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Wer war Katharina Lanz ?

Margareth Lanzinger und Raffaella Sarti vor der Statue von Katharina Lanz in Spinges: Ob es unter den Kämpfenden in Spinges überhaupt eine Frau gab, lässt sich nicht verifizieren

Katharina Lanz, das „Mädchen von Spinges“, das  1797 mit einer Heugabel bewaffnet Franzosen von der Friedhofsmauer aus abgewehrt haben soll, gilt noch heute als Tiroler Heldin, die maßgeblich zum Sieg der Tiroler gegen Napoleon beigetragen haben soll. Aber gab es sie überhaupt? Die Historikerinnen Margareth Lanzinger und Raffaella Sarti haben ihre Geschichte erforscht. 

Tageszeitung: Katharina Lanz, das „Mädchen von Spinges“, gilt noch heute als Tiroler Heldin, die in der Schlacht von Spinges 1797 mit einer Heugabel bewaffnet Franzosen von der Friedhofsmauer aus abgewehrt haben soll. Eine gute Geschichte, aber ist sie auch wahr?

Margareth Lanzinger und Raffaella Sarti: Zweifel daran, dass die Geschichte wahr ist, gab es von Anfang an und sie konnten bis heute nicht wirklich ausgeräumt werden. Die Männer, die an den Kämpfen nachweislich teilgenommen haben, machten unterschiedliche Angaben: Die einen erwähnten sie, die anderen bestritten ihre Anwesenheit.

Es gibt begründete Zweifel, ob überhaupt eine Frau auf der Friedhofsmauer in Spinges mitgekämpft hat. Was lässt sich historisch beweisen und was gehört ins Reich der Legenden?

Gesichert ist, dass es einen Kampf in Spinges gegeben hat, bei dem der Tiroler Landsturm sehr entschlossen gekämpft hat. Ebenso sicher ist inzwischen aber auch, dass es kein Sieg auf Tiroler Seite war und dass die Franzosen noch einige Tage nach der ‚Schlacht‘ in Spinges blieben und plünderten, bis sie sich auf den Weg durch das Pustertal machten, um sich Napoleons Truppen, die auf dem Weg nach Wien waren anzuschließen. Ob es unter den Kämpfenden eine Frau gab, lässt sich jedoch, wie schon erwähnt, nicht verifizieren. Selbst wenn sie dabei gewesen sein und mitgekämpft haben sollte, hat das nicht zum Sieg der Tiroler geführt. Der Umstand, dass die Franzosen Tirol nicht besetzten, sondern nur durchquerten, ermöglichte es, dies als Flucht zu interpretieren und die ‚Schlacht‘ von Spinges als Sieg darzustellen. Dahinter stand auch ein staatspolitisches Interesse.

Die Pfarrersköchin in St. Vigil in Enneberg hat im hohen Alter von sich behauptet, jene Heldin gewesen zu sein. Konnten Sie klären, ob sie mit der Geschichte überhaupt etwas zu tun hat?

Die Existenz und die allgemeinen Lebensumstände einer Frau namens Katharina Lanz, die 1771 geboren wurde und 1854 gestorben ist, sind gesichert. Es gibt nur sehr wenige Hinweise, dass sie im Laufe ihres Lebens zu der einen oder anderen Person gesagt haben soll, dass sie das „Mädchen von Spinges“ gewesen sei. Die letzte indirekte Referenz ist jedoch immer sie – und von ihr selbst wurde bis heute nichts gefunden.

Erst 1869, gut siebzig Jahre nach den Ereignissen, hat das Mädchen von Spinges durch einen Zeitungsartikel einen Namen erhalten, nämlich Katharina Lanz. Warum so spät?

Der Gedenkstein für Katharina Lanz in St. Vigil in Enneberg: Selbst wenn Katharina Lanz in Spinges dabei gewesen sein und mitgekämpft haben sollte, hat das nicht zum Sieg der Tiroler geführt.

Die Frage ist eigentlich, warum überhaupt und auch, warum zu dieser Zeit. Wir können einige Hypothesen dazu formulieren, wenn wir von den historischen Kontexten und Ereignissen in dieser Zeit ausgehen: Im Nachhinein wird klar, dass eine katholische und ladinische Heldin sehr nützlich war im Kampf der katholisch-konservativen Tiroler gegen die liberale Politik Wiens, die unter anderem die Säkularisierung der Schule vorsah und damit den Einfluss der Kirche beschränkte. Damit verknüpften war der Kampf vieler Ladiner, der sich gegen die geplante Germanisierung des Schulunterrichts wandte. Eine solche Heldin war zugleich auch nützlich für die Mobilisierung der Katholiken, um den Papst zu unterstützen zu einer Zeit, als der Kirchenstaat durch die italienische Einigungsbewegung bedroht war und schließlich erobert wurde.

Lanz ist die einzige Frau, die Aufnahme in das Pantheon der Tiroler Freiheitshelden gefunden hat. War dabei der Wunsch, eine Jeanne D´Arc in den Reihen der Freiheitskämpfer zu haben, der Vater des Gedankens?

