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Der verlorene Pass

Philipp Achammer mit Sebastian Kurz

Der Doppelpass für die Südtiroler wird nicht im Koalitionsprogramm der türkis-grünen Regierung aufscheinen. Welches Zuckerle Kanzler Sebastian Kurz den Südtirolern geben wird.

von Artur Oberhofer

Philipp Achammer gibt sich zugeknöpft: „Ich kann in dieser Phase nicht mehr sagen, als das, was ich zum Thema bereits gesagt habe.“

Die Geheimniskrämerei des SVP-Obmannes ist verständlich. Denn Philipp Achammer ist am vergangenen Samstag in der ÖVP-Bundesparteizentrale in Wien mit dem designierten österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz zusammengetroffen. In diesem vertraulichen Gespräch informierte Kurz den SVP-Chef über den Verlauf der Koalitionsverhandlungen mit den Grünen. Und es ging natürlich auch darum, was im Koalitionsprogramm über Südtirol drinnen stehen soll.

SVP-Obmann Philipp Achammer wollte sich nach dem Gespräch mit Kurz nicht festlegen. Er sagte nur, dass er in Wien darauf gepocht habe, dass „etwas über Südtirol im Koalitionsprogramm drinsteht“.

Der TAGESZEITUNG liegt nun exklusiv ein Arbeitspapier jener Untergruppe vor, die bei den Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und Grünen das Thema Südtirol behandelt hat.

Der Informant bestätigt einerseits, dass die türkis-grüne Regierung „in den Tagen zwischen Weihnachten und Silvester stehen“ werde. ÖVP und Grüne hätten die großen ideologischen Brocken ausgespart und sich auf ein „recht pragmatisches Koalitionsprogramm verständigt“. Sicher ist: Der Doppelpass für die Südtiroler wird im Koalitionsprogramm der neuen Regierung Kurz nicht vorkommen. „Es ist in den Verhandlungen recht schnell klargeworden, dass das Thema Doppelpass keine Rolle spielen wird“, sagt der ÖVP-Unterhändler im Hintergrundgespräch mit der TAGESZEITUNG.

Damit ist der Doppelpass für die Südtirol vom Tisch. Zumindest für die nächsten Jahre, so lange die türkis-grüne Regierung im Amt ist.

Warum diese Entscheidung?

Die Grünen haben in den Koalitionsgesprächen signalisiert, dass das Thema Doppelpass für die Südtiroler mit ihnen nicht machbar sei. Andererseits steht der Doppelpass in den ÖVP-Agenden nicht so weit oben, als dass man die Erwähnung desselben im Koalitionspapier zur Bedingung hätte machen müssen.

Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen der ÖVP und der FPÖ im Herbst 2017 war es anders: Da war der Doppelpass für die FPÖ eine Conditio sine qua non, und die ÖVP konnte argumentieren, dass der Doppelpass ein Anliegen der Südtiroler Schwesterpartei SVP sei, also könne sie diesem Anliegen zustimmen.

In der ÖVP hat man sich nun auf folgende Diktion geeinigt: Der Doppelpass komme nicht ins Koalitionsprogramm, weil der grüne Koalitionspartner der Doppelstaatsbürgerschaft in diesem Moment ablehnend gegenüberstehe.

Am Ende haben also auch die Doppelpass-Befürworter innerhalb der ÖVP einsehen müssen, dass es mit den Grünen keine Spielräume gibt.

Der ÖVP-Verhandler sagt über die Grundstimmung innerhalb der Volkspartei: „Die ÖVP wäre, rein ideologisch gesehen, der FPÖ näher, als den Grünen, aber selbst die Befürworter einer türkis-blauen Koalition haben eingesehen, dass die Situation in der FPÖ so katastrophal und explosiv ist, dass eine Zusammenarbeit in diesem Moment nicht möglich gewesen wäre.“ Aber freilich, sollte es irgendwann wieder zu einer ÖVP-FPÖ-Mehrheit kommen, könne das Thema Doppelstaatsbürgerschaft „schnell wieder da sein“.

