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Die Nacht im Hotel

Weil sich viele Abgeordnete frühzeitig ins Wochenende verabschiedet hatten, ging die Regierung bei einer wichtigen Abstimmung baden. Julia Unterberger und Co. mussten nach Rom zurückbeordert werden.

Von Matthias Kofler

Auf der Tagesordnung des Senats stand am Donnerstag die Behandlung des wichtigen Gesetzesdekrets zur Regelung der Regional- und Kommunal-Wahlen, die wegen der Covid-Krise verschobenen wurden: Das Dekret war bereits seit 59 Tagen in Kraft, musste also dringend von den beiden Parlamentskammern gutgeheißen werden.

Das Problem: Viele Abgeordnete der Regierungsmehrheit – acht vom Movimento 5 Stelle, vier vom PD und drei von Italia Viva – fehlten an dem besagten Sitzungstag. Die Mehrheit stand also von Anfang an auf des Messers Schneide.

Der geschickte Lega-Politiker Roberto Calderoli nutzte die Gunst der Stunde und unternahm alles, um der Regierungsmehrheit ein Bein zu stellen. So forderte er kurzerhand, die weitere Behandlung des Gesetzesdekrets zu verschieben, womit dieses verfallen wäre. Über Calderolis Antrag wurde per Handaufhalten abgestimmt: Da sich zum Zeitpunkt der Abstimmung lediglich zehn (der über 160) Mehrheitsvertreter in der Aula aufhielten, ging die Regierung sang- und klanglos baden.

Die Geschäftsordnung des Senats sieht im Falle von Abstimmungen per Hand jedoch die Möglichkeit vor, diese elektronisch zu „überprüfen“. Von dieser Möglichkeit nahm die Mehrheit freilich Gebrauch und holte alle ihre Abgeordneten, die sich zuvor im Foyer oder in den Büros befunden hatten, in den Sitzungssaal zurück. Die zweite (elektronische) Abstimmung ging dann knapp zugunsten der Regierungsmehrheit aus: Ganze zwei Stimmen waren am Ende ausschlaggebend.

Die Opposition aus Lega, Forza Italia und Fratelli d’Italia protestierte lautstark gegen die Vorgehensweise der Regierungskoalition. Auch Senatspräsidentin Maria Elisabetta Cassellatti stellte sich auf die Seite der Demonstrierenden und ließ noch einmal die Aufnahmen der Überwachungskameras überprüfen. Die Bilder zeigten aber, dass sich tatsächlich ausreichend Abgeordnete in der Aula aufgehalten hatten.

Die Mehrheit war also noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen.

Danach ging die Posse jedoch in die zweite Runde: Die unter starkem Druck stehende Regierung stellte die Vertrauensfrage, was zur Folge hatte, dass sämtliche Abänderungsanträge der Opposition automatisch verfielen. Matteo Salvini und Co. verließen daraufhin entrüstet den Sitzungssaal.

Brisant: Eine Vertrauensabstimmung kann laut Geschäftsordnung nur dann stattfinden, wenn das Hohe Haus beschlussfähig ist. Die Beschlussfähigkeit wird auf Grundlage der Anzahl der Parlamentarier berechnet, die bei der ersten an diesem Tag erfolgten Abstimmung anwesend waren. Die Mehrheit kam zum Ergebnis, dass die Beschlussfähigkeit bei 147 lag.

Bei der entscheidenden Abstimmung zum Gesetzesdekret schrammte die Koalition jedoch nur haarscharf an einer Blamage vorbei: Exakt 145 Senatoren stimmten für das Dekret, zwei dagegen – die Beschlussfähigkeit wurde also nur ganz knapp erreicht.

In den Fraktionen, welche die Mehrheit stützen, kamen – trotz dieses Pyrrhussiegs – große Zweifel auf: Warum waren so wenige Parlamentarier in der Aula? Ihre Abwesenheit entschuldigt hatten nämlich nur die besagten 15. Hatten sich manche interne Heckenschützen frühzeitig ins Wochenende verabschiedet, um die ungeliebte Koalition in Schwierigkeiten zu bringen?

Auch aus den Reihen Südtirols waren zwei Vertreter bereits im Zug nach Bozen, als die so wichtige Abstimmung stattfand: Meinhard Durnwalder und Dieter Steger. Die Fraktionssprecherin der Autonomiegruppe, Julia Unterberger, war von der vorzeitigen Abreise der beiden nicht in Kenntnis gesetzt worden und entsprechend sauer. „Die Stimmung im Senat war den ganzen Tag über so explosiv, dass jeder hier hätte mitbekommen müssen, wie knapp diese Abstimmung werden würde“, schüttelt Unterberger den Kopf.

