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40 Jahre Amarida Ensemble

Johanna Wassermann: Wenn die Geige länger herumliegt, ist sie anschließend beleidigt.

Vor 40 Jahren hat die Geigerin Johanna Wassermann – sie war 35 Jahre lang Mitglied des Haydn Orchesters – das nach wie vor sehr aktive Amarida Ensemble gegründet. Ein Gespräch über Musik in all ihren Facetten, skurrile Geschichten, Dirigentendiktatoren und warum das Quartett nach einer ladinischen Sagengestalt benannt ist.

Tageszeitung: Frau Wassermann, seit wann spielen Sie Geige?

Johanna Wassermann:  Mein erstes Instrument war die Blockflöte, Geigenunterricht gab es damals in Brixen noch nicht. Bald schon spielte ich im Blockflötenquartett unter der Führung von Hans Simmerle. Relativ spät, während der Mittelschule, habe ich mit der Geige Bekanntschaft gemacht, mein erster Lehrer war Georg Egger. Heute kann jedes Kind schon vor der Einschulung mit der musikalischen Früherziehung beginnen, das Musikinstitut bietet Tests an, das Kind kann verschiedene Instrumente ausprobieren, bis es zu „seinem“ findet und früh mit dem Üben beginnen. Das ist ein echter Luxus!

Stammen Sie aus einer musikalischen Familie?

Ja, meine Eltern sangen im Brixner Domchor, meine Mutter spielte Zither, meine Schwester Maria ist Pianistin. Glücklicherweise wurden wir zu Hause, so gut es ging, gefördert. Zwei musikalische Hörerlebnisse haben mich geprägt: als Kind hörte ich bei der Weihnachtsmette die Pastoralmesse von Kempter und in den 60ger Jahren zum ersten Mal das Haydn Orchester (Mozart, Jupiter Sinfonie). Ich war fasziniert von den verschiedenen Klangfarben der Bläser und von der Disziplin in den Bogenführungen der Streicher. Klang und Bewegung, das ist die Essenz. Auch in meiner heutigen Familie hat die Musik einen hohen Stellenwert: mein Mann, ehemaliger Oboist und Musikwissenschaftler, ist künstlerischer Leiter verschiedener Konzertreihen in Südtirol, Tochter Sylvia unterrichtet Geige am Musikinstitut, spielt in diversen Formationen und zu meiner Freude auch im Amarida Ensemble. Sohn Simon realisiert als selbstständiger Tonmeister Audio- und Video-Produktionen, dadurch kommt auch manches gemeinsame Projekt zustande.

Gab es in dieser langen Zeit einen einzigen Tag, an dem die Geige ungespielt herumlag?

Wenn die Geige länger herumliegt, ist sie anschließend beleidigt. So fühlt es sich an, wenn Finger und Bogen sich erst wieder mit dem Instrument vertraut machen müssen. 2010 hatte ich einen schweren Radunfall und weiß, wovon ich spreche…. In diesen schmerzlichen Monaten ohne Geige habe ich erkannt, wie lebenswichtig die Musik für mich ist und habe alles darangesetzt, so schnell wie möglich wieder fit zu sein.

Von 1975-2010, also 35 Jahre lang, waren Sie Mitglied des Haydn Orchesters.

Mit großem Enthusiasmus habe ich nach dem Studium meine Tätigkeit im Haydn Orchester begonnen. Das Violin-Diplom hat viel Einsatz gekostet, besuchte ich ja das Wissenschaftliche Lyzeum in Brixen und das Konservatorium in Bozen zeitgleich, aber es hat sich gelohnt…Ich durfte die große Orchesterliteratur kennenlernen, mit berühmten Solisten und unter hervorragenden Dirigenten spielen und an zahlreichen Tourneen teilnehmen, u.a. in den USA und in Japan. Im Schnitt waren es jährlich 120 Konzerte.

Dirigenten können mitunter sehr eigenwillige Persönlichkeiten mit einem sehr ruppigen Führungsstil sein. Hatten sie es mal mit einem richtigen Macho am Pult zu tun?

Ja, des Öfteren … aber die Zeiten der Dirigentendiktatoren sind zum Glück vorbei. Die meisten Dirigenten sind heute auch gute Psychologen und suchen das Gespräch mit den Musikern im Sinne eines gemeinsamen Projekts. Trotzdem liegt die künstlerische Verantwortung beim Dirigenten, und das Publikum identifiziert sich gerne mit einer starken Führungspersönlichkeit.

