„Unser Sonnenschein“
Keanu aus Algund ist einer von ganz wenigen Patienten weltweit, bei denen das Houge-Janssens-Syndrom-3 festgestellt worden ist.
Sie sind die Waisenkinder der Medizin: Patientinnen und Patienten mit einer seltenen Krankheit. Am 29. Februar, dem seltensten Datum im Kalender, wird auf ihre Probleme aufmerksam gemacht, wie der oftmals lange Weg zur richtigen Diagnose, wenig Therapiemöglichkeiten, kaum Spezialisten oder medizinische Forschung.
All dies trifft auch auf den 16-jährigen Keanu aus Algund zu.
Ein fast ganz normales Kind
Keanu ist einer von ganz wenigen Patienten weltweit, bei denen das Houge-Janssens-Syndrom-3 festgestellt worden ist. Es handelt sich um eine extrem seltene Genkrankheit, die bewirkt, dass seine Entwicklung im Vergleich zu anderen Kindern verzögert ist.
Keanu ist eigentlich immer fröhlich und sehr aufgeweckt. Vor allem liebt er es, Musik zu hören, zu singen und zu tanzen, erzählen seine Eltern. Mit seiner freundlichen Art bereitet er seiner Mama Samira und seinem Papa Roman viel Freude und auch seine Lehrerin nennt ihn „ihren Sonnenschein“. Während jedoch andere Kinder einfach erwachsen werden, wird Keanu aufgrund seiner seltenen Krankheit vom Wesen her immer ein Kind bleiben.
Der lange Weg zur Diagnose
Schon als Keanu sehr klein war, fiel seinen Eltern die Entwicklungsverzögerung auf. Zunächst beruhigte die Kinderärztin noch und erklärte, dass sich jedes Kind in seinem eigenen Tempo entwickeln würde. Weil Keanu mit etwa drei Jahren immer noch nicht gehen konnte, fast nicht redete und einige Anzeichen für Autismus hatte, wurde er im Krankenhaus Meran untersucht.
„Wir verstanden sofort, dass es sich um ein ernstes Problem handelte, aber die Ärzte tappten völlig im Dunkeln und konnten uns nicht sagen, was unserem Kind wirklich fehlte“, erinnert sich Samira.
Daraufhin wurde die Familie nach Bozen zum Genetischen Beratungsdienst des Südtiroler Sanitätsbetriebes überwiesen.
Dieses von Francesco Benedicenti geleitete spezialisierte Zentrum ist eine Anlaufstelle für Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf eine seltene oder extrem seltene Krankheit beziehungsweise für deren Angehörige. Anfangs brachte die molekulargenetische Untersuchung von Keanus Blutprobe keinen Hinweis auf einen Gendefekt, der mit seinem klinischen Erscheinungsbild vereinbar war. Für die Eltern folgte eine lange Phase der Ungewissheit. „Bei den Untersuchungen kam nichts heraus“, erzählte Samira, „wir waren sehr erschrocken, diese ersten Jahre waren wirklich schwierig für uns.“
Endlich Gewissheit
Eines der größten Probleme bei Patientinnen und Patienten mit seltenen Krankheiten ist, dass sie oft über lange Zeit keine richtige Diagnose erhalten. Auch bei Keanu konnte der Gendefekt erst Jahre später festgestellt werden, als die Ärztin vom Dienst für Genetische Beratung, Francesca Inzana, die Keanu anfangs untersucht hatte, die Eltern neuerlich kontaktierte und sie über eine neue Untersuchungsmethode des Referenzzentrums in Innsbruck informierte. Sie bat die Eltern, eine ihrer Blutproben von Keanu nach Innsbruck schicken zu dürfen und diese noch einmal untersuchen zu lassen.
Wenig später erklärte die Ärztin den Eltern, dass eine Mutation im sogenannte PPP2CA-Gen gefunden worden war, die für das Houge-Janssens-Syndrom-3 verantwortlich ist. Es sei eine extrem seltene Krankheit, seit 2019 finden sich in der wissenschaftlichen Literatur nur rund 20 beschriebene Fälle. Symptome seien eine verzögerte motorische und intellektuelle Entwicklung, aber auch Merkmale einer Autismus-Störung. Es ist gut möglich, dass es noch mehr Fälle gibt, diese aber noch nicht richtig diagnostiziert worden sind.
„Wir wissen jetzt zumindest, dass eine Mutation die Ursache für Keanus Probleme ist“, meint Roman und seine Frau Samira ergänzt: „Besonders in der ersten Zeit fühlte ich mich manchmal schuldig aufgrund seiner Probleme, aber es kann niemand etwas dafür. Es war sozusagen eine Laune der Natur. Ich bin jetzt wieder mehr zur Ruhe gekommen.“
Die Sorge über Keanus Zukunft bleibt bestehen. Seine Störung hat nun einen Namen, ist aber derart selten, dass es derzeit nicht möglich ist, eine Prognose für seine weitere Entwicklung zu geben.
Alles was Keanu tut, kommt direkt von Herzen
Die Familie lässt sich jedoch nicht unterkriegen und richtet ihr Leben voll und ganz nach Keanus speziellen Bedürfnissen aus. Wenn ihr Sohn nicht in der Schule ist, betreuen ihn die Eltern abwechselnd. Sie unternehmen viel und gehen häufig mit ihm spazieren. Dabei bestimmt Keanu das Tempo. Besonders gefällt es ihm, Bauarbeiter zu beobachten, auch Autos, Motorräder und Traktoren faszinieren ihn.
„Unser Sohn ist im ganzen Dorf bekannt, viele Menschen grüßen ihn und er erinnert sich an alle“, erzählt Vater Roman stolz.
In der Schule wird Keanu gut gefördert und ist sehr beliebt. Seine Lehrer/innen und Betreuer/innen betonen immer, dass es eine Bereicherung sei, ihn in der Klasse zu haben. Die Kinder lernen durch ihn die Welt mit anderen Augen zu sehen. Schon im Kindergarten gehörte Keanu immer dazu und spielte die gleichen Spiele wie die anderen Kinder.
Derzeit besucht er das Sozialwissenschaftliche Gymnasium mit Musikschwerpunkt im Meran. Keanu mag Musik sehr und interessiert sich auch für Sprachen. Er hört gerne Geschichten auf Italienisch und Englisch und spricht dann die Wörter, die ihm besonders gefallen, nach.
Auch wenn es nicht immer einfach ist, erleben Samira und Roman viele schöne Momente mit ihrem besonderen Sohn. „Keanu gibt uns so viel Liebe zurück, alles was er tut, kommt direkt von Herzen.“
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Kommentare (3)
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pingoballino1955
Viel Glück und Kraft für euren “ lieben“ Sonnenschein.Der Junge schafft das!
pingoballino1955
Ich wünsche EUCH ALLEN viel Glück und Kraft für euren “ lieben“ Sonnenschein.Der Junge schafft das!
vinschgermarille
Netter Junge, auch seine Familie, das kann ich bestätigen.