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„Durst nach Konsum“

Arnold Tribus

Gibt es heute noch eine Arbeiterklasse? Was ist aus dem 1. Mai, dem hohen Festtag der Arbeiter geworden? Ein Leitartikel von Arnold Tribus.

Karl Marx, der mit Friedrich Engels „das Kommunistische Manifest“ verfasst hat und dieses mit dem Aufruf, „Proletarier aller Länder vereinigt Euch“, abgeschlossen hat, ist heute völlig vergessen, untergegangen, wird bestenfalls in philosophischen Zirkeln von feinen Intellektuellen debattiert. Zum großen Zusammenschluss der Arbeiterklasse in aller Welt ist es nie gekommen, und nie war die Arbeiterklasse so schwach wie heute. Ja gibt es denn überhaupt noch eine Arbeiterklasse? Allein die Tatsache, dass am ersten Mai in ganz Italien, aber auch in Bozen so viele Geschäfte offen sind beweist doch, dass aus dem hohen Festtag der Arbeiterklasse ein beliebiger Konsumtag geworden ist, denn in den vielen offenen Geschäften trieben sich ja Proletarier herum, die ihren großen Durst nach Konsum stillten.

Schon das Wort Arbeiterklasse darf man gar nicht mehr in den Mund nehmen, es gibt sie nicht mehr, die Arbeiterklasse, jedes Klassenbewusstsein ist im Laufe der letzten Jahre im Konsumismus erstickt worden. Der einstigen Arbeiterklasse ist jeder Stolz, zu einer Klasse zu gehören, genommen worden, im Gegenteil, man schämt sich ja, ein einfacher Arbeiter zu sein, ist Mitarbeiter, Bediensteter, Angestellter, weil das nicht so „abwertend“ klingt wie Arbeiter. Verrückt. Gut ist aber, dass es heute den Arbeitern besser geht, dass sie besser verdienen, dass die Arbeits- und Wohnverhältnisse gut sind, dass sie geregelte Arbeitszeiten und Urlaube haben, es lebt sich heute besser. Aber all das ist ja nicht vom Himmel gefallen, es bedurfte der Arbeiterkämpfe, vieler Streiks, bis der heutige Standard erreicht wurde. Auch das sollte man nicht vergessen und auch daran erinnert der 1. Mai.

Er war einst Fest- und Kampftag, der 1. Mai. Es wurde die Einführung der Achtstundenwoche gefeiert, eine gigantische Errungenschaft der Arbeiterbewegung und ihrer Gewerkschaften. In allen demokratischen Staaten ist der 1. Mai ein gesetzlicher Feiertag, es ist deshalb traurig, dass nun in ganz Italien an der laizistischen Heiligkeit des Tages herumgekrittelt wird, der auch der christlichen Arbeiterbewegung heilig ist. Früher gab es die traditionellen Maifeste und die Großkundgebungen der Gewerkschaften, die Arbeiterinnen und Arbeiter steckten sich rote Nelken an zum Zeichen der Freude, des Stolzes und der Macht. Wer würde in Bozen zum 1. Mai schon auf die Straße gehen? Heute finden keine gigantischen Kundgebungen mehr statt, in Rom ja, eine nationale, dort gibt es auch ein Mega-Konzert. Es wird gefeiert, in Bozen finden bescheidene Kundgebungen der konföderierten Gewerkschaften statt, wo auch der Landeshauptmann nicht fehlen darf, sie wären ja beleidigt, würde er nur den ASGB beehren, der in seinem Heimatdorf Völs seit Jahrzehnten das traditionelle Maifest begeht, gemütlich, mit einem Glückstopf, Giggerlen, Würsten, Spiel und Bier, Tanz und Musik für Jung und Alt. Immer bestens organisiert von der roten Priska, Säule des ASGB. Und ich habe mich über ihre Mail gefreut, dass das Fest heuer nach der Corona-Unterbrechung wieder stattfinden kann.

Die Gewerkschaften waren ja lange Zeit eine Macht: „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“, dichtete 1863 Georg Herwegh anlässlich der Gründung des deutschen Arbeitervereins, aus dem später die SPD hervorging. Heute ist die Rentnergewerkschaft die stärkste Kategorie in allen Gewerkschaften, die Jugend bleibt aus, sie schreibt sich nicht mehr ein, warum auch, sie hat keinen Bezug mehr zur Gewerkschaft, außer es geht einem Bediensteten dreckig, er wird entlassen oder seiner wenigen Rechte beschnitten, dann, ja dann sucht man die Gewerkschaft, die heute ja ein Servicebetrieb geworden ist, an den man sich von Fall zu Fall wendet.

Es wird Aufgabe der Syndikate sein, die jungen Leute, die in prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten, anzusprechen.

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