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Des Glückes Schmied

Foto: lpa/unsplash

In Südtirol sind die individuellen Chancen, bestimmte gesellschaftliche Positionen zu erreichen, immer noch ungleich verteilt und von der sozialen Herkunft geprägt.

Arno Kompatscher ist sich der politischen Verantwortung durchaus bewusst: „Der Landesregierung ist sehr dran gelegen, im gesellschaftlichem Gefüge niemanden zurückzulassen.“

Dazu müsse man echte Chancengleichheit herbeiführen, aber auch ein engmaschiges Sicherheitsnetz gegen den sozialen Abstieg spannen, so der Landeshauptmann.

In dieselbe Kerbe schlägt auch Eurac-Präsident Roland Psenner: „Je weiter sich die Schere zwischen Arm und Reich auftut, je stärker die soziale Herkunft zum Schicksal wird, desto rasanter vermindert sich unser Aktionsradius im Erreichen der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Allein deshalb muss uns Chancengleichheit in einer Gesellschaft wichtig sein.“

Die gesellschafts- und sozialpolitisch immens wichtige Frage lautet: Sind wir unseres eigenen Glückes Schmied – oder sind Beruf und soziale Stellung vom familiären Hintergrund bestimmt?

Eurac Research und AFI haben nun erstmals ein umfassendes Gesamtbild für Südtirol zu dieser Frage geliefert. Und dieses zeigt: Die Lage hat sich für viele der Befragten im Vergleich zu ihren Eltern verbessert – sowohl was Bildung, Beruf oder finanzielles Auskommen betrifft –, allerdings sind die individuellen Chancen, bestimmte gesellschaftliche Positionen zu erreichen, immer noch ungleich verteilt und von der sozialen Herkunft geprägt.

„Eine Gesellschaft ist dann sozial mobil bzw. durchlässig, wenn deren Bürgerinnen und Bürger echte Chancen haben, ihre gesellschaftliche Position zu verbessern, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft“, erklärt AFI-Chef Stefan Perini. Doch wie schwer ist es in Südtirol, die soziale Leiter hochzuklettern? Sind wir das Land der unbegrenzten Möglichkeiten – oder müssen wir von einem Land der eingeschränkten Entwicklungschancen sprechen?

Eurac Research und AFI haben im Frühjahr 2022 rund 1.500 SüdtirolerInnen zwischen 25 und 74 Jahren zu Bildungsabschluss, beruflicher und wirtschaftlicher Stellung telefonisch befragt – und zwar nicht nur mit Blick auf die befragte Person selbst, sondern auch auf deren Eltern.

Die breite Streuung des Alters der Zielbevölkerung erlaubte dabei, zwischen den drei Generationen der Babyboomer (Jahrgänge von 1948 bis 1965), Generation X (1966—1979) und Millennials (1980—1997) zu unterscheiden, was Schlüsse zulässt, ob bzw. wie sich die Situation mit der Zeit verändert hat.

AFI-Chef Stefan Perini

Bildung: Immer höhere Bildungsgrade

Was das Thema Bildung anbelangt, haben strukturelle Wandlungsprozesse im Bildungssystem zu einer Erhöhung des durchschnittlichen Bildungsniveaus geführt. Will heißen: Im Vergleich der drei Generationen kam es über die Zeit zu einer steten Zunahme des Anteils von Menschen mit Matura bzw. Hochschulabschluss.

Trotz des insgesamt gestiegenen Bildungsniveaus ist allerdings die Chance, einen hohen Bildungsgrad zu erreichen, größer, wenn mindestens ein Elternteil einen Hochschulabschluss besitzt. Diese Tendenz ist unter den jüngeren Generationen etwas weniger markant, allerdings immer noch präsent, so die Macher der Studie.

Beruf: Berufliche Positionen werden vererbt

Der Mittelstand ist in der Generation der Millennials im Vergleich zu den vorhergehenden Generationen deutlich geschrumpft. So zeichnet sich die „sanduhrförmige“ Beschäftigungsstruktur der Millennials durch eine hohe Anzahl von Beschäftigten in den oberen (high class) und unteren Berufsklassen (working class) aus, während die Anzahl der Beschäftigten in der Mittelschicht (middle class) vergleichsweise gering ist.

Insgesamt ist es 32,1 % der Befragten gelungen, die eigene berufliche Position im Vergleich zu ihren Eltern zu verbessern, 19,0 % sind abgestiegen. Der Anteil der sozial immobilen Personen – also jener, deren berufliche Stellung sich im Vergleich zu den Eltern nicht verändert hat – ist im Laufe der Generationen leicht gestiegen.

