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„Alarmierende Signale“

Bernd Gänsbacher

Die neue Coronavirus-Variante aus Südafrika soll 30 Mal ansteckender sein als die Delta-Variante. Der Immunologe Bernd Gänsbacher erklärt, wie gefährlich sie wirklich ist.

Tageszeitung: Herr Professor, was weiß man über die neue Variante?

Bernd Gänsbacher: Wir sprechen seit Monaten darüber, dass dieses Virus die Fähigkeit hat, Oberflächenstrukturen zu verändern, also zu mutieren. Das gilt für alle RNA Viren, wie z.B. HIV und Influenza. Das kann dazu führen, dass es schneller infiziert und von Antikörpern weniger gut erkannt wird. Das Virus ist also sehr adaptions- und überlebensfähig, besonders wenn von außen Druck ausgeübt wird, z.B. durch das Immunsystem.Die neu entdeckte Variante heißt B 1.1.529 und ist in einer südafrikanischen Stadt erstmals am 1. November 2021 entdeckt worden. Zuerst machte die Variante ein Prozent der Infektionen aus, mittlerweile hat sie die Delta-Variante dort verdrängt. Das ist bisher noch nie passiert. Deshalb hat das südafrikanische Gesundheitssystem eine öffentliche Pressekonferenz organisiert und die Daten veröffentlicht.

Was kam bei dieser Pressekonferenz heraus?

Beeindruckend ist, dass sie über 50 Mutationen (Strukturveränderungen) in Form von Insertionen, Deletionen und Mutationen hat. Man hat noch nie gesehen, dass das Coronavirus auch Insertionen in diesem Ausmaß hat. Das heißt, es hat sich neue Nukleotide, also Bestandteile geholt, und in seinem Genom eingebaut. Besonders wichtig ist aber, wie das Spike-Protein ausschaut: Das Delta-Virus hatte im Vergleich zum Wuhan-Virus drei Mutationen in der Rezeptor-Binding-Domain, dort, wo der Schlüssel ins Schlüsselloch geht, also dort, wo das Spike-Protein an den ACE2-Rezeptor bindet. Die neue Variante hat zehn Mutationen an dieser Stelle. Die Tatsache, dass ein Spike-Protein so viele Strukturveränderungen durchmacht, ist ein Alarmzeichen. Denn Strukturveränderungen können dazu führen, dass Antikörper nicht mehr an Spikeproteine binden und deshalb die Impfwirkung stark vermindert wird.

Hat man es also nun mit einem komplett neuen Virus zu tun?

Nein. Neue Varianten müssen gemeldet werden. Man weiß, dass viele Varianten häufig kurz aufflammen, dann aber wieder verschwinden. Selten gibt es so etwas wie mit der Delta-Variante, die sich auf den ganzen Globus verteilt. Bei der neuen Variante wissen wir noch nicht, was passiert. Es kann sein, dass es wieder verschwindet, oder den Wettkampf gegen Delta verliert.Die Tatsache, dass die Infektionen in der südafrikanischen Stadt so schnell gestiegen sind, ist ein Gefahrensignal. Die Welt ist nun aber alarmiert. Länder wie Japan, Großbritannien oder Singapur haben sofort die Flüge aus dem südlichen Teil von Afrika gestrichen,  Länder in Kontinentaleuropa haben nachgezogen. Daran sieht man, wie ernst die Behörden diese neue Variante nehmen.

Die Streichung der Flüge ist also die richtige Entscheidung?

Absolut. Das Virus kann nicht von alleine nach Europa kommen, der Träger ist der Mensch. Man hat bereits einen Fall in Hongkong gefunden. Einen Reisenden, aus Südafrika, der in Johannesburg beim Einstieg ins Flugzeug negativ getestet wurde und nach zwei Tagen Quarantäne in Hongkong Symptome bekommen hat. Eine Person wurde in Belgien positiv auf die Variante getestet.

Reicht das aus, um die Verbreitung der neuen Variante zu verhindern?

Das alleine reicht nicht aus. Die neue Variante muss in Südafrika mit allen harten Maßnahmen eingedämmt werden. Es werden gerade Laboruntersuchungen durchgeführt, die uns sagen werden, ob bei den Geimpften die Antikörper das Virus inaktivieren oder nicht. Wenn das nicht der Fall ist, ist das sehr gefährlich.

Wie konnte eine solche Variante plötzlich entstehen?

Die Varianten entstehen oft – im Körper von immunsupprimiertenPatienten – wo das Immunsystem stark abgeschwächt ist. Dort kann das Virus wochenlang persistieren und proliferieren, dabei lernt es Antiköper und T-Zellen in Form einer suboptimalen Immunantwort kennen. In jedem Körper entstehen bei der Infektion mehrere Varianten, weil der Kopierprozess nicht zu 100 Prozent perfekt abläuft. Nur die Varianten, die die Oberflächenproteine so verändern, dass die im Blut zirkulierenden Antikörper sie nicht erkennen, werden überleben, um dann vom Infizierten ausgeatmet zu werden.

Was weiß man über Mortalität, Hospitalisierung oder Immunschutz bezüglich der neuen Variante?

Dazu weiß man nichts, da der erste Fall am 1. November nachgewiesen wurde. Das war nur ein Zufall, weil dieselbe PCR, wie bei der Alpha Variante, angeschlagen hat. Im Englischen spricht man von einer S-gene-dropout-Variante. Die Antworten wie virulent dieses Virus ist, werden in den nächsten Tagen kommen. Man arbeitet auf Hochdruck daran.

Wird auf die Variante nun auch in Italien getestet?

In Italien oder Deutschland werden prinzipiell nur wenige Prozente der Infizierten auf Virusvarianten getestet und die Viren sequenziert. Länder wie Dänemark, USA, Großbritannien oder Südafrika sequenzieren viel mehr. Man hat das Glück, dass man die Variante mittels PCR schnell nachweisen kann, ohne dass eine volle Durchsequenzierung des Genoms notwendig ist.

Was ist also zu erwarten?

Es kann sein, dass diese Variante genauso schnell verschwindet, wie sie aufgetaucht ist. Das wäre nicht das erste Mal. Die WHO und die Entscheidungsträger in den verschiedenen Ländern wissen Bescheid und müssen nun ihre Gesellschaften schützen, falls das nicht der Fall sein sollte. Schlussendlich werden sie dafür gut bezahlt.

Interview: Markus Rufin

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