Wohl ahnend, dass eine türkis-grüne Regierung den Doppelpass in die Schublade der Geschichte verbannen würde, ist die Initiativgruppe Doppelpass mit Sven Knoll und Schützen-Chef Jürgen Wirth Anderlan an der Spitze am vergangenen Montag nach Wien gereist, um nochmals einen verzweifelten Rettungsversuch zu starten.

Den Parlamentsclubs wurden 1.000 Unterschriften übergeben.

Das Kalkül der Initiativgruppe Doppelpass: Wien solle das Doppelpass-Problem mit einem Brexit-Gesetz lösen.

Um was geht es?

In Österreich gibt es Pläne, jenen Staatsbürgern, die in Großbritannien leben und mit dem Brexit aus der Europäischen Union „hinausfliegen“, die Möglichkeit eines Doppelpasses einzuräumen, so dass diese also Doppelstaatsbürger werden können.

In dieses Brexit-Gesetz für die in Großbritannien lebenden Österreicher möchte die Initiativgruppe Doppelpass auch die Südtiroler „hineinpacken“.

Der ÖVP-Unterhändler sagt aber ganz klar: „Das wird mit der türkis-grünen Regierung sicher nicht gehen.“

Bleibt also die Frage, was im Koalitionsprogramm der türkis-grünen Regierung über Südtirol stehen wird.

SVP-Chef Philipp Achammer hat dem designierten Kanzler Sebastian Kurz am vergangenen Samstag ganz klar gesagt, dass etwas über Südtirol im Koalitionspakt stehen müsse. Andernfalls habe die SVP ein Problem.

Nach Informationen der TAGESZEITUNG wird Südtirol im Koalitionsprogramm der türkis-grünen nun doch vorkommen. Die Frage ist nur, für welches von zwei möglichen Zuckerlen sich Sebastian Kurz und die Grünen entscheiden werden.

Möglichkeit Nr. 1: Die Koalition verpflichtet sich, die Schutzmachtfunktion Österreichs für Südtirol im Zuge einer Verfassungsreform in der österreichischen Bundesverfassung festzuschreiben. Für eine Verfassungsnovelle bräuchte es auch die Stimmen der FPÖ.

Möglichkeit Nr. 2: Die Koalition tritt gegenüber Italien dafür ein, dass Italien jene Kompetenzen, die bis zur Abgabe der Streitbeilegungserklärung 1992 bilateral ausgemacht und in Kraft waren, wieder herstellt (im Zuge von Verfassungsreformen nach 1992 waren einige Kompetenzen – wie etwa jene im Bereich Umwelt – eingeschränkt worden). Also Italien würde von Österreich aufgefordert, diese Kompetenzen wieder herzustellen.

Sebastian Kurz hatte bereits 2014 als Außenminister einen entsprechenden Brief an Italien gerichtet.

Der ÖVP-Unterhändler sagt: „Einer von diesen beiden Punkten kommt ins Koalitionsprogramm.“ Wahrscheinlicher sei Punkt 1, denn Punkt 2 – so der Informant – könnte bei Italien für Verstimmung sorgen.

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Kommentare (39)

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  • pingoballino1955

    Also kein „Zuggerle“ für die bevorstehenden Gemeinderatswahlen guter Achammer! Der Doppelpass ist Geschichte.

  • erich

    quovadis, diese Diskussion wurde in den 60iger und 70iger Jahren geführt, also ein alter Hut. Die jungen gebildeten Südtiroler sprechen heute 3 Sprachen und sie werden trotzdem Südtiroler bleiben. Wer hat dann mehr Vorteile, der Südtiroler der 3 Sprachen spricht oder der Italiener der nur eine spricht, höchstens zwei. In immer mehr Firmen die international operieren wird nur mehr englisch gesprochen. Wenn wir die Sprachentwicklung der letzten 50 Jahre erlebt haben und diese auf die nächsten 50 Jahre umlegen dann wird auch in Südtirol die Hauptsprache englisch sein.

  • rowa

    der Doppelpass war ja von Anfang an eine Totgeburt.
    Und wegen dem Verschwinden der deutschen Sprache: schaut euch doch die Produkte der Werbestrategen an, da gibt es nur mehr jede Menge englischer Ausdrücke von megasale, megastore usw. und vielerorts in der Touristikwerbung nur mehr italienische Bezeichnungen … Skigebiet Carezza, Alta Pusteria & Co.

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