Doch es kam noch dicker: Auf ihrer Rückreise nach Bozen erhielt die SVP-Politikerin einen überraschenden Anruf: Minister Federico D’Incà teilte ihr mit, dass die Abstimmung zum Gesetzesdekret annulliert werden musste. Nachrechnungen hätten ergeben, dass jene Abgeordneten, die auf institutioneller „Dienstreise“ waren, in Sachen Beschlussfähigkeit nicht mitgezählt worden waren. Somit waren drei Abgeordnete zu viel abwesend, weshalb die Vertrauensabstimmung wiederholt werden musste. Und zwar am Folgetag, Freitag, 9:30 Uhr.

Julia Unterberger, die im Zug bereits Verona erreicht hatte, sah sich gezwungen, nach Rom zurückzukehren. Die Senatorin nahm sich ein Hotel in Bologna, hatte aber weder einen Pyjama noch eine Zahnbürste mit. Letztere lieh sie sich von einem Kollegen aus.

Auch Meinhard Durnwalder und Dieter Steger machten sich umgehend auf die Rückreise, um bei der wichtigen Abstimmung nicht erneut zu fehlen. Durnwalder erklärt, dass er am Freitag einen wichtigen Termin mit Albrecht Plangger und der Südtirolgas bezüglich des Wiederaufbau-Gesetzes wahrnehmen wollte. Daher sei er bereits am frühen Donnerstagabend abgereist. „Wir haben in erster Linie die territorialen Interessen zu vertreten. Es ist Aufgabe der Mehrheit, für die Beschlussfähigkeit zu sorgen“, betont der Pusterer. Steger, der aus einem wichtigen privaten Grund vorzeitig abgereist war, erinnert daran, dass er seit sechs Monaten bei keiner einzigen Abstimmung gefehlt habe. Zudem habe keiner der Mehrheitsvertreter ihn darauf hingewiesen, dass es bei dieser Abstimmung knapp werden könnte. „Man muss sich schon fragen, wie stabil eine Mehrheit ist, die an der Beschlussfähigkeit scheitert“, sagt der Bozner SVP-Senator.

Dass Durnwalder und Steger nicht die Absicht hatten, der Regierung Schaden zuzufügen, zeigte sich bei der Vertrauensabstimmung am Freitag: Beide SVP-Senatoren stimmten für das Gesetzesdekret zur Wahlverschiebung. Die vorgeschriebene Mehrheit wurde beim Wiederholungs-Votum locker erreicht (158 Ja, 80 Nein). Da die Autonomiegruppe (mit Ausnahme von Ex-Staatspräsident Giorgio Napolitano) bei der Sondersitzung sogar vollständig anwesend war, erhielt Sprecherin Julia Unterberger ein Lob von Ministerpräsident Giuseppe Conte höchstpersönlich: „Julia davvero un ottimo lavoro: complimenti. Quando ieri sera sono stato avvertito che in Senato sareste stati richiamati a votare alle 9,30, ho pensato ‘mission impossible‘. Invece chapeau, se ci siete tutti, siete stati davvero bravi“, schrieb Conte der SVP-Politikerin per WhatsApp und lud sie und die anderen Fraktionssprecher zu einem gemeinsamen Abendessen ein.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (25)

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  • criticus

    Bravo Frau Unterberger Sie nehmen ihre Sache sehr ernst und vertreten ihre Wähler gewissenhaft! Sie haben die politische Latte in Rom für die SVP sehr hochgezogen, da müssen sich ihre männlichen Kollegen wohl erst daran gewöhnen und sollten nicht mit solchen Ausreden daherkommen.

  • andreas

    Durnwalder und Steger würden nichts lieber sehen, als dass die Regierung stürzt.

    Dieser Durnwalder ist ein Grund, die SVP nicht mehr zu wählen, sollte der LH bei der nächsten Wahl nicht mehr antreten.
    Selten einen Politiker gesehen, welcher so ungeschickt und offensichtlich nur die eigenen Interessen vertretet.

  • pingoballino1955

    Gut so,die beiden Herren tragen sicher dazu bei,dass endlich wieder v i e l Svp Stimmen wegfallen,denn solche „Spielchen“ nimmt ihnen wohl nur der „DEPP“ ab.

  • prof

    Jedenfalls hat Frau Unterberger mehr „Grips“ und auch Erfahrung als die Senatoren Durnwalder und Steger zusammen.
    zu ahaa,sollte Herr Durnwalder wirklich einmal LH werden,so habe ich selbst sowie warscheinlich viele andere schon jetzt Albträume.

  • prof

    @nix.nuis
    Mit Punkt 3 bin ich vollkommen einverstanden ! Die restlichen Punkte eigentlich uninteressant.

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