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We are STILL alive!

v.l.) Norbert Dalsass, Michele Giro und Roland Hinteregger: Ein Kontrabass steht aufrecht. Und er vibriert. Ich muss ihn am Körper spüren, er bringt mich in Schwingung.

Vor 30 Jahren hat Norbert Dalsass, Architekt und Jazzmusiker, zusammen mit Michele Giro und Roland Hinteregger das Trio „Jazz Fantasy“ gegründet. Ein Jubiläumsgespräch über die Anfänge, Krisen, Konzerte als langer Kuss und ob er die Sterne lesen kann.

 Tageszeitung: Herr Dalsass, was bedeutet Ihnen der 25. Juni 1961?

Norbert Dalsass: Da war ich grad zwei Jahre alt … Ich kann mich noch genau erinnern, welche Wirkung die Village Vanguard Sessions vom Bill Evans Trio auf mich gemacht haben. Es war ein Flash! Ich studierte damals in Innsbruck Architektur und wohnte mit Michael Lösch in einer Wohngemeinschaft. Beide waren wir in einer intensiven Lernphase. Die Band Sarabanda, in der wir gerade spielten, hatte andere Wurzeln. Der Jazz Rock eines Chick Corea mit seinen Return To Forever war bis dahin für uns junge Jazzbegeisterte einfach magnetischer als der klassische Jazz, einfach feuriger. Es war aber auch Zeit, sich an die Basisarbeit zu machen und an die Wurzeln zu gehen. Ich kann schon sagen, dass das Konzert von 25.Juni 1961 mit dem Bill Evans Trio wie ein Keim für mich war und zugleich eine Brücke vom klassischen Jazz zum modernen, was das auch immer heißen mag.

Der Pianist Bill Evans, der Bassist Scott LaFaro und der Drummer Paul Motian haben an dem Tag im New Yorker Jazzclub Village Vanguard eine Platte aufgenommen, die als der Beginn des modernen Standard Trios gilt, in dem alle Musiker gleichberechtig agieren. War das auch die Gründungsidee von Jazz Fantasy?

Vor Bill Evans hatten Bass und Schlagzeug im Trio vorwiegend die Aufgabe die Begleitung des Pianisten zu übernehmen. Aber so ein freieres Zusammenspiel wie bei diesen Aufnahmen fällt einem ja nicht in den Schoß. Bis zur  Gründung von Jazz Fantasy hat es noch gute 12 Jahre gedauert. Und in dieser Zwischenzeit hat noch das Trio von Keith Jarrett seine Spuren hinterlassen. Scott LaFaro im Trio von Bill Evans hatte die Erneuerung des Bassspieles im Triospielens erstmal nur eingeleitet. Mit seinem Tod gleich nach den Konzerten im Village Vanguard stand die Befreiung wieder eine Zeitlang still. Bill Evans hat erst wieder in Eddie Gomez und Marc Johnson Bassisten gefunden, die imstande waren, die Samen des Scott LaFaro weiterzuführen. Keith Jarrett konnte aufgrund seines großen Charismas sowohl die Art des klassischen Trios mit der des freien Zusammenspiels zwischen  Bass und Schlagzeug genial kombinieren. Und das bildete den Einstieg in Jazz Fantasy.

Das erste Konzert ist wie der erste Kuss, heißt es unter Musikern. Womit würden Sie an den ersten Auftritt von Jazz Fantasy vor 30 Jahren vergleichen?

Der erste lange Kuss, würde ich sagen. Zu Beginn hat eine feurige Begeisterung gezündet. Neu war schon mal die Wahl der Stücke. In der Zeit der Basisarbeit waren die Klassiker aus den amerikanischen Standards an der Reihe. Sie boten gute Gelegenheit, mehr und weniger komplexe harmonische Strukturen kennenzulernen und diese auszuloten. Wir entdeckten aber gleich, dass da noch mehr an Schätzen zu finden war. So trauten wir uns an Songs unserer Idole wie Bill Evans eben und auch von Keith Jarrett. Was wir darin entdecken konnten, war der freie Umgang, einmal zwischen uns aber auch mit den inneren Strukturen der Stücke. Dieses Entdecken war der erste kleine Kuss. Die Faszination des Neuen, war sie nur Strohfeuer? Oder konnten wir darin auch erglühen? Auf der Bühne dann, die Probe aufs Exempel, gab es dann den langen Kuss.

1993 in der Brixner Dekadenz war das. Erinnern Sie sich noch, wie damals die Sterne standen?

