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Göttliches Tagebuch

Autor Giacomo Sartori: „Was für ein Frieden ohne die Menschen“

Der Trentiner Autor Giacomo Sartori lässt Gott höchstpersönlich zu Wort kommen und seine Schöpfung kommentieren. Werner Menapace hat den Roman über eine Existenzkrise Gottes, in die er unerklärlicherweise aus Liebe zu einem Menschen gerät, ins Deutsche übersetzt. 

Von Helmuth Schönauer

Jeder Schriftsteller ist als Schöpfer der Textwelt quasi Gott, warum soll also Gott nicht zwischendurch die Rolle eines Schriftstellers annehmen und in Tagebuchform die Schöpfung begutachten? Die Schöpfung gilt ja als die Urform des Tagebuchs, immerhin war damals jeden Tag was los und alles ergab nach einer Schöpfungswoche einen satten Roman.
Giacomo Sartori wählt diese „göttliche Erzählform“, weil sie den höchsten auktorialen Eingriff in das Erzählte zulässt. Aus der Perspektive eines kopfschüttelnden Gottes lässt sich das Wesen der Menschheit als skurrile Operette darstellen, worin im Zweifelsfall die Logik zurücktreten muss.
Die Logik nämlich ist eine menschliche Erlebnis-Blase, die schon bei den primitivsten Alltäglichkeiten versagt. Genaugenommen ist alles auf der Welt eine unglaubliche Entgleisung, wenn man sie näher betrachtet. Gott tut dies, indem er die menschliche Sprache benützt und Fügungen wörtlich nimmt. Einen Tapetenwechsel vollziehen heißt bei ihm, einen Spaziergang durch die Galaxien anzutreten.
Während der Originalschöpfungsbericht sechs Arbeitstage und eine Ruhetag aufweist, ist die Kreation im Tagebuch in knapp fünfzig Kapitel dargestellt. Diese gleichen kleinen Essays, die mit kräftigen Überschriften versehen sind, etwa „Ich brauche nicht zu denken“, „Die Supermarktkasse“, „Der pädophile Bischof“ oder „Die Auslöschung“. Neben diesen Themenstrukturen gibt es so etwas wie eine Rahmenhandlung, diese kümmert sich um die Geilheit Gottes beim Anblick einer von ihm geschaffenen Frau. An dieser Stelle scheint die Schöpfung ähnlich gut gelungen zu sein wie ein Videospiel, worin der Erfinder beim Spielen seines eigenen Games in Verzückung gerät.
Der Erzähler Gott ist doppeldeutig angelegt. Für sogenannte Gläubige macht er eine gute Figur und zeigt anbetungswürdige Züge, sodass diese Lesergruppe nach der Lektüre des Tagebuchs keinesfalls in eine Glaubens-Agonie verfallen muss. Für jenes Publikum, das Gott als tolle Fiktion auffasst, gibt es im Roman jede Menge satirische Überhöhung, im Idealfall wird dabei Gott zu einem Trivialschriftsteller, der an seiner eigenen Feierlichkeit erstickt.
Obwohl es für Gott keinen Tag gibt, weil alles gleichzeitig und zeitlos ist, spielt der Roman in einer unmittelbaren Gegenwart, wiewohl griechische Mythologie oder die Sprachkunst der Skolastiker Gedankeneinschübe einfordern.

Übersetzer Werner Menapace (Foto: Adina Guarneri)

