgeschätzt werden.

Ein Schriftsteller oder ein Künstler hat völlig andere Interessen als ein Handwerker. Gibt es unter den Kreativen überhaupt ein Bedürfnis nach einer Zusammenführung unter einem Dach?

Der Handwerker ist hier der falsche Vergleich. Es geht um inhaltliche Qualitätsthemen, die im rein rationalen Wachstumsdenken oft vernachlässigt werden. Um bei ihrem Beispiel zu bleiben: ein einfacher Stuhl wird durch Design und Gestaltung zum Lifestyle Objekt oder hilft durch eine Kombination mit Technologie Rückenschmerzen zu lindern.  Die meisten Bereiche in ihrer Auflistung auf jedem Fall. Aber ich gebe ihnen Recht, nicht alle. Die Architekten z.B. haben durch ihre Vielzahl und Rolle im Bausektor bereits mit der Architektenkammer ein solches Dach.

Kreative sind meist Einzelkämpfer, die sich nicht gerne unter einem Dach vereinen lassen. Der Gedanke, dass man nur gemeinsam stark ist, ist nicht wirklich verbreitet. Stimmt das?

Es sind mit Sicherheit Menschen, die ihre eigene Vorstellung und Organisation von Arbeit haben. Wenn wir wollen, weniger systemhörig. Aber ich würde hier nicht zu vielen Vorurteilen Platz geben. Es gibt eine Vielzahl von Beispielen, wo sich in Kunst- und Kreativwirtschaft tätige Personen geschickt vernetzen und so gemeinsam ihre Kompetenzen besser an den Mann bringen.

Wie könnte eine Dachstruktur der Kreativen organisiert und angesiedelt sein und welche Ziele könnte/sollte sie formulieren, die sich in politische Konzepte übersetzen lassen?

Das ist eine gute Frage. Wir mit BASIS Vinschgau Venosta leben z.B. einen Freiraumcharakter vor. Neue Formen der Arbeit, flexible Raumnutzungsmodelle und kreative Entfaltung. Niederschwellig und generationsübergreifend. Solche, den status quo ergänzende Flächen sind wichtig für eine ausgewogene Regionalentwicklung. Wir sprechen ja seit Jahrzehnten von Fachkräftemangel oder von der Landflucht der Köpfe und Kreativen. Ich denke, es braucht nun unbedingt praktische Umsetzungsprojekte, wo die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft profitiert. Südtirol braucht Dynamik und ein progressives Milieu.
Eine Dachstruktur könnte ein Verein oder eine Unterkategorie eines bestehenden Verbandes sein.

Die Pandemie hat dramatisch deutlich gemacht, dass die „kreative Klasse“ keine Lobby und keine gemeinsame Stimme hat. Ein selbstverschuldetes Versäumnis?

Zum Teil auf jeden Fall. Der Klassiker: Wenn´s allen gut geht und der Rubel rollt, kommt kaum jemand aus der Komfortzone. Das kann jeder bei sich selbst beobachten. Fakt ist: Die Metropolen und der Weltmarkt buhlen um genau diese Köpfe und wir befinden uns bereits seit gut 10 Jahren in einem globalisierten Wettkampf um Kreativität. Fehlen diese Bereiche vor Ort ist dies ein Indikator schwacher Innovationsfähigkeit.

BASIS Vinschgau ist eine Art NOI Techpark mit einem stärker sozialen Einschlag als der technikzentrierte Techpark. Ideale Voraussetzung, um die Kreativen zu organisieren und die Krise als innovativen Kick zu nutzen. Wären Sie dazu bereit?

So ungefähr. Der NOI Techpark ist ein wichtiger Regionalknotenpunkt und Labordienstleister, dem wir zuarbeiten und mit dem wir kooperieren. BASIS Vinschgau Venosta ist als „Social Activation Hub“ geboren, welcher als lokales Fundament die weiteren Stärkefelder Südtirols wie Automotive, Tourismus, Landwirtschaft mit sozial- ökologischer Transformation, Prozesse der Kreislaufwirtschaft und eben auch der historisch im Tal stark angesiedelten Kreativwirtschaft ergänzt. Es geht in erster Linie auch um Selbstermächtigung der Bevölkerung, das Zulassen, positives Denken und Abbau von Neid als Blockade. Und ja, wir sind mittendrin statt nur dabei!

Interview: Heinrich Schwazer

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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