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„Es steht keine Revolution an“

Er war viele Jahre Landtagsabgeordneter und Obmann der Freiheitlichen. Was Pius Leitner im politischen Ruhestand beschäftigt und was er sich von den Landtagswahlen erwartet.

Tageszeitung: Herr Leitner, wo sind Sie geblieben?

Pius Leitner: Mein Leben ist ein Wechsel zwischen Bleiben und Gehen. Wenn ich nicht in Vahrn bin, bin ich in Vals oder irgendwo.

Was machen Sie seit Ihrem Ausscheiden aus der aktiven Politik?

Mir ist nicht langweilig. Wenn ich nicht lese oder schreibe, gehe ich anderen Freizeitbeschäftigungen nach. Mit Langlaufen im Winter und mit Bergwandern im Sommer (letztes Jahr war ich in Nepal) halte ich mich fit. Als Obmann des Vahrner Kirchenchors, als Sänger beim Männergesangsverein Brixen und als Mitglied der Schützenkompanie Vahrn halte ich mein Interesse an der Kultur wach. Als Mitglied beim Yeti Club und beim FC-Bayern-Logisch erbringe ich zwar keine besonderen Leistungen, bin aber mit Freude dabei. Schließlich ist auch meine politische Leidenschaft nicht erloschen; als Ehrenobmann der Freiheitlichen verfolge ich die Politik aufmerksam, ohne operativ „dreinzupfuschen“.

Ist Ihnen der Abschied schwergefallen?

Ja und nein. Ja, weil ich gerne weiterhin für die Menschen im Lande tätig gewesen wäre und weil ich etwas gut zu machen gehabt hätte. Nein, weil ich vom Werk (ehemaliger) parteiinterner Intriganten, Trittbrettfahrer und „Verräter“ Abstand gewinnen konnte und mehr Zeit für Hobbys und meine Frau habe.

Die Südtiroler wählen in wenigen Monaten einen neuen Landtag. Ihre Prognose?

Um nicht mit Karl Valentins Bonmot „Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen“ zu antworten, behaupte ich, dass keine Revolution ansteht. Die heiße Phase des Wahlkampfs steht ja noch bevor und es ist alles offen. Es wird sich zeigen, ob Themen eine Rolle spielen, welche den Menschen unter den Nägeln brennen (Wohnung, Energie, Einwanderung, Sicherheit, Löhne, Schule, Jugend, Wolf und Bär usw.) oder ob sich die Menschen von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsoptionen ablenken lassen. Schlagzeile tötet Lösung?

Wird die SVP Federn lassen müssen?

Davon gehe ich aus. Die bekannten Ereignisse der letzten Jahre dürften nicht gerade hilfreich sein und der innerparteiliche Scheinfriede trügt. Zudem hat die SVP 1992 den politischen Kompass verloren und diesen nicht wiedergefunden. Die Autonomie wurde mit der Verfassungsänderung des Jahres 2001entscheidend beschnitten (übrigens hat die SVP dieser Verfassungsänderung zugestimmt!) und es ist nicht ausgemacht, dass diese Änderungen zurückgenommen werden. Frau Meloni hat zwar versprochen, darüber zu reden, aber was heißt das schon?

Wer wird stärkste Kraft in der Opposition?

Ich wünsche mir natürlich, dass es die Freiheitlichen sind. Politik braucht Mut, Klarheit, Beständigkeit und Verlässlichkeit statt Opportunismus und Beliebigkeit.

Wie hat sich Südtirol in den letzten Jahren entwickelt?

Sicher nicht zu einer „blühenden Landschaft“ und sicher nicht zu einer fortschrittlichen Demokratie. Die Wirtschaftsdaten sind dank fleißiger Menschen und guter Betriebe zwar gut, die Autonomie hat insgesamt aber Schaden genommen. Man mag die negative Stimmung als Nörgelei oder oberflächliche Unzufriedenheit abtun, vielen Menschen geht es nicht gut – sei es finanziell, sei es was das allgemeine Wohlbefinden betrifft. Die prekäre Finanzlage des Staates hat auch Südtirol im Griff, denke ich nur an die freiwilligen Zahlungen für die Staatsschulden. Andererseits färbt der Trend aus anderen Ländern, zumal aus Deutschland, auf alle Lebensbereiche ab. Es ist viel von Werten die Rede und nicht selten sind es verordnete Werte, gerne als „betreutes Denken“ bezeichnet. Wer diesem Diktum nicht folgt, ist fallweise ein Querulant, ein Rassist, ein Ewiggestriger, ein Hetzer oder im schlimmsten Falle ein Rassist oder Nazi. Ich finde Fortschritte bei der Pflege, beim Wohnen und bei angemessen Löhnen wichtiger als Gendersternchen und dergleichen.

Für welches dringende Problem hat die Landespolitik bislang keine Lösung gefunden bzw. wo müsste man dringend ansetzen?

Erschwingliche Wohnungen für die einheimische Bevölkerung gibt es nicht, trotz Förderungen. Andererseits werden Wohnung nicht nach Bedarf gebaut, sondern aus Spekulationsgründen. Das ganze Subventionssystem ist zu durchforsten, weil es erwiesenermaßen die Preise hochtreibt. Stattdessen sind die Steuern auf ein verträgliches Maß zu senken und vom Staat mehr Zuständigkeiten zu fordern. Der Strom muss endlich wirklich „heimgeholt“ werden und die Bürger müssen davon profitieren. Einwanderung und Sicherheit sind offene Themen ebenso wie das Ehrenamt, für welches sich immer noch keine Lösung abzeichnet. Ohne Ehrenamt bzw. mit einem beschädigten Ehrenamt verliert Südtirol seine Seele.

Welches Buch nehmen Sie mit in den Sommerurlaub?

„Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur“ von Andrea Wulf und zur Wiederholung „Kann Südtirol Staat?“

Haben Sie schon einmal etwas Second Hand gekauft?

Kleidung nicht, aber ich habe als Kind die Sachen meiner älteren Brüder getragen.

Wo versuchen Sie der Umwelt zuliebe zu sparen?

Ich fahre weniger mit dem Auto. Zudem versuche ich, die allgemeingültigen Spielregeln einzuhalten, die sich im Laufe der Zeit entwickelt haben und ich halte mich an die Regeln, die ich von meinen Eltern und Lehrern erfahren habe. Ich bin überzeugter Umweltschützer, ohne den Umweltschutz als Ersatzreligion zu verstehen.

Wofür haben Sie im letzten Monat am meisten Geld ausgegeben?

Für Essen und Getränke.

FC Südtirol oder HC Bozen?

FC Bayern, aber ich verfolge auch die Südtiroler Vereine und drücke ihnen den Daumen.

Mit wem würden Sie gerne einen Tag lang tauschen und warum?

Mit Giorgia Meloni, um den Südtirolern die Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes zu erlauben. Alternativ: mit Putin, um den Krieg zu beenden.

Kino oder Netflix?

Fernsehen

Was bereuen Sie?

Reue setzt voraus, dass man gesündigt hat und diesbezüglich beanspruche ich das Beichtgeheimnis.

Ihr größter Traum? 

Politisch: Südtirol wird ein unabhängiger Staat, getragen von den drei Volks- bzw. Sprachgruppen und von all jenen, denen Südtirol Heimat ist oder wird – mit einer funktionierenden Gewaltenteilung.

Privat: meiner Mutter zum 100. Geburtstag gratulieren zu dürfen und mit meiner Frau alt zu werden.

Interview: Lisi Lang

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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