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„Er drohte uns mit dem Tod“

Matteo Gavinelli

Die Erfahrungen von Matteo Gavinelli, einem 40-jährigen Arzt der Notaufnahme im Krankenhaus Bozen und Opfer einer Aggression, zeigen, dass der Weg zu einem respektvollen Umgang mit dem am stärksten gefährdeten Gesundheitspersonal noch ein weiter ist.

Nicht ohne Zufall erscheint die Geschichte von Matteo Gavinelli in dieser Woche.

Denn der vergangene 12. März war der nationale Tag für die Vorbeugung von Gewalt gegenüber dem Personal im Gesundheitswesen.

„Ich begann vor etwa 15 Jahren mit meiner Tätigkeit in der Notaufnahme. Für mich ist es einer der interessantesten Bereiche, haben wir doch tagtäglich mit zahlreichen und unterschiedlichen medizinischen Fällen zu tun“, so der Facharzt der Notfallmedizin. Seit zwei Jahren arbeitet er in der Notaufnahme des Landeskrankenhauses Bozen. „Und, als ich mit der Facharztausbildung begann, war dies noch ein junges Fach, das mir interessante Karrieremöglichkeiten eröffnete.“

Gavinelli stammt aus der Provinz Novara und ist Vater zweier Kinder von zwei und sechs Jahren. Er hat eine analytische und umfassende Sicht auf die Problembereiche in der Notaufnahme, die er als ein „genaues Abbild“ unserer Gesellschaft bezeichnet.

„Anders als bei dem im Fernsehen weit verbreiteten Bild des „Arztes aus vorderster Front“ ist die Notaufnahme, vor allem in Italien, nicht nur ein Ort für echte Notfälle, sondern oft auch ein Ort für soziale Problemfälle. Viele Situationen sind auch eher dem pflegerischen als dem medizinischen Bereich zuzuordnen. Dies alles führt zu langen Wartezeiten und hat zur Folge, dass bei den Patienten und den Angehörigen, aber auch beim Gesundheitspersonal selbst, Unzufriedenheiten entstehen.“

Anspannung pur

Selbst wenn Gavinelli den Angriff vom vergangenen November schildert, bleibt er nüchtern und konzentriert sich mehr auf die Analyse der Fakten als auf die erlittene Beleidigung selbst: „Der Patient war sehr jung, vermutlich keine 30 Jahre alt. Schon bei der Triage hatte er ein aggressives und unangemessenes Verhalten an den Tag gelegt. Dies führte dazu, dass das Sicherheitspersonal sofort auf ihn aufmerksam wurde.“

Wir neigen oft dazu, nur körperliche Aggressionen als Gewalt zu bezeichnen und spielen andere Verhaltensweisen – wie Drohungen, Belästigungen und schwere verbale Beleidigungen – herunter, wie sie der Mediziner auf der Notaufnahme erlebte und die ebenso schädlich und perfide sind. „Es ließ sich nicht feststellen, ob sich der Mann in einem durch Substanzen hervorgerufenen veränderten Bewusstseinszustand befand“, erklärte Gavinelli. „Tatsache war, dass der Patient eine instrumentaldiagnostische Untersuchung für ein Problem, das seit mindestens einem Monat bestand, verlangte. Darüber hinaus hatte er eine zuvor vorgeschlagene Behandlung abgelehnt. Unter diesen Bedingungen war es äußerst kompliziert, mit ihm ins Gespräch zu kommen.“

Vermittlungsversuche

Der Arzt des Südtiroler Gesundheitsbetriebes bemühte sich jedoch um eine Einigung mit dem Patienten, zeigte sich versöhnlich und verständnisvoll. „Obwohl er nicht bereit war, vernünftig zu reden, versuchte ich ihm zu erklären, warum einige seiner Forderungen fehl am Platz waren. Dann versicherte ich ihm, dass verschiedene Untersuchungen zu seinem Gesundheitszustand gemacht werden würden. Auf diese Weise versuchte ich die Situation zu beruhigen und wollte außerdem keine weitere Zeit verschwenden, denn wir sind in der Notaufnahme für die Gesundheit von vielen Menschen verantwortlich.“

Der Übergriff

Gavinelli dachte, dass sich die Lage beruhigt hätte und bat den Patienten erneut zu warten, bis er an die Reihe kam. Er verließ den Untersuchungsraum und setzte seine Arbeit in der Ambulanz fort. Einige Minuten später begann der Patient jedoch erneut zu schreien, noch heftiger als vorher. „Er machte wieder einen Aufstand, begann zu schimpfen, drohte uns mit Gewalt und mit dem Tod. Außerdem schlug er auf die Einrichtungsgegenstände in der Notaufnahme ein.“

In diesem Moment wurde eine Intervention durch die Ordnungskräfte, die sofort alarmiert worden waren, notwendig. „Der Patient wurde verhaftet und abgeführt. Wäre der interne Wachdienst nicht da gewesen, hätte alles noch viel schlimmer ausgehen können.“

Ist „De-Eskalation” (un)möglich?

