„In perfekter Harmonie“
Der Protest auf der Straße, die Galateo-Klagedrohungen, sein Wolf-im Schafspelz-Image und die Weiterentwicklung der Autonomie: Alessandro Urzì erklärt, wohin die Reise der Fratelli d’Italia mit der SVP gehen soll.
TAGESZEITUNG: Herr Urzì, am Samstag fand die dritte Kundgebung gegen eine Rechts-Regierung statt. Beeindrucken Sie diese Proteste?
Alessandro Urzì: Es beeindruckt, dass es heute noch immer Menschen gibt, die nach einer Wahl glauben, dass sie die Demokratieregeln ändern können, indem sie auf die Straße gehen. Wenn man ein bisschen darüber nachdenkt, dann ist das eigentlich erschreckend! Wir haben aber auch gesehen, dass es sich bei den Protestierenden um einen kleinen Kreis von Persönlichkeiten handelt, die alle eindeutig links orientiert und allergisch gegen die Meinungsvielfalt sind. Es besteht also kein Anlass zur Sorge. Demokratie bedeutet, die Gedanken aller zu akzeptieren. Wir tun das, sie nicht.
Die Ängste in Bezug auf einen Rechtsruck und auf eine reaktionäre Wende sind Ihrer Ansicht nach nicht berechtigt?
Ma per favore! Ich bitte Sie! Wenn man nicht mehr weiß, was sagen und wenn man selbst privilegierten Positionen aufgeben muss, dann greift man darauf zurück, Ängste heraufzubeschwören. Das ist ein sehr schleimiger Ansatz, rein ideologisch motiviert und vorurteilsbeladen. Alles Blödsinn!
Welche Rolle werden die Fratelli d’Italia in einer möglichen Koalition mit der SVP einnehmen? Wird es aufgrund der zahlenmäßigen Realität – die SVP hat 13 Mandate, die italienische Rechte nur deren drei – eine eher marginale Rolle sein? Oder wird es eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe sein?
Wir können uns nur eine gleichberechtigte Zusammenarbeit vorstellen. Die Entscheidungen können nicht sic et simpliciter durch die Mehrheit getroffen werden, sondern Entscheidungen müssen gemeinsam getroffen werden. Die mögliche Koalition muss von einem positiven Geist getragen sein.
Sollte diese Rechts-Koalition scheitern, würde dies einen Stillstand in Sachen Weiterentwicklung der Autonomie bedeuten?
Ich ziehe im Moment keine unrealistischen Hypothesen in Betracht.
Die Frage andersrum: Kann es sich die SVP in dieser Phase, wo Giorgia Meloni an der Macht ist, überhaupt leisten, nicht mit den Fratelli (und der Lega) zu regieren?
Das wäre ein großer Fehler und gegen die Interessen unseres Landes. Gerade durch die enge Beziehung zur Regierung in Rom und den Parteien, die die Regierung bilden, können sich für Südtirol große Chancen ergeben. Wir als Fratelli d’Italia sehen unsere Aufgabe darin, im Interesse Südtirols zu vermitteln. Wir fühlen uns dazu bereit und sind entschlossen.
Es macht immer noch einen gewissen Eindruck, wenn man von einem Alessandro Urzì hört, dass er die Autonomie ausbauen will. Waren Sie nicht bis vor ein paar Jahren gegen die Autonomie?
Das war ich nie! Das habt ihr Medien erzählt. Wir haben immer gesagt – zumindest seit ich in der Politik bin –, dass wir eine Autonomie für alle wollen. Und wir haben uns immer darüber beschwert, dass es Vorurteile gegen und vorgefertigte Meinungen über uns gibt, die leider dazu geführt haben, dass wir auf lokaler Ebene nie Regierungsverantwortung übernehmen konnten. Jetzt kann eine historische Phase beginnen …
Nämlich?
Wir haben immer gesagt, dass wir die Autonomie nicht erdulden, sondern gestalten wollen. Diesen Weg sind wir kohärent gegangen.
Haben Sie sich geändert – oder, wie Philipp Achammer gesagt hat, gehäutet –, oder haben sich die SVP und Südtirol geändert?
