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427 Mal erhöhtes Risiko

Zwischen dem späten Lungenkrebstod von drei Ex-Angestellten des Bozner IVECO-Werks und ihrer Asbest-Exposition gibt es einen Zusammenhang, hat ein Beweissicherungsverfahren am Landesgericht ergeben. Dass es deshalb zu einer Verurteilung von acht Managern des Panzerherstellers kommt, ist eher unwahrscheinlich.

Von Thomas Vikoler

Es handelt sich um eine fulminante Form eines Lungentumors, der häufig bei längerer Asbest-Exposition auftritt: Ein malignes Pleuramesotheliom. Es raffte zwischen 2018 und 2020 drei pensionierte Arbeiter und einen angestellten technischen Zeichner des IVECO-Werks in der Bozner Voltastraße Nr. 6 dahin. Der technische Zeichner war 59 Jahre alt, als er am 15. Juli 2019 verstarb. Die pensionierten Mitarbeiter starben am 2. August 2018 (70 Jahre alt), am 30. Jänner 2020 (82 Jahre alt) und am 29. September 2020 (80 Jahre alt).

Ihre Hinterbliebenen erstatteten Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Bozen, die daraufhin gegen acht aktuelle und ehemalige Manager des Bozner Radpanzer-Werks Ermittlungen zum Verdacht der fahrlässigen Tötung aufnahm.

Gestern wurde am Landesgericht vor Richter Ivan Perathoner das mit großem Aufwand betriebene Beweissicherungsverfahren zur Klärung von strafrechtlichen Verantwortlichkeiten in medizinischer und technischer Hinsicht abgeschlossen.

Wie erwartet, eine umkämpfte und komplizierte Angelegenheit, die Einigkeit zwischen den beiden Gerichtsgutachtern (Daniele Martelloni und Bruno Murer) und den Sachverständigen der Nebenkläger in einem Punkt brachte. Es besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Krebstod der drei pensionierten IVECO-Arbeiter (nicht aber jenem des technischen Zeichners, der kaum in den Werkshallen tätig war) und einer hypothetischen Exposition von asbesthaltigem Material.

Es handelt sich dabei allerdings um eine in erster Linie statistische Einschätzung: Laut einer Berechnung des medizinischen Sachverständigen der Staatsanwaltschaft liegt das Risiko, an einem malignem Pleuramesotheliom zu erkranken, bei Personen die für längere Zeit mit Asbest in Kontakt kommen, 427 Mal höher als für die nicht exponierte Durchschnittsbevölkerung. In Italien werden im Schnitt rund tausend Fälle pro Jahr dieser eher seltenen Krebsart verzeichnet, im Bozner IVECO-Werk arbeiten rund 250 Personen. Diese Art des Lungentumors kann bis zu 40 Jahre nach einer Asbest-Exposition auftreten.

Doch dass es in diesem Strafverfahren zu einer Verurteilung der acht Manager wegen fahrlässiger Tötung kommt, ist eher unwahrscheinlich. IVECO verteidigt sich damit, dass ab 1992, als ein verpflichtendes Asbest-Monitoring eingeführt wurde, sämtliche Grenzwerte in den Werkshallen unterschritten worden seien. Häufig sei keinerlei Absest-Belastung verzeichnet worden. Einer der später verstorbenen Arbeiter war von 1969 bis 1988 im Bozner Werk tätig, also bevor die Gefährlichkeit von Asbest breiter erkannt wurde.

Unterstützung erhält die Verteidigungslinie des Panzer-Werks von den Ergebnissen des technischen Gerichtsgutachters Bruno Murer: Dieser führte 2021 am IVECO-Sitz Tests durch und stieß auch an alten Rohren, die mit einer dicken Staubschicht überzogen waren, auf keinerlei Spuren von Asbest. Außerdem argumentiert Marco Mayr, der Verteidiger der Manager, das die verstorbenen Ex-Mitarbeiter zum Teil auch anderswo als im IVECO-Werk gearbeitet hatten.

Bemerkenswert ist freilich, dass das hiesige Arbeitsinspektorat erstmals im Jahre 2019 überhaupt eine Kontrolle im IVECO-Werk durchführte. Man hielt dieses offenbar für eine militärische Zone, die nicht betreten werden durfte. Am 2. August 2019 sahen sich die Inspektoren aber gezwungen, am Sitz der Firma IVECO Defence Vehicles SpA ein- zuschreiten. Der technische Zeichner war kurz zuvor an dem genannten Lungentumor verstorben.

Die Akten des Beweissicherungsverfahrens gehen nun an die Staatsanwaltschaft. Diese muss entscheiden, ob sie Anklage erhebt oder die Einstellung des Verfahrens zum Verdacht der fahrlässigen Tötung und Verletzung von Bestimmungen zur Arbeitssicherheit erhebt.

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