 Ja, das mit den Sternen ist so eine Sache. Ich beschäftige mich schon seit über 20 Jahren mit Astrologie und merke, welch verbogene Ansichten und Einstellungen in unseren Köpfen herumgeistern. Was machen die Sterne? Sie machen rein gar nichts, wenn ich ihre Botschaft nicht verstehe und diese Spur verfolge. Die Frage, wie standen die Sterne, kann man erweitern zur Frage: was haben wir daraus gemacht? Ganz einfach: wir haben uns immerfort entwickelt. Wir wollten niemals still-stehen und haben ein- bis zweimal im Jahr ein neues Projekte auf die Beine gestellt, entweder im Trio oder mit inspirierenden Gästen. So konnten wir uns immer wieder für neue Ideen befruchten lassen.

Wussten Sie damals schon, das wird eine längere Geschichte oder hätte es mit diesem Auftritt auch vorbei sein können?

Ich glaube schon. An was kann ich das festmachen? Vielleicht nicht ganz am Anfang, da waren wir einfach nur begeistert. Aber wir hatten weite Ziele, wir hatten also Zukunft. Vielleicht sahen wir diese Ziele anfangs nur als Träume. Je mehr sie sich aber verwirklicht haben, um so mehr wurden diese Träume/Ziele konkrete Realität, an der wir gearbeitet haben. Die Teilnahme am Malta Jazzfestival war für uns drei ein Traum. Die besten Jazzbands der damaligen Zeit spielten dort. Und siehe da, als Preis für einen gewonnenen Wettbewerb konnten wir daran teilnehmen. Das ging alles furchtbar schnell. Bei der Preisverteilung haben wir die Flugtickets in die Hand bekommen, eine Woche später standen wir auf der Bühne, vor uns Joe Zawinul Syndicate, Cubanismo, Joao Bosco e grupo, dann Yellow Jackets usw. usw. …

Wie haben Norbert Dalsass, Michele Giro und Roland Hinteregger sich überhaupt kennengelernt?

Es war ein guter Moment, denn ich steckte in einer Schaffenskrise. Die Lernzeit schien vorbeizusein und keine motivierende Impulse mehr zu bieten. Roman kannte ich schon länger, zusammen haben wir uns bereits gut eingespielt und viel Gemeinsames entdeckt. Für den Chor Ars Cantandi studierte ich die Begleitung ihres Konzertprogrammes und bin erst bei der Generalprobe mit Michele in Kontakt getreten. Ich kann mich noch genau an die Situation erinnern. Auch dieser Moment war wie ein Flash. Das Konzert fand im Innenhof von Schloß Maretsch statt. Als ich kurz weggetreten war hörte ich Klaviermusik, und zwar einen Auszug aus dem Köln-Konzert von Keith Jarrett. Die Musik gefiel mir lange schon. Aber, es war ja keine Tonanlage aufgebaut, woher kam also diese Musik? Es war Michele. Es schien, daß der Geist von Keith Jarrett aus diesen Noten sprach … unglaublich. Genau da wurde in mir wieder ein Feuer wach. Drei Monate später standen wir gemeinsam auf der Bühne.

Klavier, Kontrabass und Schlagzeug – das ist die klassische Triobesetzung. Ist es nach wie vor das Ideal für Jazz im Zusammenspiel?

Je kleiner die Formation, um so wichtiger ist das Interplay der Musiker. Für uns war das Trio die eigentliche Bühne. Wie schon gesagt, haben wir mehrfach inspirierende Gäste eingeladen, Franco Ambrosetti, Bruno De Filippi, Sandro Satta, Luca Begonia, Andy Schnoz, Gianluca Ambrosetti usw., Das waren eher Abenteuer wie konkrete Richtungen, in die wir uns bewegen wollten. Ich habe in einer anderen Band in Sechserbesetzung dieses spezielle Interplay gelebt. Es geht auch dort und funktioniert gut. Voraussetzung ist, dass die Zusammensetzung der Musiker eine gute Balance zwischen Harmonie und Reibung aufweist, eine gute Freundschaft zum gegenseitigen Respekt führt und man bereit ist, das eigene Ego gelassen schleifen zu lassen. Bei uns im Trio funktioniert es gut, denn Michele und ich sind ganz anders gestrickt, wir ergänzen uns, Roman hilft geschickt zwischen beiden hin und her zu balancieren, auch zwischen Stücken mit harmonischen und konkreten Strukturen und Stücken, die genau deswegen leben, weil sie der lebendige Entwicklung längs eines musikalischen Themas geradezu bedürfen. Es ist nicht immer alles vorhersehbar. Das hält die Spannung für uns, aber auch für die, die uns im Konzert zuhören. Beide wissen wir nicht genau, wohin die Reise geht …

Das Jubiläumsalbum heißt schlicht „Still“. Wollen Sie damit feiern, dass es die Band noch immer gibt?

