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„Einen Spalt breit geöffnete Tür“

Papst Franziskus (Foto: 123rf)

Die katholische Kirche wird in Zukunft auch homosexuelle Paare segnen. Ist dies der erste Schritt zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher Eheschließungen?

von Sandra Fresenius

Die Entscheidung riecht nach Revolution. Ist sie es auch? In einem am Montag vom Vatikan veröffentlichten Schreiben mit dem Namen „Fiducia supplicans“, was so viel bedeutet wie „das flehende Vertrauen“, hat der Papst den Weg zur Segnung homosexueller Paare geebnet. „Mit diesem Dokument hat niemand gerechnet und auch mich hat dieser Schritt überrascht und trotz der Ambivalenz, den dieses Dokument hat, denke ich, dass dies ein wichtiger Schritt ist“, äußert sich Johanna Brunner, Leiterin des Amtes für Ehe und Familie und damit auch der dort eingegliederten Arbeitsgruppe „Glaube und Homosexualität“ in der Diözese Bozen-Brixen. Auch Paolo Renner, ehemaliger Professor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen und heute Pfarrer in der Gemeinde Jenesien zeigt sich positiv überrascht, zumal diese Praxis in der Kirche bereits ziemlich verbreitet sei, wo doch alle Menschen, gleich welcher sexuellen Orientierung, Menschen seien, die von Gott geliebt seien und eine Unterstützung bekommen. „Das Dokument schafft Klarheit, damit die Praxis eine Begleitung, eine Rechtfertigung von oben bekommt. Vorher lag es im Ermessen jedes einzelnen Priesters den Segen zu erteilen“, so Renner.

Johanna Brunner weist darauf hin, dass jedoch klar unterschieden werden müsse, was dieses Dokument definiert und was nicht. „Es ändert auf jeden Fall nicht die katholische Sexualmoral. Da gibt es weiterhin Handlungsbedarf. Es ändert auch nichts am katholischen Eheverständnis, sondern es spricht einzig und allein vom Segen“, betont Brunner. Bisher wären zwar viele Personen gesegnet worden, aber Homosexuellen und Geschiedenen hätte man diesen Segen unter dem Verweis verweigert, dass diese unter moralisch verwerflichen Bedingungen leben würden. Die aktuelle Erklärung dagegen sagt nun, dass der Segen Gottes allen Menschen gilt. „Das ist für die Seelsorge eine große Chance“, so die Amtsleiterin.

Es handelt sich dabei aber nicht um die klassische Ehesegnung. Die nun zugesprochene Segnung darf nicht rituell und im Rahmen eines Gottesdienstes erfolgen. Homosexuelle Paare und geschieden Personen erhalten also weiterhin nicht das Sakrament der Ehe, welches eine vorformulierte Segensformen ist. Die Unterscheidung wird im Dokument klar betont. Daher bleibt der Wunsch nach einer formellen Anerkennung der Lebensweise von gleichgeschlechtlichen Paaren trotz des aktuellen Schreibens weiterhin ambivalent.

Das Besondere an der Segnung homosexueller Personen, die der Papst ausdrücklich erlaubt, sei, dass hier eine spontane Art gewählt werden solle. Das heißt je nach Situation soll ein Segen gesprochen werden, der dieser Situation auch angemessen sei. Es würde eine Art Rahmen vorgegeben, der vor Ort von den Seelsorgern und Priestern kreativ zu füllen sei. Wie der Segen gesprochen wird, definiert jeder Priester selbst. „Das hat den Hintergrund, dass die katholische Kirche sich nicht in rhetorischen Dingen verlieren und jedes Wort auf die Goldwaage legen will, sondern es um einen seelsorgerischen Zugang geht. Wenn man die Erklärung auf eine Ebene bringen würde, wo man allgemein verbindliche Vorgehensweisen findet, dann wäre das Risiko einer Zerreibung im Spannungsfeld der unterschiedlichen Meinungen und Auffassungen zu groß“, erklärt die Leiterin der Arbeitsgruppe „Glaube und Homosexualität“.

„Papst Franziskus ist jemand, der in kleinen Schritten Dinge ermöglicht, der versucht, Türen zumindest einen Spalt breit zu öffnen. Nun liegt es an uns in der Seelsorge, dass wir durch diese Türen auch hindurchgehen und schauen, was wir dahinter finden und wie wir dies gestalten“, so Johanna Brunner. Es würde bei den Entscheidungen des Papstes stets darum gehen, die Bedürfnisse und Situationen vor Ort anzuerkennen und danach das Kirchenrecht und die Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre auszurichten, interpretiert die Leiterin des Amtes für Ehe und Familie diesen Schritt des Papstes. Ob dieser letztlich dann auch zur Anerkennung der Eheschließung gleichgeschlechtlicher Paare führen würde, würde somit auch von der Umsetzung dieser neuen Möglichkeit der Segnung im pastoralen Handeln abhängen. „Wenn man wirklich sieht, dass daraus eine breite Praxis wird, dann kann ich mir vorstellen, dass auch entsprechende weitere Schritte folgen werden“, äußert sich Brunner für die Zukunft optimistisch, gleichwohl sie nicht in unmittelbarer Zukunft mit weiteren Schritten rechnet. Pfarrer Paolo Renner demgegenüber rechnet nicht mit einer Öffnung der Kirche in diesem Sinne. Er weiß, dass Homosexuelle in der Kirche zwar offiziell anerkannt werden und dass bereits Benedikt XVI. gesagt hätte, dass Homosexuelle nie unter Diskriminierung leiden dürften und bekräftigt: „Es geht hier auch jetzt nicht um Diskriminierung, sondern einzig um die Definierung einer Position, einer Überzeugung. Es ist keine Diskriminierung, es ist eine Differenzierung. Jeder hat eine klare Rollenaufteilung, jeder hat seine Aufgabe.“

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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