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„Eine gute Grundlage“

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Die EU möchte online strenger gegen Hassrede, Mobbing und Betrug vorgehen und hat dazu einen Rechtsakt genehmigt. Der Rechtswissenschaftler Matthias C. Kettemann erklärt, was es damit auf sich hat.

Tageszeitung: Herr Kettemann, vor wenigen Tagen trat der Digital Services Act in Kraft. Ziel ist es unter anderem, Hassrede, Mobbing und Betrug im Internet besser zu unterbinden. Was steckt dahinter?

Matthias C. Kettemann: Es handelt sich um den EU-Rechtsakt für digitale Dienste. Das Internet wird oft als rechtsfreier Raum bezeichnet. Das stimmt natürlich nicht ganz, aber die großen Plattformen wie TikTok, Facebook, Twitter oder Instagram konnten in den letzten Jahren oft machen, was sie wollten. Die Staaten hatten recht wenig in der Hand. Der Rechtsakt für digitale Dienste ermöglicht es den Staaten, die Plattformen besser zu kontrollieren und gibt uns Bürgern mehr Rechte in die Hand.

Welche Auswirkungen hat dieser Rechtsakt für Nutzer?

Bis vor dem Rechtsakt konnten die Plattformen nahezu selbst bestimmen, was sie auf ihrer Plattform haben wollen, wen sie löschen wollen, wie sie ihre Empfehlungssysteme einstellen wollen und so weiter. Der neue Rechtsakt gibt uns ein solides Rechtsschutzinstrumentarium in die Hand. Nutzer haben das Recht, informiert zu werden, wenn Inhalte gelöscht werden sollen, die Plattformen müssen bekannt geben, nach welchen Regeln sie moderieren, sie müssen transparent machen, welche Inhalte sie pushen oder verstecken, wie sie mit Desinformationen umgehen, sie dürfen Kinder nicht mehr tracken oder keine individualisierte Werbeinhalte ausspielen. Verbunden ist das mit einer strengen Aufsicht. In Italien macht das die Aufsichtsbehörde für das Kommunikationswesen (AGCOM).

Wie kann man sich das konkret vorstellen? Werden verbotene Inhalte wie Hassrede oder Mobbing künftig schneller gesperrt?

Hassrede ist bereits illegal, wenn sie eine Grenze überschreitet. Bisher waren die Plattformen aber nicht schnell. Weil es aber auch höhere Strafen gibt, wenn sie nicht effektiv gegen illegale Inhalte vorgehen, wächst bei den Plattformen die Motivation. Außerdem müssen die Plattformen bei der Moderation besser werden. Es gibt klare Regeln, an die sie sich halten müssen. Es ist daher zu erwarten, dass problematische Inhalte künftig schneller gesperrt werden.

Ist der Rechtsakt Ihrer Ansicht nach weitreichend genug, um die Phänomene zu unterbinden?

Der Rechtsakt alleine reicht sicher nicht aus. Es braucht auf jeden Fall Medienpädagogik. Junge Leute müssen lernen, wie man online kommuniziert, das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die eine ganze Generation betrifft. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir die sozialen Medien erst seit zehn, fünfzehn Jahren so intensiv betreiben, wie wir es jetzt tun. Neben diesen wichtigen rechtlichen Maßnahmen braucht es also auch noch pädagogische Maßnahmen, um das zu ergänzen. Der Rechtsakt bildet aber eine gute Grundlage, weil die Staaten etwas gegen die Plattform in die Hand haben.

Birgt dieser Rechtsakt nicht auch die Gefahr der Zensur im Internet?

Angesichts der großen Anzahl an Inhalten wird es immer Fehler geben. Die Plattformen verwenden Algorithmen, also automatisierte Filtersysteme, um Inhalte zu moderieren. Das sind also Maschinen, die nicht perfekt sind und beispielsweise Nuancen, Satire oder Humor weniger gut verstehen. Es wird immer Fälle geben, wo zu viel gelöscht wird, genauso wird fallweise zu wenig gelöscht werden. Aktuell ist das größere Problem aber, dass zu wenig gelöscht wird. Illegale Inhalte, die nicht gelöscht werden, sind, was die gesellschaftliche Wirkung betrifft, problematischer als ein legaler Inhalt, der fälschlicherweise gelöscht wird. Das ist zwar blöd für den Einzelnen, die Wirkung ist aber andersrum größer. Aber: Die Plattformen sind jetzt auch verpflichtet, die Nutzer über die Löschung zu informieren. Man hat außerdem ein Rechtsmittel dagegen vorzugehen. Jede Plattform muss darüber aufklären, wie man gegen die Löschung vorgehen kann und intern einen Rechtsschutz bereithalten, mit dem man die Löschung aufheben kann. Der Nutzer ist also auf jeden Fall besser geschützt als bisher.