Der Titel unserer vierten CD hieß „Between“. Wir wussten damals nicht, ob wir dazwischen waren, oder ob sich unsere Kräfte langsam erschöpften. Nun wissen wir es: We are STILL alive! Dieser Titel hat uns fortwährend inspiriert. Still hat je nach Sprache viele Bedeutungen: STILL Stille, STILL immer noch, STILL trotzdem usw. Auf jeden Fall ließen wir uns zu einer inneren Ruhe finden. Neue Stimmungen und Songs wurden geboren. Alle Songs sind Eigenkompositionen. STILL, auch das Produkt selbst sollte still sein. Hierfür hat mein Künstlerfreund Alex Pergher einen kühnen, aber stillen Entwurf geliefert, ein besonderes Format auch … aber das Produkt selbst soll ja noch zu einer Überraschung werden.

Es gibt eine Anekdote von John Coltrane aus dem Jahr 1965, als er plötzlich auf der Bühne aufhörte zu spielen und sagte: „Mann, mir fällt nichts mehr ein, was ich auf dem Instrument noch spielen könnte.“ Ist das Jazz Fantasy und Ihnen persönlich auch schon passiert?

Als uns nichts mehr eingefallen ist, wussten wir, dass es Zeit für eine Pause war. In der Band selbst fand eine weitere Entwicklung keine Nahrung mehr. So gingen wir für 10 Jahre auf Wanderschaft, Michele mit seinen Projekten und ich mit meinen. Als wir dann mal – es war bei meiner Hochzeit – wieder gemeinsam auf der Bühne gestanden haben, hat es wieder gefunkt: We are STILL alive! Und das sind wir … STILL.

Coltrane gingen damals nicht nur die Noten aus, sein Saxophon erwies sich als untauglich, seine spirituelle Fülle zu artikulieren. Bietet der Kontrabass alles, um Ihre Spiritualität auszudrücken?

Gute Frage. Ich kann meinen Weg zum Kontrabass nachvollziehen. Eigentlich wollte ich Gitarre spielen, in der ersten Band hat aber ein Bassist gefehlt. Also hab ich Bass spielen gelernt. Den Bass hab ich ja gewählt, gerade weil mir die Situation dieses Angebot gemacht hat. Das war mein Weg. Der Bass ist ein Saiteninstrument, es tut sich nicht leicht sich polyphon, also mehrstimmig  zu artikulieren. Er spielt Linien, er verbindet hauptsächlich das, was andere an harmonischen Punkten vorgeben. Aber wenn man zum Komponisten wird, dann denkt man weit über das eigene Instrument hinaus. Dann empfinde ich das ganze Organikum der Band als ein vollständiges System, das meine Idee ausdrückt. Deshalb hab ich auch mehrere Formationen, die die unterschiedlichen Musikideen am besten zu Klang verarbeiten. Ich sehe mich als ein Teil des Ganzen und bin immer wieder auf der Suche nach den geeignetsten Partnern für die jeweilige Musik … Michele und Roman waren und sind für sehr Vieles geeignete Partner.

Jeder Musiker sucht sich das Instrument, das seinem Charakter am nächsten kommt. Welche Eigenschaften haben der Kontrabass und Norbert Dalsass gemeinsam?

 Gerade weil der Bass auf viele Eigenschaften von mir gut reagiert habe ich ihn wahrscheinlich auch gewählt. Er steht aufrecht. Und er vibriert. Ich muß ihn am Körper spüren, er bringt mich in Schwingung. Das kann der elektrische Bass z.B. nicht. Ohne Vibrationen, Schwingungen, am liebsten gute, geht nichts weiter. Auch im Leben nicht. Mir gefallen auch Tiefen, die tiefen Noten aber auch Tiefgänge. Ich bin neugierig, deshalb reize ich aus dem Bass noch vieles heraus und benutze auch Effekte. Sie helfen unter anderem, meine musikalische Welt zu bereichern, Grenzen zu erweitern und meine Ideen (abstrakt) in konkret Hörbares umzusetzen. Das Instrument selbst ist eigentlich nur ein Werkzeug, der Kontrabass passt also gut zu mir und eignet sich bestens dafür.