Es war nicht das erste Mal, dass Gavinelli zum Zeugen eines derartigen Vorfalls, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen, wurde. „Es gibt klassische Situationen, in denen wir uns in Gegenwart von Patienten und Angehörigen befinden, die versuchen, unser Handeln mit passiv-aggressiven Verhalten zu beeinflussen und damit ihrer Unzufriedenheit Ausdruck verleihen. Natürlich hat jeder Mitarbeiter seine Grenzen und auch unterschiedliche Fähigkeiten, derartige Ereignisse zu verarbeiten. Nach dem Vorfall hatte ich weniger Mühe wieder zur Arbeit zu gehen, aber ich fühlte eine gewisse Frustration angesichts der Tatsache, dass es offensichtlich länger gedauert hatte, den Vorfall anzuzeigen, als der Mann brauchte, um die Polizeistation wieder zu verlassen.“

Manchmal können auch Konflikte entstehen, weil Patienten, zu Recht oder zu Unrecht, ein mangelndes oder völliges Fehlen von Empathie derjenigen spüren, die sie behandeln. Dazu hat der Arzt der Notaufnahme sehr klare Vorstellungen: „Wir befinden uns gerade in einer klassischen Situation eines ‚Kriegs unter Armen‘. Auf der Notaufnahme treffen einerseits die Wünsche der Patienten und der Angehörigen, die oft denken, dass ihr Problem sofort gelöst werden muss, auf ein manchmal müdes Gesundheitspersonal, das vielleicht schon seit vielen Stunden in einem hohen Tempo im Einsatz steht. Bei 80% der Fälle von Aggressionen ließe sich mit ausreichend Zeit für Gespräche und guten Erklärungen eine Deeskalation erreichen. Leider ist dies nicht immer möglich, weil der Patient schon aggressiv ist und nicht die Absicht hat, zuzuhören oder weil er Substanzen konsumiert hat. Außerdem kann die sprachliche Barriere einen Einfluss haben, wenn jemand eine wenig bekannte Sprache verwendet und kaum Deutsch, Italienisch oder Englisch beherrscht. Es kann natürlich auch eine Kombination all dieser Faktoren sein.“

Das Schreckgespenst Burnout

Bei all dem besteht für das Gesundheitspersonal immer das Risiko für ein Burnout, da es das Gefühl hat, sich in einem permanenten Ausnahmezustand zu befinden. „Überall auf der Welt, aber besonders in Italien, besteht für Mitarbeitende in der Notaufnahme ein sehr hohes Risiko für Burnout. Durch Covid hat sich diese Situation noch weiter verschärft, insbesondere für das Personal der Triage. Außerdem ist zu bedenken, dass diese ständigen Anspannungen und laufenden Unterbrechungen zu klinischen Fehlern führen könnten, die den Patienten selbst schaden.“

Aber wie kann das Problem in den Griff bekommen werden?

„Bei 80 Prozent der Fälle würde es schon genügen, sich ausreichend Zeit für ein Gespräch zu nehmen, auch wenn die Zeit oft nicht zur Verfügung steht. Genauso muss oft erklärt werden, dass man nicht in der Reihenfolge des Eintreffens behandelt wird, sondern nach unterschiedlichen Dringlichkeitsstufen. Wenn ich jedoch einen Rat geben müsste, um das Risiko eines Angriffs zu verringern, wäre es, die Unterstützung anderer Mitarbeitenden zu suchen, sobald man in eine Situation gerät, die als potenziell gefährlich eingestuft wird.“

Der Südtiroler Sanitätsbetrieb bietet den Mitarbeitenden spezielle Kurse zur Bewältigung von Aggressionssituationen an.

Weitere Maßnahmen, die getroffen worden sind, sind unter anderem Videoüberwachung, abschließbare Räume, in denen bei Bedarf Zuflucht gefunden werden kann, eine ausreichende Beleuchtung aller Bereiche und der Parkplätze, Systeme, mit denen direkt die Ordnungskräfte gerufen werden können und die Installation von Bildschirmen, die die Reihenfolge der bei der Aufnahme vergebenen Nummern anzeigen und ständig aktuelle Informationen zu den Wartezeiten liefern.

