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„Das ist zum Kotzen“

Foto: 123rf

Markus Warasin arbeitet seit rund 20 Jahren im EU-Parlament und verfolgt den Korruptionsskandal aus nächster Nähe. Wie er die Situation erlebt und warum er glaubt, dass sich die EU davon auch erholen kann.

Tageszeitung: Herr Warasin, der Korruptionsskandal in der EU breitet sich immer weiter aus, es wird wohl der größ0et Skandal, den die EU je hatte. Wie erleben Sie die Situation vor Ort?

Markus Warasin: Es ist ja nicht der erste Skandal. Bereits 2011 haben sich Mitarbeiter einer britischen Tageszeitung als Lobbyisten ausgegeben und Abgeordnete darum gebeten, für Geld ihre Stimme abzugeben. Von 60 Parlamentarier, die gefragt wurden, haben drei dieses Angebot angenommen. Davon betroffen war damals auch Ernst Strasser, der ehemalige österreichische Innenminister.

Dennoch übertrifft dieser Skandal alles Dagewesene…

Ja, allerdings steht nicht die gesamte EU unter Korruptionsverdacht, sondern es geht um Menschen, die ein Mandat von ihrer Wählerschaft bekommen haben, aber plötzlich die Interessen eines Drittstaates vertreten. Sie missbrauchen damit ihr Mandat, das ist auch der Grund, weshalb sich die Staatsanwaltschaft eingeschaltet hat. Es gibt sicher viele Mandatare, die mit Marokko, Katar, oder auch China und Russland in Kontakt waren, nicht jeder von ihnen ist aber auch korrupt. Es gibt manche, die tatsächlich solche Position vertreten, es ist schwierig festzustellen, wer von ihnen korrupt ist.

Wie viel bekommen Sie von der Situation vor Ort mit? Wie gehen Mitarbeiter und Politiker damit um?

Ich leite ja das Sekretariat des Ausschusses, der sich genau mit der Frage beschäftigt, wie unsere demokratischen Vertreter von Drittländern beeinflusst oder unter Druck gesetzt werden. Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten wie Drittstaaten versuchen, Einfluss auf die Politik zu nehmen. Katar war dabei bisher nicht so sehr im Fokus. Wir haben uns eher mit China, Russland, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Türkei, Indien oder Saudi-Arabien beschäftigt. In den letzten Tagen hat man gesehen, welche starke Reaktionen durch den Skandal hervorgerufen worden sind. Bereits am Montag hat die Präsidiums-Präsidentin beschlossen, die Vize-Präsidentin Eva Kaili des Amtes zu beheben. Sie hat auch eine Reform und eine Aufarbeitung angekündigt. Das ist die einzige Art und Weise, wie Parlamente mit einem solchen Skandal umgehen können. Man kann Mandate nur noch kontrollierter gestalten. Das ist im Endeffekt aber schwierig, weil es nun Mal über 700 Abgeordnete gibt, die häufig in Freundschaftsgruppen mit China, Russland, Katar, Marokko oder Türkei sind, die spezifischen Interessen vertreten. Wenn ich für die NATO, die Amerikaner oder China werbe, ist das nicht verwerflich, erst wenn Korruption dahintersteckt, ist das ein Problem. Die EU muss nun mit der belgischen Justiz kooperieren und selbst im Ausschuss die Untersuchungen vorantreiben.

Reicht das, um die Korruption vergessen zu machen? Immerhin scheinen sich die Betroffenen sehr dreist verhalten zu haben. Nun wird sogar von Koffern voller Geld berichtet, die in Wohnungen herumlagen…

Wenn das wirklich so passiert ist, dann ist das – verzeihen sie den Ausdruck – zum Kotzen. Ich kenne ja auch die Abgeordneten, sie hatten hohe Positionen, sie waren nicht unbedeutend. Wenn sie dermaßen ihr Mandat missbrauchen, ist das unbegreiflich. Ich verstehe dann auch, dass man über diese Dreistigkeit schockiert ist und sich das negativ auf die gesamte EU auswirkt. Ich habe sogar Verständnis dafür, dass die Leute nicht so sehr differenzieren. Ich arbeite seit 20 Jahren in Brüssel und unterscheide zwischen den einzelnen Abgeordneten, mache Unterscheidungen, zu welcher Fraktion jemand gehört, ob er im Rat, im Parlament oder in einem Ausschuss tätig ist. Ein Bürger sieht lediglich, dass in Brüssel wieder etwas los ist, weshalb das ein schlechtes Licht auf ganz Europa wirft. Man muss daher reagieren und die faulen Äpfel aussortieren.

Was muss geschehen, um den Image-Schaden in Grenzen zu halten?

Der Image-Schaden ist verständlich. Auch wenn die EU, sondern nur einzelne Abgeordnete falsch gehandelt haben, wirft das ein negatives Licht auf die EU. Sie kann nichts anderes tun, als an ihr Verständnis des Aufgabenbereiches weiterzuarbeiten. Sie ist nicht dafür da, um von irgendwelche Drittstaaten korrumpiert zu werden, sondern um für die EU-Bürger zu arbeiten. Ich bin mir sicher, dass die Parlamentspräsidentin, aber die, die hier ehrlich arbeiten, müssen sich mit dem Image-Schaden auseinandersetzen.

 

Interview: Markus Rufin

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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