Die italienische Regierung ist eine andere. Und in Südtirol ist nun allen klar, dass die Probleme, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, die Probleme aller sind: illegale Einwanderung, die Menschen wollen mehr Sicherheit und weniger Kriminalität, sie verspüren die Notwendigkeit, unsere Wirtschaft gegenüber den invasiven Märkten des Fernen Ostens zu stärken. Die Menschen wünschen sich, dass die Regierenden unsere Traditionen und unsere gemeinsame europäische und christliche Identität verteidigen. Die Menschen in Südtirol wollen, dass wir unsere Kultur bewahren und eine Brücke zum deutschsprachigen Raum sind, beginnend bei der Mehrsprachigkeit. Es sind dies weder rechte noch linke Themen, sondern es sind Themen, die alle Südtirolerinnen und Südtiroler gleichermaßen betreffen.
Sie glauben, den SüdtirolerInnen taugt die Regierung Meloni?
Man kann sagen: Die römische Regierung vertritt mit ihrer pragmatischen Art die übergroße Mehrheit der SüdtirolerInnen.
Sie sind der Präsident der Sechser-Kommission. Hat diese wichtige institutionelle Rolle Sie verändert? Oder sind Sie immer noch ein Wolf im Schafspelz?
Nein, dieses Amt ist das vorläufige Ende eines Weges, den ich immer mit absoluter Konsequenz und Kohärenz verfolgt habe. Sie werden sehen: Das Misstrauen, das auch in Ihrem Vergleich mit dem Wolf im Schafspelz mitschwingt, muss und wird dem Optimismus und dem Pragmatismus weichen.
Wie viele Gemeinsamkeiten haben die Freiheitlichen und die Fratelli d’Italia?
Die größtmöglichen Gemeinsamkeiten. Wenn wir uns auf die tatsächlichen Probleme konzentrieren – so wie beide Seiten dies tun – und das Wenige, das uns trennen kann, beiseitelassen, sind wir in perfekter Harmonie. Das gilt übrigens auch für die SVP.
Was haben Sie gedacht als Sie Sven Knoll hörten, dass er sich eine Koalition mit den Fratelli d‘Italia vorstellen könne?
Ich habe mir gedacht, dass ihm jedes Mittel recht ist, um auf sich aufmerksam zu machen. Die Süd-Tiroler Freiheit handelt ausschließlich, um mediale Aufmerksamkeit zu erregen, aber sie bauen nichts auf. Uns interessieren die Gewohnheits-Provokateure nicht.
Die Reform des Autonomie-Statuts wird, wie Landeshauptmann Arno Kompatscher vor wenigen Tagen sagte, zwei Jahre dauern. Welche Autonomie werden wir in zwei Jahren haben?
Eine bessere Autonomie. Eine umfassendere und eine modernere Autonomie. Die Autonomie wird nichts von ihrem unbestreitbaren Wert und von der historischen Vernunft, von der sie getragen ist, verlieren, aber sie wird eine in die Zukunft gerichtete Autonomie sein. Das ist unser Ziel.
Letzte Frage, Herr Urzì: War es klug von Marco Galateo, den Autoren des Offenen Briefes – in dem den Fratelli d’Italia Homophobie, Rassismus usw. vorgeworfen wurde – mit einer Klage zu drohen? Arno Kompatscher hat im Rai-Morgentelefon gesagt, er könne verstehen, dass Galateo eine emotionale Reaktion hatte.
Seien wir bitte keine Heuchler! Die Vulgarität, mit der versucht wird, uns als etwas darzustellen, was wir nicht sind, grenzt an Diffamierung. Es geht nicht mehr um unterschiedliche Ideen, sondern um die gezielte und konzertierte Kampagne zur Delegitimierung des Gegners. Es ist eine verbal gewalttätige Methode, die entsetzlich ist. Aber auch die tausendfache Wiederholung einer Unwahrheit macht aus ihr keine Wahrheit, sondern bleibt eine Lüge.
Interview: Artur Oberhofer
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