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (14)

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  • summer1

    Unsere Gesellschaft ist einfach nur mehr krank und dekadent.

    • pingoballino1955

      SUMMER 1 ,meinst du dich??Warte mal als älterer Mensch über 80 4 Stunden in der Notaufnahme in Bozen,dann wundere dich nicht wenn die Leute agressiv werden, bevor sie tot vom Wartestuhl fallen! Die Agressionen gegenüber den Ärzten und CO.ist in keiner Weise zu rechtfertigen,da hat es in den letzten 10 Jahren beim SVP Kompatscher,Zerzer und seiner kor. MANSCHAFT gefehlt! CAPITO!!!

      • placeboeffekt

        Pingo

        Es obliegt der Notaufnahme, die Dringlichkeit einzustufen.

        Aus persönlichen Erfahrungen kann ich sagen, dass die Wartezeit in Australien auch bei weniger gravierenden Fällen unter fünf Minuten liegt. Hier mal eine kleine Statistik:

        „Emergency – Within 10 minutes. Urgent – Within 30 minutes. Semi-urgent – Within an hour. Non-urgent – Within two hours.“

        Wäre interessant eine derartige Übersicht auch fürs KH Bozen zu bekommen

        Die Ursache fürs Ausrasten von Patienten könnte darin liegen, ihre Schmerzen nicht gebührend anerkannt zu bekommen.

        Als Notarzt wird man da weniger zimperlich und empathisch mit mehr oder weniger wehleidigen Patienten.

        • summer1

          Placebo…
          Nun, die Schnerzen nicht genügend gewürdigt? Aus persönlicher Erfahrung sage ich dir, dass Italiener und andere Patienten beim geringsten Wehwehchen so tun, als würden sie gleich sterben.
          Die bekannte Männergrippe sei hier nur nebenbei erwähnt.

      • summer1

        Pingo
        Du fragst mich nicht nach CAPITO, wer bist du denn?
        Außerdem hat hier ein unter 30jähriger randaliert und kein über 80jähriger.
        4 Stunden warten bei nicht dringenden Fällen macht niemanden krank.
        Ich bin letzthin in der Notaufnahme gewesen, innerhalb einer Stunde Erstvisite, Röntgen und Schiene bekommen. Schneller wäre es in einer Privatklinik auch nicht gegangen.
        Was du hier also schreibst ist nur deinem Dauerfrust und deinem SVP-Hass geschuldet. Und sonst gar nichts. CAPITO?

      • meintag

        Es ist schon ziemlich anmaßend wenn sich Pensionist aus dem oberen Vinschgau bezüglich der Notaufnahme im KH Bozen Hier negativ äußert.
        Dass die Triage in den Krankenhäusern nicht Immer nach Wunsch der Patienten vorgenommen wird ist nachzuvollziehen.
        Eine Vorauswahl muss aber vom Fachpersonal gemacht werden. Wenn eine Person mit Verletzungen eingeliefert wird, ist es für das Ärzteteam klar was Vorrang hat. Wenn aber andere Bereiche des menschlichen Körpers schmerzbedingt auf Linderung durch Zuhilfenahme in der Notaufnahme kommt, ist eine Prognose mitunter nicht mit der ersten Untersuchung abgeklärt. Wir sollten froh sein dass Ärzte und Pfleger mit Zuhilfenahme der vorhandenen Technik in den meisten Fällen für die Klärung und so der Besserung des jeweiligen Patienten erfolgt.

  • placeboeffekt

    Kein Wunder wenn sich junge Menschen gegen eine derartige Laufbahn entscheiden

    Wenn Medizin, dann wähle man doch eine Laufbahn alsSchönheitschirurg .

    Etwas Botox, ein bisschen Fettabsaugung, und ein prall gefülltes Bankkonto ist einem sicher

  • gerhard

    Das Verhalten dieser aggresiven Menschen ist verwerflich und nicht akzeptabel.
    Aber.
    Die Zustände in der Notaufnahme sind gleichermaßen inakzeptabel.