Wie groß sind die Auswirkungen? Wird es künftig kaum noch illegale Inhalte auf diesen Plattformen geben?

Ich gehe davon aus, dass die Plattformen sich an den Rechtsakt halten und dort die Erfahrungen für Nutzer deutlich besser werden. Es wird immer illegale Inhalte geben, das ist auf der Straße aber auch nicht anders. Im Großen und Ganzen ist der Rechtsakt ein Schritt in die richtige Richtung. Der Rechtsakt kann vor allem auch außerhalb der EU-Wirkung zeigen. Sowohl in China als auch in den USA könnte es künftig strenger.

Gilt der Rechtsakt nur für große Plattformen oder auch für kleinere Webseiten oder private Blogs?

Es gibt bestimmte Verpflichtungen, die für alle Online-Dienste gelten, je größer die Plattform ist, desto mehr Verpflichtungen hat sie. Die mittelgroßen und kleineren Plattformen müssen beispielsweise ihre Algorithmen nicht veröffentlichen.

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Kommentare (2)

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  • foerschtna

    Das Problem sind nicht die illegalen Inhalte, oder beleidigende, rassistische o.ä. Kommentare im Netz, die sind durch das Strafgesetzbuch zur Genüge abgedeckt. Das Problem ist, dass mit dem „digital services act“ Beamte (oder die ihnen übergeordneten politischen Mandatare)einer EU-Behörde definieren, was „Hass im Netz“ oder „Falschinformationen“ sind. Da öffnet man der willkürlichen Zensur, die es ja in den Verfassungen der europäischen Staaten offiziell nicht gibt, Tür und Tor. So etwas kann dann ganz schnell auch dafür missbraucht werden, z.B. die politische Opposition mundtot zu machen, oder jegliche missliebige Meinung einfach zur „Falschinformation“ zu erklären. Da muss man sehr aufpassen, denn eine Demokratie ohne freie Meinungsäußerung ist keine Demokratie mehr. Dass sich vor allem die Linken für dieses Gesetz stark gemacht haben ist verständlich, ordnen sie doch ihrem „Kampf gegen Rechts“ mittlerweile alles unter, und alle, die nicht derselben Meinung sind wie sie, sind automatisch „rechts“. Sie sollten aber auch bedenken, daß ein solches Instrument, sollten in Zukunft einmal die bösen Rechten die Geschicke der EU bestimmen, auch von diesen instrumentalisiert werden könnte, und diese dann bestimmen, was „Hass“ oder „Falschinformation“ ist. Zensur sollte es in keinster Form geben, auch wenn sie noch so schön verpackt ist. Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden. Oder wie es Voltaire so schön gesagt hat: Ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie sie äußern dürfen.

  • cosifantutte

    „Hassrede ist bereits illegal, wenn sie eine Grenze überschreitet“

    Welche Grenze?

    Fallbeispiel aus dem Linken Berlin

    Ich zitiere aus der Neuen Züricher Zeitung „Wann gerät ein deutscher Bürger ins Visier des Verfassungsschutzes? Die Antwort darauf ist beunruhigend vage“:

    „Auch eine «transphobe» Äußerung kann heutzutage ein Fall von Volksverhetzung sein. Der Satz «Es gibt nur zwei Geschlechter» gilt bei der Meldestelle «Berliner Register» beispielsweise schon als rechtsextrem. Meldestellen dieser Art gibt es inzwischen – steuerfinanziert – im ganzen Land. Dort können Bürger verdächtige Äußerungen ihrer Mitmenschen melden. Die staatliche Gesinnungspolizei wird durch staatlich gefördertes Denunziantentum verstärkt.“

    Wo ist der Unterschied zur Stasi? Der Weg in die Gesinnungsdiktatur ist mit guten Vorsätzen gepflastert.

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