CD-Serenade, Amarida Ensemble, 2000: Silvia Cesco, Johanna Wassermann, Alessandro Visintini, Margherita Pigozzo

1984 haben Sie das Amarida Ensemble gegründet. Hat die Arbeit im Haydn Ihren Hunger nach Musik nicht ausgefüllt oder was war der Grund, ein eigenes Ensemble zu gründen?

Das Orchesterspiel ist ein spannender und abwechslungsreicher Job, der die Musiker sechs Tage in der Woche beschäftigt. Man ist Teil eines großen Musikapparates und an wunderbaren Aufführungen beteiligt. Allerdings kommt die Kreativität des Einzelnen auf Kosten des Zusammenspiels und der gemeinsamen Interpretation etwas zu kurz. Um der Routine zu entfliehen, habe ich immer in meiner Freizeit Kammermusik gespielt und 1984 mit gleichgesinnten Musikerfreunden das Amarida Ensemble gegründet.

Eine Frau als Gründerin und Leiterin eines Quartetts war damals noch ungewöhnlich. Hat die Männerwelt Sie das spüren lassen?

Die Basis des Ensembles ist das Streichquartett, welches je nach Bedarf bis zum Kammerorchester aufgestockt werden kann. Wir haben als vier Frauen begonnen, was eigentlich ein Zufall war und ich erinnere mich bis heute an keine diesbezüglichen Probleme. Mittlerweile spielen im Streichquartett zwei Frauen und zwei Männer, das Geschlecht spielt zum Glück keine Rolle…

Benannt ist es nach der ladinischen Sagengestalt, die wie die Lorelei die Sinne der Wanderer verwirrt. Steht dieser Name für den Charakter des Quartetts?

Unsere Namensgeberin Amarida ist der ladinischen Sage nach eine Harfenspielerin, welche die Wanderer zuerst betört und schließlich ins Unglück stürzt. Im Idealfall bezirzen wir unser Publikum, möchten es aber auf keinen Fall beschädigen, weil wir auch in Zukunft auf die Zuhörer angewiesen sind!

Erinnern Sie sich noch an das Debütkonzert?

Das eigentliche Debut war 1983 die Aufführung des Oratoriums „Der Tod Jesu“ von Karl Heinrich Graun mit dem Collegium Musicum unter der Leitung von Hubert Hopfgartner mit einheimischen Musikern im Chor und Orchester und international bekannten Solisten.  Dieses gelungene Projekt hat unser Selbstbewusstsein gestärkt und Mut für die Zukunft gemacht.

In 40 Jahren kommen vermutlich Hunderte, wenn nicht Tausende Konzerte zusammen. Gibt es welche, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Für mich macht es keinen Unterschied, ob ich in einer kleinen Gruppe in privatem Ambiente oder mit größerem Orchester in einem Konzertsaal spiele. Die gegenwärtige Aufführung ist immer die wichtigste.

Hier eine Auswahl meiner Favoriten mit dem Amarida Ensemble:

Streichquintett mit zwei argentinischen Musikern: Tangos von Piazzolla und José Bragato.

Produktion der CD „Serenade“ mit Südtiroler Komponisten;  CD-Produktion mit den Klavierquintetten von Ludwig Thuille; Konzert beim Festival MITO in Mailand: Uraufführung von „Le lacrime di Geremia“ von Carlo Galante; Deutschland-Tournee mit Kammermusik: von Mozart, Beethoven, Schubert und Bruckner unter der Leitung von Peter Rosenberg.

Süditalien-Tournee mit dem Film „Kojaanisqatsi“, live Filmmusik von Philipp Glas; Konzerte und Video Aufnahme während des Corona-Lockdowns mit der Klarinettistin Andrea Götsch.

Ein Quartett ist ein kompliziertes soziales Beziehungsgeflecht. Sind Sie als Gründerin so etwas wie die Primus inter Pares?

Ich bin für das Programm und die Organisation zuständig, die musikalischen Aufgaben werden kollegial gemeistert. Ausschlaggebend für ein stimmiges Resultat ist ein gutes Arbeitsklima, sind ähnliche Vorstellungen bezüglich Interpretation, und vor allem zeitliche Disposition für die Proben.

In 40 Jahren sammeln sich viele Geschichten an. Erzählen sie uns eine.