    Aus eigener schmerzlicher Erfahrung weiss ich zu berichten.
    Meine Schwiegertochter hat in diesem empathielosen und menschenverachtenden Loch 8 Stunden mit einer bitterbösen Harnwegsinfektion warten müssen bis Sie schließlich vor Schmerzen kollabierte und dann als Notfall versorgt wurde.
    Es ist den dort arbeitenden Mitarbeitern schlichtweg egal.
    Kommt jemand mit dem Rettungswagen, wird er sofort versorgt, wartet jemand auf dem Stuhl in der Notaufnahme, dann soll er gefälligst warten.
    Ich arbeite im Rettungsdienst und kann das menschenverachtende Verhalten in der Notaufnahme durchaus einschätzen.
    Das habe ich noch in keinem anderen Krankenhaus erlebt.
    Wenn auf dem Campingplatz in Kaltern jemand erkrankt rate ich immer dazu, die 130 km weiter nach Insbruck zu fahren.
    Oder er soll einen Krankenwagen anrufen. Dann wird er dort in Bozen auch behandelt.
    In Insbruck warten kompetente Ärzte und liebevolles Pflegepersonal auf die Patienten.
    In Bozen scheint man der natürliche Feind der Mitarbeiter in der Notaufnahme zu sein.
    Ich bin gespannt, ob sich das durch die neue Führung dort ändert.

    • meintag

      Und wieder Einer der zwar beim weissen Kreuz geregelte Fahrten mit Patient nach Bozen macht weil dort Untersuchungen gemacht werden können die in den anderen KH nicht sind. Dass aber gesamte Notaufnahme in Bozen dermassen abwertend beschrieben wird zeigt dass solche Personen umgehend vom Dienst entlassen gehören.

  • kritiker

    An gerhart
    Wenn es ein gut funktionierenes Hausarztsystem geben würde, hätte Ihre Schwiegertochter vom Hausarzt behandelt werden können und sie hätte nicht 8 Stunden wrten müssen. Da hat der neue Generaldirektor und der neue Landesrat sicherlich noch viel zu tun

  • nochasupergscheiter

    Weiss nicht ob das wirklich so ist Kritiker…
    Die Hausärzte stöhnen ja auch, weil in den letzten Jahren die Bürokratie sich verzehnfacht, und keine Zeit fürs normale Arbeiten bleibt…
    Das Land gibt Millionen über Millionen für software aus die schlechter als die alte ist, die ein einzelner Programmierer gemacht hat…
    Alperia macht das gleiche…
    Und zum Schluss kommt man drauf, dass alles nicht funktioniert, und die Millionen für die Katz waren… Die zahlen dann wieder den gleichen idioten, mit denen Verträge gemacht wurden, die keine Garantien enthalten, wieder viele Millionen…
    Überall kommen Kameras hin, um uns zu kontrollieren. Gleich ob Verkehrs- oder Speedboxen oder andere Kameras…
    Die Digitalisierung ist total gescheitert weil schwieriger und langwieriger als wenn man’s mit Zettel macht…
    Zum Schluss tun alle nur mehr kontrollieren, sich wehren, oder nichts – weil sie keine Verantwortung wollen bzw dafür nicht genug Geld bekommen, und ansonsten tun sie Zettel ausfüllen…
    Aber richtig arbeiten tut niemand mehr…
    Ärzte muss man anlocken, und ich glaube nicht dass sich hier die grosse Qualität anlocken gelassen hat…
    Letztendlich ist die Politik der letzten 10 bis 20 Jahren total gescheitert…
    Work live Balance über alles, aber wirklich ranklotzen will niemand mehr…
    Die guten werden hinausgeekelt, weil sie sich z.b einer impfvorschrift nicht beugen wollen, und danach wundert man sich… Wenn immer weniger geworden ist…
    Da fehlt jeder einzelne Mensch…
    Woran liegts sonst, dass in den letzten Jahren alles noch schlechter geworden ist..
    Statt Mut und zusammenhalt wurde und wird Denunziantentum, Faulheit und Bürokratie gefördert, und wenn man ins Spital kommt und dort niemand ist, der sich kümmert, bzw alle denken: wenn ich nichts mach, kann man mich auch niemand drankriegen, ja dann ists mal so….
    Der weissheit letzter schluss jedenfalls: bevor wir uns nicht wieder aufs wesentliche konzentrieren, es lassen die Bürger und Arbeiter durch Kontrolle steuern zu wollen, wird sich wohl nichts ändern…
    Werden die jungen Leute halt statt Ärzte Festivalbesucher und australienreisende, statt ein Studium zu besuchen das Sinn macht…
    Bzw was zu arbeiten das Mehrwert bringt…

  • exodus

    Die Notaufnahmen sind leider immer überlastet, auch weil viele Patienten wegen jeder Kleinigkeit die Notaufnahme hernehmen, um so keine Voranmeldung mit Wartezeiten einzugehen.
    Habe genug Beispiele in meinem Umfeld…

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