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Die Corona-Armut

Wegen der Corona-Krise seien immer mehr Menschen auf Lebensmittelspenden angewiesen – so der Vinzenzverein. Die Not im Lande werde immer größer.

von Eva Maria Gapp

Sabine Eccel, Leiterin des VinziMarktes in Bozen, hat alle Hände voll zu tun. Vor dem Lebensmittelgeschäft, indem Bedürftige einkaufen gehen können, bildet sich bereits eine lange Schlange.

Der Andrang ist groß. Immer mehr Menschen benötigen Lebensmittel. „Seit Beginn der Corona-Krise ist die Nachfrage nach Lebensmitteln deutlich angestiegen. Aktuell kommen mehr Menschen als sonst zu uns. Wir beobachten, dass die Not größer wird“, sagt sie. Egal ob Brot, Reis, Mehl oder Babynahrung: Diesen Menschen fehlt das Nötigste.

Die Corona-Krise hat die finanzielle Situation vieler Menschen verschlechtert: „Allein in den letzten zwei Monaten sind rund 30 neue Familien dazugekommen. Das ist ein großer Zuwachs innerhalb kurzer Zeit.“

Das heißt: Bisher waren rund 140 Familien auf die Lebensmittel des VinziMarktes angewiesen, jetzt sind es rund 170. Eccel rechnet aber mit einer weiteren Zunahme: „Das ist leider erst der Anfang. Es werden sich jetzt sicherlich noch mehr Familien an uns wenden.“

Denn die 54-Jährige weiß: „Wer bereits vor der Corona-Pandemie Schwierigkeiten gehabt hat, finanziell über die Runden zu kommen, gerät jetzt mehr in Bedrängnis. Man rutscht jetzt rasch unter die Armutsgrenze.“

Betroffen seien vor allem alleinstehende Menschen, notleidende Familien, Alleinerziehende und Einwanderer. Viele haben die Arbeit verloren oder befinden sich in Lohnausgleich. „Das Geld reicht hinten und vorne nicht. Familien mit geringem Einkommen sind von der Corona-Krise besonders hart betroffen.“

Weil die Nachfrage so groß ist, überlegt Eccel sogar, einen weiteren Öffnungstag hinzuzunehmen: „Derzeit haben wir nur an zwei Nachmittagen pro Woche geöffnet. Weil aber immer mehr Leute auf Lebensmittelspenden angewiesen sind, sind wir am Überlegen, ob wir künftig nicht noch einen Tag aufsperren“, sagt sie. Sie geht davon aus, dass sich die Not noch weiter verschärfen wird: „Wir werden künftig noch mehr gebraucht werden als ohnehin schon. Da bin ich mir sicher. Bereits während des Lockdowns haben viele Menschen bei uns im VinziMarkt angerufen, weil sie nicht mehr weiter wussten.“

Das bestätigt auch Josef Haspinger, Präsident der Südtiroler Vinzenzgemeinschaft. Die Anfragen häufen sich: „Bereits während des Lockdowns, aber auch jetzt rufen mich immer wieder Menschen an, die sagen, dass ihnen das Geld fürs Essen fehlt. Sie haben zum Beispiel als Tellerwäscher oder als Putzfrau gearbeitet, nun aber den Job verloren und brauchen Hilfe.“ Viele hatten auch einen prekären Arbeitsvertrag, der nicht mehr verlängert wurde oder sie wurden erst gar nicht vom Arbeitgeber in Lohnausgleichskasse geschickt.

Auch ein Koch habe sich erst vor kurzem bei ihm gemeldet. „Er hätte eigentlich mit der Arbeit im März beginnen sollen, doch wegen der Corona-Krise wurde er erst gar nicht eingestellt. Und jetzt findet er keinen Job mehr.“ Er habe Schulden auf der Bank und kein Einkommen. „Er steht jetzt vor dem Problem, dass er seine Miete nicht mehr bezahlen kann. Wir versuchen ihn dann finanziell unter die Arme zu greifen“, so Haspinger. So gehe es derzeit vielen Menschen. „Die Verzweiflung ist groß. Die finanzielle Notlage macht immer mehr Menschen zu schaffen.“

Auch er sagt: „In Südtirol leben schon jetzt viele Personen in Armut. Dazu kommt, dass die Einkommensschere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft. Durch die Corona-Krise wird es einen noch stärkeren Anstieg der sozialen Not geben.“ Jede sechste Südtiroler Arbeitnehmerfamilie lebe schon jetzt an der Armutsgrenze – so Haspinger.

Damit Menschen, die bedürftig sind, nicht unterversorgt dastehen, hat der VinziMarkt während des Lockdowns seine Türen auch nie wirklich geschlossen: „Wir haben weitergemacht, wenn auch in einer anderen Form. Wir haben den Menschen mit Lebensmittelpaketen ausgeholfen. Es kam für uns nie in Frage, den Dienst total auszusetzen. Zu viele Menschen sind auf uns angewiesen“, sagt Eccel.