Eine hohe absolute soziale Mobilität bedeutet aber nicht unbedingt eine sozial durchlässige Gesellschaft, da sie wesentlich auf Veränderungen in der Arbeitsmarktstruktur zurückzuführen ist, erklärt Stefan Perini.

Die relative soziale Mobilität hingegen zeigt, dass auch in Südtirol die Chancen einer Person, in einer bestimmten Berufsklasse zu landen, immer noch von der Berufsklasse der Eltern abhängen. Kinder von Führungskräften etwa haben im Vergleich zu Kindern anderer sozialer Herkunft eine beinahe sechsmal so hohe Chance, selbst Führungskräfte zu werden.

Finanzielles Auskommen: Wirtschaftliche Lage hat sich verbessert

Die wirtschaftliche Lage der Bürgerinnen und Bürger in Südtirol hat sich – laut Eigeneinschätzung der Befragten – in den vergangenen Jahrzehnten verbessert.

42,7 % der Befragten gaben an, dass sie heute ein einfacheres Auskommen mit dem Haushaltseinkommen hätten, als das in ihrer Familie der Fall war, als sie 14 Jahre alt waren.

Nur 16,5 % kommen heute in ihrem Haushalt schwieriger über die Runden als das in ihrem Elternhaus der Fall war. Des Weiteren zeigt sich ein Zusammenhang zwischen dem Bildungsgrad der befragten Personen und ihrem finanziellen Auskommen. Je höher die erreichte Bildungsstufe, desto einfacher kommen die Befragten über die Runden.

Handlungsempfehlungen: 87 mögliche Maßnahmen vorgestellt

Wie AFI-Direktor Stefan Perini betonte, hätten die Partnerinstitute einen 87-Punkte-Katalog erstellt, der sicherstellen soll, dass der soziale Aufzug gut in Schuss bleibt.

Die einzelnen Interventionen lassen sich dabei in sieben Makrobereiche bündeln: Bildung, Familie, Soziale Inklusion, Gesundheit, Arbeitsmarkt, Steuerpolitik und öffentliche Leistungen, urbane und ländliche Entwicklung.

Laut dem Leiter des Center for Advanced Studies, Harald Pechlaner, sei gezieltes politisches Handeln möglich (und notwendig), um die Chancengleichheit zu erhöhen. Dabei gelte es auch, bestimmte unerwünschte Arten der sozialen Mobilität, etwa das Risiko kurzfristiger Abstiege nach einer Krankheit, dem Verlust des Arbeitsplatzes oder einer Trennung abzufedern.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (7)

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  • romy1988

    Hier ein Beispiel aus meinem Freundeskreis: die Tochter einer befreundeten Familie hat nach erfolgreichem Wirtschaftsstudium in Wien für 4 Jahre in Berlin im Management gearbeitet. Mit sehr guter Auslandserfahrung ist sie nach Südtirol zurückgekehrt und hat sich dort bei einer Firma um einen Posten beworben, für den sie das notwendige Wissen mitgebracht hätte. Dieser Job allerdings wurde dem Sohn einer Führungskraft zugesprochen, obwohl dieser mit 2 Klassenwiederholungen nur den Maturaabschluss hatte, von Auslandserfahrung reden wie erst gar nicht. Fazit: Kinder von Führungskräften sind bei weitem nicht so intelligent, wie ihre Eltern es sich einreden.

  • semperoper

    Der Herr Pechlaner, auch so ein Schwafelkönig. Kommt jedesmal mit irgendwelchen Floskeln, aber konkrete Lösungen: Fehlanzeige

  • pingoballino1955

    Vonwegen Chancengleichheit:Vetternwirtschaft gepuscht von der SvP.

  • pippo

    Und ganz wichtig( was im Artikel nicht steht), das „richtige“ Parteikartl sollte man haben…

  • sougeatsnet

    In Südtirol ist Vitamin B wichtiger als irgend welche Kompetenzen. Ich glaube wir haben in dieser Beziehung Süditalien links überholt. Unser LH scheint da einer der wenigen Unbestechlichen zu sein und dies gefällt gewissen Leuten überhaupt nicht.

  • 2xnachgedacht

    fazit: vitamin b ist gentechnisch nachweisbar….

  • dn

    Ich würde da für niemanden die Hand ins Feuer legen. Bei privaten Unternehmen ist diese Praxis irgendwo nachvollziehbar (oder eigentlich nicht). Bei öffentlichen Betrieben ist es eigentlich Aufgabe der Opposition, hier genau hinzuschauen.

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