Wir haben keinerlei Hinweise darauf. Wir haben die Genese der Gedenktafel aber auch nicht gezielt erforscht.

Ist der Vergleich mit Jeanne D´Arc völlig aus der Luft gegriffen oder auf was baut er auf?

Aus der Perspektive jener Leute, die das Mädchen von Spinges als Jeanne d’Arc Tirols beschrieben, machte der Vergleich klar Sinn und zielte darauf, die Figur des Mädchens als Heldin zu bestärken. Aus einer historischen Perspektive handelt es sich jedoch um sehr verschiedene Figuren und um sehr verschiedene Kontexte. Was man vergleichen kann, ist die Art, wie die Darstellungen der beiden Frauen im Laufe der Geschichte und seitens verschiedener Interessengruppe immer wieder neu bearbeitet wurden. Bei beiden Heldinnen wurde zum Beispiel die Jungfräulichkeit besonders hervorgehoben.

War genau die ungesicherte Existenz und Identität dieser Figur Voraussetzung dafür, dass sie im Laufe der Geschichte immer wieder für religiöse und politische Projektionen instrumentalisiert werden konnte?

Genau, wir gehen davon aus, dass die Unsicherheit bezüglich ihrer Existenz verschiedenste Bearbeitungen und Instrumentalisierungen dieser Figur auf jeden Fall erleichtert hat.

Der Stoff des Heldenmädchens wurde sogar in England und Amerika aufgegriffen.  Welches Interesse hatte man in den angelsächsischen Ländern an ihr?

Das Buch: Bei Katharina Lanz wurde wie bei Jeanne d’Arc die Jungfräulichkeit besonders hervorgehoben.

Das Interesse an dem Heldenmädchen kam von ganz spezifischen Seiten. Rachel Harriette Busk zum Beispiel pries die Heldentat des Mädchens von Spinges und erwähnte ihre Identität als Katharina Lanz in einem 1870 veröffentlichten Artikel in der Zeitschrift Monthly Packets of Evening Readings of the Members of the English Church, wo sie die liberale Politik Wiens kritisierte. Sie war eine leidenschaftliche Verteidigerin des Katholizismus sowie des Kirchenstaates und eine aktive Gegnerin der italienischen Einigung. Bei anderen Autor:innen ging das Interesse stärker von der Faszination der Alpen, ihrer Bevölkerung und Geschichte aus unter den Vorzeichen des wachsenden britischen Tourismus und Alpinismus.

Für rechtsextreme italienische Aktivisten, rechts-orientierte Historiker und sogar für die Lega ist sie eine Heldin. Was repräsentiert sie in deren Perspektive und warum eignet sich ein Tiroler Mädchen für deren politischen Zwecke?

In früheren Jahren hat die Lega Nord die regionalen Identitäten stark hervorgehoben. Aus dieser Perspektive konnte das Mädchen von Spinges als Frau, die für die lokale Unabhängigkeit gegen die Franzosen kämpfte, die eine zentralistische und nationalisierende Politik verfolgten, dargestellt werden. Eine solche Wahrnehmung – zusammen mit der Darstellung des Mädchens von Spinges als Kämpferin für Gott und Kirche gegen Aufklärung und Säkularisierung – macht sie zu einer Heldin auch für rechts-orientierte konservative bzw. reaktionäre Gruppen, nicht nur deutsche, sondern auch italienische. Darunter finden sich Historiker:innen.

„Se non è vero, è ben trovato“ lautet ein italienisches Sprichwort, wenn die Geschichte nicht wahr ist, ist sie gut erfunden. Bringt das den Umgang mit der Geschichte der Katherina Lanz auf den Punkt?

Ja sicher, aber es ist nicht nur eine Geschichte, sondern es sind viele, die unterschiedlichen Zwecken gedient haben.

Ihr Buch basiert auf einer sehr umfangreichen Forschung. Wollten Sie eine Legende widerlegen oder an einem Musterbeispiel aufzeigen, wie man eine Heldin konstruiert?

Für uns als Historikerinnen, die an Geschlechtergeschichte interessierte sind, war die Auseinandersetzung mit dem „Mädchen von Spinges“ sehr anregend. Unsere Annäherung an Katharina Lanz war zunächst vor allem von Neugier geprägt. Im Laufe unserer Forschungen haben wir sehr viel mehr über das making dieser Heldinnenfigur gefunden – also darüber, wie diese Heldin gemacht und wie ihrer Tat immer wieder neue Bedeutungen zugeschrieben wurden.

Interview: Heinrich Schwazer

Die Autorinnen

Margareth Lanzinger ist Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien, Österreich. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Geschlechtergeschichte, Historische Anthropologie, Familie und Verwandtschaft sowie Besitz, Vererbung und Vermögen.

Raffaella Sarti ist professoressa associata für Geschlechtergeschichte und für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Urbino Carlo Bo.

Das Buch

Margareth Lanzinger, Raffaella Sarti, Eine Löwin im Kampf gegen Napoleon? Die Konstruktion der Heldin Katharina Lanz. Böhlau Verlag Wien 2022, 392 Seiten, 50 farb. Abb.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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