Ohne die Hilfe von zahlreichen Firmen, Hotels und Einzelpersonen wäre das nicht möglich gewesen: „Uns haben wirklich viele Menschen unterstützt, und tun es auch weiterhin. Darüber sind wir sehr dankbar. Erst vor kurzem ist eine Frau zu uns gekommen und hat uns sechs Liter Öl vorbeigebracht und eine andere Frau viele Dosen Thunfisch. Da sieht man, die Solidarität ist groß. Dadurch konnten und können wir weiterhin die Menschen mit Lebensmittel versorgen“, zeigt sich Eccel sichtlich erfreut.

Seit mehr als zwei Wochen ist das Lebensmittelgeschäft für Menschen, die sich in Not befinden, nun wieder regulär geöffnet. „Es gelten aber strenge Sicherheits- und Hygienemaßnahmen. Es dürfen nur mehr drei Personen gleichzeitig rein, jeder muss seine Hände desinfizieren und es gilt Mundschutzpflicht“, sagt Eccel. Bislang habe es keine Probleme gegeben: „Die Menschen halten sich sehr vorbildlich daran. Sie sind froh und dankbar, dass es uns gibt.“

Der VinziMarkt ist einzigartig in Südtirol. Anstatt mit Geld kaufen dort Bedürftige mit Punkten ein. Das heißt: In Relation zur festgestellten Bedürftigkeit erhalten die Menschen eine Anzahl von Punkten, die sie dann im VinziMarkt gegen Lebensmittel eintauschen können. Als Orientierung dienen Preisschilder, auf denen die Punkte vermerkt sind. Für ein Kilogramm Reis braucht es 1,80 Punkte, eine kleine Dose Thunfisch kostet 0,80 Prunkte, ein Liter Samenöl 3 Punkte. Ein halbes Kilogramm Nudeln, ein Liter Milch oder eine Tafel Schokolade kosten im Markt einen Punkt. Brot bekommen die Einkaufenden umsonst. Ist der Einkauf fertig, werden die Produkte dann an der Kassa abgescannt und die Punkte elektronisch abgezogen.

Die Punkte werden ihnen im Fürsorgezentrum der Südtiroler Vinzenzgemeinschaft in der Kapuzinergasse 11 zugeteilt. Diese werden anhand des Einkommens und der Familienzusammensetzung kalkuliert. Eine bedürftige Person erhält pro Monat 30 Punkte, für jedes weitere Familienmitglied gibt es monatlich zusätzlich 10 Punkte.

Insgesamt verfolgt der VinziMarkt zwei Ansprüche: Gegen die Lebensmittelverschwendung anzukämpfen und Menschen, die es in Südtirol nicht leicht haben, zu helfen. Der VinziMarkt wird dabei ausschließlich von Freiwilligen betrieben.

Abschließend möchte Eccel noch einen Appell an alle Hilfesuchenden richten: „Es braucht sich wirklich niemand schämen, zu uns zu kommen. Wir behandeln alles vertraulich und im Grunde sind wir ein ganz normaler Supermarkt. Die Corona-Krise stellt uns alle vor große Herausforderungen. Jeder kann in Not geraten. Umso wichtiger ist es, sich Hilfe zu suchen. Wir geben unser Bestes, um Menschen in Not aufzufangen und weiterhin ein offenes Ohr für sie zu haben.“

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (24)

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  • leser

    Das sind die wahren grossen

  • andreas

    Und wo wäre das Problem, anstatt bescheuerter Schlauchtücher für eine halbe Million, einige Paletten mit Lebensmittel anzukaufen und sie dort zu verteilen?

    Die Kosten für eine Palette Windeln, Babynahrung oder Reis sind überschaubar.
    Wir verbraten aber lieber 34 Millionen bei der IDM, 20 Millionen für unbrauchbares Schutzmaterial oder ca. 40 Millionen für ein Organisationssystem des öffentlichen Nahverkehrs, da Gatterer die Quellcodes nicht rausrückt.

    Nebenbei bin ich überzeugt, dass es viel mehr Familien gibt, welche Hilfe brauchen, sie sich aber schämen, den Service in Anspruch zu nehmen.

    • pingoballino1955

      andreas-lass die LH -Kompatscherwerbung,er wusste überall Bescheid und hat alle gedeckt,bis heute,wer weiss welches Köpfchen sich ,wenn es hart auf hart geht,dann aus der Schlinge zieht??? Kompatscher-Achammer -Widmann-Zerzer und Co. hoffentlich wird von der Staatsanwaltschaft ordentlich ermittelt. Schade ist dass der Steuerzahler die ganzen Prozessspesen für die „Staranwälte“ auch noch bestreiten muss. Einige „Bauernopfer“ wird es sicher geben,aber wahrscheinlich die FALSCHEN!

  • bernhart

    Das Zauberwort für alle egal ob arm- mittelstand oder obere, es ist ganz einfach ARBEITEN.
    In der Landwirtschaft werden X-tausend Arbeiter gesucht, also nicht Bittsteller werden arbeiten.
    Es kann nicht sein , dass Bürger zu Schmarozer erzogen werden, der Mensch lernt schnell, dass man auch mit nichtstun leben kann.
    Falsches Mitleid.

  • tirolersepp

    Armut gibs sicherlich jedoch Arbeit ist auch vorhanden, also .,…..

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