In einem Interview haben Sie das Art Ensemble of Chicago als Ihren Zugang zum Jazz bezeichnet, das großen Wert auf die schwarze Identität der Musiker und die afrikanischen Wurzeln des Jazz legte. Im aktuellen Identitätsdiskurs gibt es Stimmen, die sagen, dass die Weißen sich den schwarzen Jazz zu Unrecht angeeignet haben. Wie stehen Sie zu dieser Diskussion?

Was soll ich dazu sagen? Was ist schon Unrecht? Der Jazz ist entstanden, weil sich zwei Kulturen getroffen haben. Keine der beiden ist besser oder schlechter. Ist die linke Hand oder die rechte Hand besser? Ohne eine der beiden Kulturen gäbe es den Jazz in dieser Form nicht. Es ist ein Miteinander. Gerade in der Frage der Identität ist es wichtig, die eigenen Wurzeln kennenzulernen, zu, bzw. auf ihnen zu stehen und damit mit anderen Kulturen  in Beziehung zu treten. So entsteht gegenseitige Befruchtung, beide Seiten haben im Miteinander nur Vorteile… und keine Kriege. Neues kann entstehen. So z.B. der Jazz.

Im Studio ein neues Album einspielen oder live auf der Bühne stehen – was tun sie lieber?

Im Studio ist es eigentlich gar nicht witzig. Die rote Lampe brennt, du weißt, daß jeder Fehler erbarmungslos eingebrannt ist. Und das freie kreative Zusammenspiel wird hart auf die Probe gestellt. Keine Frage, wir stehen lieber auf der Bühne, spielen nicht nur für die Bänder, die uns aufnehmen, sondern vor lebendigen Menschen. Sie sind Teil des musikalischen Ereignisses. Sie geben uns geradezu Kraft, spiegeln uns Begeisterung zurück … wenn sie da ist. Aber das Studio ist Teil der Übung. Solange ein Projekt nicht materialisiert ist, solange ist es nicht abgeschlossen und geistert in unseren Köpfen herum. Mit einem Tonträger wird es erst materiell oder virtuell, dann steht das Produkt konkret in dieser Welt. Es ist einfach da …

Kehren wir zuletzt zu den Sternen zurück. Sie haben eine astrologische Ausbildung absolviert. Können Sie die Sterne lesen?

Horoskop heißt im Griechischen hora skopein und bedeutet wörtlich übersetzt in die Stunde schauen. Und jede Stunde ist nur eine Stunde, dann folgt die nächste usw. … Die Sterne sind andauernd in Bewegung und so auch unsere Entwicklung. Die Antiken haben ihre Weisheit und ihre Mythen, die sie anfangs nur mündlich überliefert haben, an die Sterne gebunden und im Himmel gefestigt. Dort sind sie als Symbole gespeichert. Da wir ein Teil des Kosmos sind, bewegen auch uns jene Kräfte, die aus ihm stammen und ihn bewegen. Weisheitliche Lehren haben zu Anfang der Zeiten begonnen, diese Kräfte zu differenzieren und sie mit Sternennamen zu versehen, damit sie uns für ewige Zeiten gegenwärtig bleiben können. Die Tierkreiszeichen im Kalender zeigen ganz praktisch die Phasen der Erde in ihrem Lauf um die Sonne und welche Kräfte jeweils aktiver sind wie andere. Wie der Mondkalender die Bewegung der Säfte beschreibt, auch der inneren Säfte, unserer Gefühlswelt, so kann das persönliche Horoskop uns helfen, uns hin zu unserer kleinen Sonne zu  bewegen und zu strahlen, zu wärmen, so wie die große Sonne dort oben im Himmel.

Interview: Heinrich Schwazer

Zur Person

Norbert Dalsass, Jahrgang 1959, studierte Architektur in Innsbruck und Venedig. Jazzmusiker wurde er als Autodidakt und ist, außer mit Jazz Fantasy, in eigenen Projekten national und international unterwegs.  Von 1985 bis 2021 war er künstlerischer Leiter im Bereich Musik der Gruppe Dekadenz Brixen und organisierte über 300 Konzerte, von 2020 bis 2022 war er Präsident des Vereins. Er lebt in Brixen. Am Montag, 30. Jänner präsentiert „Jazz Fantasy“ die CD „Still“ in der Bozner Carambolage. Beginn: 20.00 Uhr.

 

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