Heldin ist eine Kuhbesamerin, die quasi einen irdischen Schöpfungsakt nach dem anderen setzt, indem sie den Kühen das Sperma an der entscheidenden Stelle einführt. Das macht die herumstehenden Bauern im Blauschurz meist sprachloser, als sie es im Gebirge ohnehin schon sind. Das Beispiel der künstlichen Besamung zeigt, wie lächerlich letztlich die Eingriffe des Menschen sind, denn das letzte Kapitel ist zumindest bei Gott schon geschrieben und nennt sich kurz die Auslöschung.
Die Kuhbesamerin ist obendrein erotisch wie eine Bohnenstange, auf diesen Typus fährt Gott nämlich ab. Zuerst muss er lachen, wenn er sieht, wie sich Chefs und andere Männer um die Bohnenstange bemühen, aber dann juckt es ihn doch, mit ihr in sexuellen Kontakt zu treten, indem er einem Engel gleich als indischer Computerfachmann bei ihr erscheint. Alle Kabel sitzen während der erotischen Begegnung, aber Gott versagt am Genital, er hat irgendwas falsch programmiert, oder es liegt einfach daran, dass Sex nichts Göttliches an sich hat.
Die hochgewachsene Kuhbesamerin wendet sich schließlich einer mehr-geschlechtlichen Beziehung zu und praktiziert am liebsten einen Dreier, was der göttlichen Dreifaltigkeit am nächsten kommt.
Wenn der Mensch schon in der Rahmenhandlung ziemlich mickrig aussteigt, so tut er dies in den einzelnen Episoden umso mehr. Das Schicksal von Ameisen ist, zumindest was ihre Struktur und Masse betrifft, aufregender als die Menschheitsgeschichte. Eine Krötenrettung von Umweltschützern ist gemessen am allgemeinen Naturzustand nicht einmal der sprichwörtliche Wimpernschlag während der Ausdehnung des Universums. Und die Versuche kirchlicher Einrichtungen, die Schöpfung als machtpolitische Helix zu verwenden, endet im pädophilen Desaster, wobei es unter der Kutte bei weitem nicht so aufregend zugeht wie im Beichtstuhl dargelegt.
Auch der angeblich so hohe Stellenwert der Literatur bekommt sein Fett ab. Gedichte dienen letztlich nur dazu, um vor der Paarung aufgesagt zu werden und eine Erektion vorzutäuschen, und für den Schriftsteller besteht die Gefahr der Verblödung, „man schreibt und schreibt“ (185). Nicht jeder hat nämlich das Glück, von sich aus aufhören zu können wie Gott.
Letztlich hat ein Roman weder Anfang noch Ende und ist zeitlos. In die Schleife sind tägliche Abenteuer eingeflochten wie Streit ums Kruzifix, Arbeitserleichterung an der Supermarktkasse, künstliche Intelligenz am anderen Ende von Wurstfingern und Milchberg im Alpenraum. – Erst wenn man sich alles wegdenkt, kommt der wahre Sinn des Universums zum Vorschein. Gott freut sich schon diabolisch, aus dem Tagebuch auszusteigen und den ganzen Schöpfungs-Schmarren sich selbst zu überlassen.

„Was für ein Frieden ohne die Menschen: Ich genieße jetzt schon die wunderbare Ruhe.
Schluss mit den Flugzeugen, die die Atmosphäre trüben – ganz zu schweigen von den unästhetischen Kondensstreifen -, Schluss mit dem Gestank von Industrie- und Auspuffanlagen, Schluss mit Bergen von Kohlendioxid. Nachts wird es dunkel sein und man wird ruhig schlafen können.
Die Fische werden wieder herumschwimmen können, ohne Angst zu haben, dass sie in einer Blechdose oder als Pulver in einem Schweinetrog landen, die Vögel werden nach Herzenslust umherfliegen, die Kühe werden von Neuem lernen, etwas weniger fügsam zu sein, ohne diese ganze minderwertige Milch zu produzieren, die Hunde werden ihre unerträgliche Unterwürfigkeit ablegen, die Katzen werden wieder kratzen und fauchen.
Man wird zu einem freien Wettstreit unter den Arten zurückkehren, ohne die Tricksereien und Tiefschläge, die die Menschen von Anfang an zu ihrem Vorteil eingesetzt haben.

Giacomo Sartori: Göttliches Tagebuch. Roman.  A. d. Ital. von Werner Menapace. [Orig.: Sono Dio, Mailand 2016.] Köln: Launenweber Verlag 2019. (= LW Italica.) 294 Seiten. EUR 24,-. Giacomo Sartori, geb. 1958, lebt in Paris und Trient. Werner Menapace, geb. 1950 in Tramin, ist literarischer Übersetzer in Bozen.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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