Es gibt in all den Jahren skurrile Geschichten über verlorene und wundersam wiedergefundene Noten, Konzertschuhe in zwei verschiedenen Farben, Verwechslungen von Konzertterminen, ein spannendes Konzert am Ende des 9. Schwangerschaftsmonats der Bratschistin bis hin zum Unfall mit dem eigenen Instrument.

Das Repertoire des Amarida hat keine klaren Grenzen. Neben klassischen Meisterwerken spielt es Werke einheimischer Komponisten der Vergangenheit und Gegenwart, darunter auch viele Uraufführungen. Schlägt Ihr Herz mehr für das Klassische oder das Zeitgenössische?

Ich muss zugeben, dass ich eher zur Klassik tendiere, möchte aber die vielen spannenden Uraufführungen – der zum Teil dem Amarida Ensemble gewidmeten Werke – und den Kontakt mit unseren innovativen Komponisten nicht missen.

Das Zeitgenössische hat es nicht ganz leicht in der Konzertwelt. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

In Zusammenarbeit mit dem Südtiroler Künstlerbund konnten wir zahlreiche zeitgenössische Kompositionen aus der Taufe heben. Erfahrungsgemäß kann man ein jüngeres Publikum eher zur Zeitgenössischen Kunst verführen (siehe Amarida!). Der persönliche Kontakt zum Komponisten kann hilfreich sein, z.B. mit einer Einführung zum neuen Werk. Es geht ja ums Verständnis einer zum Teil gänzlich neuen Sprache.

Sie waren und sind beim Kammerorchester Innstrumenti Innsbruck, Akademie St. Blasius, Festspiele Erl, Salonorchester Südtirol, Mahler Orchestra Toblach und Südtiroler Operettenorchester engagiert, dazu kommen Rundfunk- und Fernsehaufnahmen, sowie CD-Einspielungen. Was treibt Sie an?

Was mich fasziniert, ist die Musik in all ihren Facetten; das Spielen in kleinen und großen Ensembles mit verschiedenen Solisten, Chören und Dirigenten. Das musikalische Repertoire ist so unendlich breit gefächert, dass ein Leben zum Kennenlernen nicht ausreicht.

Wer in Südtirol ein Quartett oder ein Kammerorchester für ein musikalisches Projekt braucht, wendet sich an Johanna Wassermann und bekommt geliefert, was er braucht. Wie machen Sie das?

In meiner langen Laufbahn habe ich Musiker aller Altersstufen kennengelernt, und es freut mich, Leute zusammenzuführen, die zusammenpassen und ein gemeinsames Ziel verfolgen. Vor allem Chorleiter sind dankbar, wenn sie sich nicht um die einzelnen Orchestermitglieder kümmern müssen.

In Ihrer mehr als 50 Jahre umfassenden musikalischen Karriere haben sie zahlreiche Musiker und Musikerinnen kennengelernt. Wie groß sind die Generationsunterschiede zwischen jüngeren und älteren Musikern? Spielt die junge Generation anders?

Ich habe mit Musikern, Solisten, Dirigenten und Komponisten aller Altersstufen zusammengearbeitet, es war fast immer eine große Bereicherung auf menschlicher und künstlerischer Ebene. Ältere Semester mit Erfahrung, so wie ich, ergänzen sich durch junge Musiker, z.B. Studenten aus dem Konservatorium. Die einen punkten mit längerer Aufführungspraxis, während die anderen technisch brillieren. In diesem Sinn profitieren die Generationen voneinander.

Interview: Heinrich Schwazer

 

Zur Person

Johanna Wassermann, geboren in Brixen, studierte am Bozner Konservatorium bei Prof. A. Zaniboni und Prof. G. Carpi. Sie absolvierte Meisterkurse am Mozarteum Salzburg und bei Dean Bogdanovich und nahm am Internationalen String Workshop und an der Akademie für Alte Musik Brixen teil. Mit dem 1984 von ihr gegründeten Amarida-Ensemble gibt sie zahlreiche Konzerte im In- und Ausland sowohl in kammermusikalischen, als auch Orchesterprojekten und nimmt an Rundfunk- und Fernsehaufnahmen, sowie CD Einspielungen teil.

Von 1975-2010 Mitglied des Haydn Orchesters von Bozen und Trient.

Seither Zusammenarbeit mit verschiedenen Orchestern: Kammerorchester Innstrumenti Innsbruck, Akademie St. Blasius, Festspiele Erl, Salonorchester Südtirol, International Mahler Orchestra Toblach und Südtiroler Opererttenorchester.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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