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Streit ums Sorgerecht

50 Jahre nach dem zweiten Autonomiestatut: Wer sind die echten Väter und vielleicht auch Mütter der Autonomie? Die Diskussion rund um den Autonomie-Parcours am Silvius-Magnago-Platz zeigt, dass es noch einiges zu klären gilt.

von Silke Hinterwaldner

Es ist wahrscheinlich vielen, die an diesem Platz vorbeikamen, schon so oder ähnlich ergangen: Kommt man an den Silvius-Magnago-Platz, macht man möglichst einen Bogen darum herum. Kaum jemand wählt die Route direkt über den Platz. Im Sommer ist es dort brütend heiß, die Sonne knallt unbarmherzig auf den Steinboden. Im Winter wirkt alles leer und kalt. Wer unbedingt muss, drückt sich höchstens an den hohen Wänden des Palais Widmann entlang, um zum Landhaus zu kommen – oder schleicht über die Unterführung zum Bahnhofsplatz.

Seit einem Jahr aber gibt es etwas auf dem Platz, das zumindest für ein wenig Ablenkung sorgt: Neun rote Stelen, auf denen die Geschichte der Autonomie und die Rolle von Silvius Magnago erklärt wird. Angelika Fleckinger, damit beauftragt die Inhalte dreidimensional umzusetzen, sagt: „Das ist eine einmalige Sache. Wir haben hier Europas einzigen permanenten Ausstellungsparcours im Freien.“ Das ist auch mit Problemen verbunden: Die Temperaturschwankungen machen den Bildschirmen zu schaffen. Die Sonne erschwert das Lesen der kleinen Texte. Aber im Großen und Ganzen sei man mit der Installation zufrieden. Vor allem inhaltlich.

Dabei hat es im abgelaufenen Jahr aber immer wieder Kritik gegeben. Die Italiener fühlen sich vernachlässigt. Ganz besonders Alcide Berloffa, auch einer der Väter der Autonomie, sagt Historiker Giorgio Mezzalira, komme zu kurz. Er kommt auf dem Parcours so gut wie gar nicht vor. Ihm ist lediglich eine Sitzbank im Park gegenüber gewidmet. Und wo ist Alfons Benedikter? Wo Roland Riz, Toni Ebner, wo Peter Brugger oder Bruno Kreisky und Alexander Langer? Wo sind die Sprengstoffattentäter und wo ist die wichtige Rolle der Kirche beschrieben?

Historikern Martha Stocker ist Präsidentin der Silvius-Magnago-Stiftung und maßgeblich beteiligt an der Gestaltung des Autonomie-Parcours auf dem Platz vor dem Landtag. Mehr noch: Sie war im Juni 2018 noch Mitglied der Landesregierung als der initiale Beschluss gefasst wurde: Der Landtag erteilte einstimmig den Auftrag an eine Arbeitsgruppe, den Vater der Autonomie Silvius Magnago zu würdigen. Bei der Umsetzung in der Arbeitsgruppe mit Stocker, Hans Karl Peterlini, Andrea di Michele, Verena Malfertheiner und Josef Rohrer wurde schnell klar, dass man weg von einer personenbezogenen Aufarbeitung hin zu einer thematisch und inhaltlich breiteren Gestaltung wollte. Das Problem dabei: Es sollte nicht nur – aber eben vor allem auch – um Magnago gehen, sondern das Spannungsverhältnis eines individuellen Bedürfnisses nach Autonomie und dem Schutz von einzelnen Gruppen verdeutlichen. Und das alles auf neun Stelen, auf denen man sich so kurz als möglich halten sollte. Martha Stocker spricht heute von einer „unglaublich starken Reduzierung“.

Aber es geht nicht nur um Reduzierung, sondern auch um Veränderung. Eine der Stelen ist dem ethnischen Proporz gewidmet, der vor ziemlich genau 50 Jahren im zweiten Autonomiestatut verankert wurde. Er sollte eine Ungerechtigkeit in der öffentlichen Verwaltung bewältigen – damals waren öffentlichen Stellen in mehrheitlich italienischer Hand. Deutsch- und Ladinischsprachige hatten kaum Zugang zu diesen Stellen. Ein Proporz, der von deutschsprachiger Seite gefordert, von italienischsprachiger Seite oft aber als Ungerechtigkeit empfunden wurde. Viele Jahre später hat Giorgio Holzmann einmal im Landtag gesagt, dass die strenge Einteilung nach Sprachgruppen mittlerweile eher ein Schutz für die Italiener sei. So ändert sich die Welt auch in einer Autonomie. Weshalb auch die Frage erlaubt sein sollte: Wen schützt der Proporz heute? Ist er in dieser Form überhaupt noch sinnvoll? Und wie wird sich die Autonomie jetzt weiterentwickeln – angesichts von Krieg in der Ukraine, Klimawandel und voraussichtlich auch einem politischen Kurswechsel in Rom? Hält die Autonomie das alles aus? Reichen die dort verankerten Parameter überhaupt noch, um Südtirol gut zu verwalten? Oder muss es morgen einfach nur das Ziel sein, die erworbenen Rechte zu verteidigen?

Am Parcours zur Autonomiegeschichte am Silvius-Magnago-Platz kann ruhig weitergedacht werden. Ein work in progress sozusagen.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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