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Gefährliches Votum?

Landtagsabgeordnete, die für das Landesgesetz für autonome Corona-Lockerungen stimmen, wären wohl vor zivil- und strafrechtlichen Folgen ihres Votums geschützt. 

Von Thomas Vikoler

Ein Gesetz, das am Ende möglicherweise nie verabschiedet wird, wirft eine Flut von verfassungsrechtlichen Fragen auf.

Die Landesregierung will bekanntlich über ein Landesgesetz autonome Corona-Lockerungen beschließen.

Wohl wissend, dass Südtirol im Bereich Gesundheit keine primäre Gesetzgebungskompetenz hat. Und es deshalb zu einem institutionellen Konflikt mit dem Staat kommen könnte, der in Sachen Corona-Virus-Notstand, jedenfalls derzeit, einen zentralistischen Kurs fährt.

Sollte das derzeit in Ausarbeitung befindliche Gesetz tatsächlich vom Landtag verabschiedet werden, wäre seine Anfechtung seitens der Regierung vor dem Verfassungsgericht die logische Folge. Der Zentralstaat wird eine derartige Kompetenzanmaßung nicht akzeptieren.

Was wäre, wenn der Verfassungsgerichtshof das hypothetische Südtiroler Corona-Gesetz voraussehbarerweise für „augenscheinlich gesetzeswidrig“ erklären würde? Könnten die Abgeordneten, die für es gestimmt haben, zivil-, straf- und vermögensrechtlich haftbar gemacht werden?

„Ich gehe davon aus, dass die Abstimmenden davor durch ihre Immunität geschützt sind“, betont der Bozner Verfassungsrechtlicher und Ex-Kammerabgeordnete Francesco Palermo. „Doch es gibt auch Ausnahmen“.

Konkret ein Präzedenzfall aus dem Jahre 1988. Der Verfassungsgerichtshof entschied auf eine Eingabe des hiesigen Oberlandesgerichts für Strafsachen, dass der damalige SVP-Abgeordnete Franz Pahl wegen einer Aktion mit der italienischen Trikolore im Plenum des Landtages am 18. Juni 1986 nicht vor Strafverfolgung geschützt war. Gegen Pahl war ein Strafverfahren wegen Schmähung eines Symbols der Republik eingeleitet worden.

Das Verfassungsgericht bestätigte aber im Pahl-Urteil indirekt das Prinzip, dass Landtagsabgeordnete, wie Parlamentarier, eine (beschränkte) Immunität genießen: Sie können wegen der in Ausübung ihrer Befugnisse geäußerten Ansichten und abgegebenen Stimmen nicht zur Verantwortung gezogen werden.

Doch letztlich gibt es keine Garantie für die Abgeordneten, dass einzelne Richter das auch so sehen. So verabschiedete der Landtag 2015 ein zweites Gesetz zum Detailhandel in Gewerbezonen – wenige Tage vor dem Urteil des Verfassungsgericht zum ersten Gesetz, das die Regierung prompt angefochten hatte. Unternehmer aus der Bozner Industriezone mit Einkaufszentrums-Plänen hatten mit millionenschweren Schadensersatzforderungen gedroht.

Zum geplanten Südtiroler Corona-Gesetz könnte folgendes Klage-Szenario entworfen werden: Ein Bürger infiziert sich mit dem Virus nachweislich in einem Gastbetrieb, der auf der Grundlage des Gesetzes einige früher geöffnet wurde als die Betriebe im restlichen Italien. Der Bürger könnte, zumindest theoretisch, die Abgeordneten verklagen, die es verabschiedet haben.

Größere Gefahren bietet laut Verfassungsrechtler Palermo ein etwaiges Strafverfahren der Staatsanwaltschaft zum hypothetischen Tatverdacht des Angriffs auf die staatliche Sicherheit.

Hier drängt sich der Vergleich mit Katalonien auf, wo mit dem Unabhängigkeitsvotum allerdings die Integrität des spanischen Staates infrage gestellt wurde. So gesehen kann ein Corona-Landesgesetz als Initiative zur sanitären Loslösung vom Staate Italien betrachtet werden.

Andererseits gibt es in der italienischen Verfassung keine Bestimmung, die Notstände wie den aktuellen regelt. Darauf hat am Dienstag auch Verfassungsgerichtshof-Präsidentin Marta Cartabia hingewiesen: „Es gibt keine Spezial-Bestimmungen für außerordentliche Zeiten“.

Nachdem die Südtirol-Autonomie Verfassungsrang hat und die Dekrete des Ministerpräsidenten zur Corona-Krise einfache Gesetze sind, eigentlich ein Argument für den angepeilten Sonderweg über ein Landesgesetz.

Dass dieser in erster Linie darauf abzielt, von der Regierung auf diplomatischem Wege Zugeständnisse zum Corona-Zeitplan zu erzwingen, ist wiederum ein anderes Thema.

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (8)

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  • pingoballino1955

    Herr Vikoler,der letzte Satz in diesem sehr interessanten Bericht wird definitiv „FAKT“ sein. Die SVP will sich wiedereinmal mit Tricks profilieren,wird ihr nicht gelingen.Das Volk versteht schon,was da für ein Spielchen getrieben wird !!!! Jetzt noch einige Tage Wirbel um nichts,denn der Staat hat ja schon Signal gezeigt vor dem 18 Mai für bestimmte Regionen zu verhandeln.Immer abhängig von den Corona Zahlen der betroffenen Region! Bereits gestern am 1. Mai hat Conte dies im Parlament bestätigt.(RAI 3) Vor dem 11.Mai würde auch bei uns nichts passieren ,also dreht es sich um ein paar lächerliche Tage und der Staat macht ohnehin den Weg frei.

    • leser

      Pingopallino
      So ist es
      Noch dazu ist das schwerwiegendste die Tatsache dass der stiefelstaat nicht in der Lage ist notwendige Finanzhilfen aus eigener Kraft zu stemmen
      Wir sehen dass bis jetzt jede breitspurig angekündigte Hilfszusage ausgeblieben ist
      Tatsache wird auch sein dass nach 3monatigem totalstillstand nichts mehr so sein wird wie vorher und dass es ein kompletter Stumpfsinn ist zu glauben dass nach ein paar Monaten alles so ist als wäre nichts passiert
      Aber genausogut könnte man es auch so verstehen dass man das koronavirus als Vorwand genommen hat um eine Erklärung oder ein Alibi vorzulegen dass der ganze Karren an die wand fährt und ein nullstand mit all seinen Schadensbildern und Auswirkungen verordnet werden kann
      Aber ein positives haben wir doch
      Wir haben mit Conte zumindest einen gemässigten Ministerpräsidenten in der Rolle als diktator es wäre nicht auszudenken wenn wir einen Salvini mit seinem Pöbel jetzt in dieser Position hätten

  • leser

    Die Politiker müssen halt einmal zeigen dass sie Mut haben

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