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Der verschollene Doktor

Weil gleich zwei Notärzte „vergessen“ hatten, dass sie Nacht- bzw. Bereitschaftsdienst hatten, entstand während eines Nachtdienstes beim Weißen Kreuz in Bozen eine brenzlige Situation. Ein Insider packt aus und behauptet: Es handle sich um keinen Einzelfall.

von Artur Oberhofer

Das Schreiben trudelte vor wenigen Tagen beim Landesrettungsverein Weißes Kreuz und bei der Landesnotrufzentrale ein.

Ein Freiweilliger Helfer des Weißen Kreuzes erhebt in dem Brief, der der TAGESZEITUNG vorliegt, schwere Vorwürfe gegen mehrere Notärzte. Es geht darum, dass der Notarztdienst beim Nachtdienst vom 19. auf den 20. Jänner dieses Jahres stundenlang nicht gewährleistet war – weil ein Notarzt vergessen hatte, dass er Dienst hat, und weil ein zweiter Notarzt sich nicht mehr daran erinnerte, dass er in jener Nacht in Bereitschaft ist.

Ein Auszug aus dem Schreiben:

„Ich erlaube mir, Sie zu informieren, dass es in der ebenbesagten Nacht bei der Dienstabdeckung des notarztbesetzten Rettungsmittels NAW WK (…) zu Unregelmäßigkeiten bei der ordnungsgemäßen personellen Besetzung desselben gekommen ist.

Im konkreten Falle musste von der diensthabenden Rettungsmannschaft, nach erfolgtem Dienstantritt um 19.00 Uhr, der Umstand festgestellt werden, dass sich bis zu diesem Zeitpunkt kein Notarzt zum Dienst präsentiert hatte. Daraufhin suchte die auf dem notarztbesetzten Rettungsmittel NAW WK (…) zum Dienst eingeteilte Mannschaft, welcher auch meine Wenigkeit angehörte, das Notarztzimmer auf, um sich zu vergewissern, dass ein Arzt im Hause präsent sei. In der Folge musste jedoch festgestellt werden, dass das Notarztzimmer leer stand und auch in den restlichen Sektionsräumlichkeiten kein Arzt anzutreffen war.

Über den soeben genannten Umstand wurde, so wie es die internen Weisungen vorsehen, umgehend der diensthabende Turnusleiter informiert, welcher seinerseits die Problemmeldung sofort an die Landesnotrufzentrale weiterleitete.

Das diensthabende Personal der Landesnotrufzentrale ließ daraufhin nach kurzer interner Abklärung verlauten, dass der zum Dienst eingeteilte Notarzt, Herr Dr. (…) seinen Dienst offensichtlich vergessen habe und derzeit gerade in Innsbruck verweile.

Zudem wurde vom Personal der Landesnotrufzentrale angekündigt, dass man den eigenen diensthabenden Bereitschaftsarzt umgehend verständigen und zum Dienst berufen wolle.

Doch wie sich in einem anschließenden Gespräch mit dem diensthabenden Turnusleiter der Landesnotrufzentrale herausstellen sollte, hatte offensichtlich auch der diensthabende Bereitschaftsarzt der Landesnotrufzentrale, Herr Dr. (…), seinen Bereitschaftsdienst vergessen.“

Zusammengefasst:

Weder der für den Nachtdienst eingeteilte Notarzt, noch der Bereitschaftsarzt der Landesnotrufzentrale konnten den Dienst „innerhalb eines vertretbaren Zeitrahmens“ (so heißt es in dem Brief) antreten.

In der Folge sei „ad hoc“ eine Ärztin, die an jenem Abend eigentlich frei gehabt hätte und sich bereits Zuhause befand, von der Landesnotrufzentrale kontaktiert und ersucht worden, den Dienst ersatzweise zu übernehmen. „Da Letztere sich nicht dazu bereiterklärte“, so heißt es in dem Brief, „wurde vonseiten der Landesnotrufzentrale an die diensthabende Mannschaft des Rettungsmittels (…) die Anweisung erteilt, man möge im Falle eines Einsatzes Frau Dr. (…) mit dem Einsatzfahrzeug zuhause abholen.“

Ein weiterer Auszug aus dem Brief:

„Auch wenn es im besagten Zeitraum glücklicherweise zu keinem Einsatz kam, hätte diese Vorgehensweise, allen voran der für das Abholen der Ärztin benötigte Umweg und der damit verbundene zeitliche Mehraufwand, zweifelsohne zu Verspätungen bei der Primärversorgung des Notfallpatienten geführt, wobei auch in diesem Zusammenhang drohender Imageschaden bei der Bevölkerung für den Landesrettungsverein selbst nicht auszuschließen gewesen wäre.“

Wie ging es weiter:

Schlussendlich konnte das notarztbesetzte Rettungsmittel erst um 21.39 Uhr, also mehr als zweieinhalb Stunden nach Dienstbeginn, ordnungsgemäß besetzt werden, nachdem der Notarzt, der den Dienst „vergessen“ hatte, in der Zwischenzeit aus Innsbruck zurückgekehrt war.

Der Freiwillige Helfer schreibt abschließend in dem Brief:

Abschließend darf mit Verlaub noch daran erinnert werden, dass es sich bei ebenbesagtem Vorfall keineswegs um einen Einzel- oder Präzedenzfall handelt.

Es ist mir sehr wohl bewusst, dass es in meiner Eigenschaft als Freiwilliger Helfer des Landesrettungsvereins nicht in meine Zuständigkeit fällt, Kritik an der organisatorischen und operativen Abwicklung der notärztlichen Diensteinteilung zu äußern.

Dennoch betrachte ich es als Mitglied des Landesrettungsvereins als meine Pflicht, Sie über den sich zugetragenen Vorfall in Kenntnis zu setzen, in der Hoffnung, dass sich solche oder ähnliche Vorkommnisse nicht mehr wiederholen mögen.“

 

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