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„Kunst muss politisch sein“

Sophie Lazari: Kunst, die nur schön sein will, ist überholt.

Die in Berlin lebende Künstlerin Sophie Lazari ist mit dem Kunstpreis „HGV-Künstler:in des Jahres“ ausgezeichnet worden. Ihr Werk: Eine feministische Umdeutung der Südtiroler Wattkarten.

Tageszeitung: Der Direktor des Museion Bart van der Heide hat Sie in seiner Laudatio als „queere Künstlerin“ bezeichnet. Was bedeutet das?

Sophie Lazari: Das bedeutet, dass ich mich nicht als hetero definiere. Ich bin Teil der queeren Community und lebe, in einer Gesellschaft mit heteronormativen Rollen, in die ich mich nicht einfüge.

Zum Beispiel?

Da könnte man jetzt lange über das Patriarchat und den Kapitalismus reden, aber man kann auch über alltägliche Sachen reden. Warum gibt es keine gendergerechten Toiletten, warum steht in unserer Sprache nach wie vor das männliche Geschlecht im Vordergrund, warum verdienen Frauen nach wie vor weniger als Männer, warum werden die meisten hohen Positionen von Männern besetzt, warum ist für mich als Frau das Risiko, dass mir auf der Straße etwas passiert, noch immer hoch? Natürlich war die Situation vor 50 Jahren noch schlimmer, aber die Diskriminierungen sind noch nicht beseitigt. Ich stehe mit meiner Kunst politisch hinter diesen Forderungen.

Das heißt …

Das heißt, dass Kunst für mich heutzutage politisch sein muss. Eine Kunst, die nur schön sein will, ist überholt. Es gibt so viele Probleme in der Welt, dass ich mich als Künstlerin verpflichtet fühle, diese zu thematisieren und darzustellen. Ich möchte die Menschen sensibilisieren und Aufklärungsarbeit leisten.

Formalistische Kunst ist out.

Ich möchte keine Künstlerinnen und Künstler schlecht reden, die Kunst aus rein ästhetischen Gründen machen. Das muss weiterhin möglich sein. Ich persönlich finde, dass man als Künstlerin in der heutigen Gesellschaft politisch sein muss, um den Menschen Themen wie Postkolonialismus, Anti-Rassismus, Anti-Sexismus oder Anti-Homophobie näher zu bringen.

Sie haben eine Arbeit über Tarantismus, die Tanzwut, die in Apulien seit dem Mittelalter angeblich als Folge von Spinnenbissen auftrat, gemacht. Was ist daran politisch?

Das ist eine feministische Arbeit über ein Phänomen in Süditalien, wonach ein Spinnenbiss hauptsächlich bei Frauen eine hysterische Reaktion auslösen soll. Diese Frauen wurden in einer Kirche mittels bestimmter Rituale geheilt, indem ihnen durch Tanz und Musik das Gift aus dem Körper ausgetrieben wurde. Dass der Spinnenbiss die hysterischen Anfälle auslöste, ist natürlich ein Mythos. In Wahrheit mussten diese Frauen unter extremer Hitze harte Arbeit auf den Feldern leisten, wurden missbraucht und vergewaltigt, sie waren praktisch Sklavinnen. Die Tarantel steht also für Macht und die Tarantata, die von der Tarantel Gebissene, ist die Verrückte, die aus allen gesellschaftlichen Regeln ausbrechen kann.

Sie ist zwar Sklavin, aber die Verrücktheit macht sie frei.

Genau. Das ist der feministische Gedanke dahinter. Niemand will verrückt sein, aber anders war die Befreiung wohl nicht möglich.

Für den HGV-Kunstpreis haben Sie Südtiroler Wattkarten feministisch umgedeutet. Auch sehr politisch, zumal ja alle Spielkarten männlich sind.

Die Figuren auf den Wattkarten sind alles Männer. Das habe ich aufgebrochen und auch Frauenfiguren eingefügt. Außerdem habe ich die Hierarchie ausgehebelt, indem ich die hierarchisch höchste Karte, die Ass, der Figur des Zimmermädchens zuweise, also einer eher niederen Position im Gastgewerbe.

Die mit betonten Hintern auch stark sexualisiert sind.

Zimmermädchen gelten als sehr sexualisierte Berufe. Ich provoziere da mit dem Gleichklang zwischen dem deutschen Wort Ass und dem englischen Ass.

Sind Sie leidenschaftliche Watterin?

Watten ist ein cooles Spiel, ich selber kann es leider nicht sehr gut.

Interview: Heinrich Schwazer

Zur Person

Sophie Lazari ist 1997 in Bologna geboren und in Südtirol aufgewachsen. Sie studierte visuelle Kommunikation/Illustration bei Hennig Wagenbreth an der Universität der Künste (UDK) in Berlin. Heute lebt und arbeitet die Künstlerin in Berlin.

HGV-Künstler:in des Jahres

Im Glasshouse des Parkhotel Laurin wurde zum siebten Mal der Kunstpreis „HGV-Künstler:in des Jahres“ vergeben. Preisträgerin ist die Bozner Künstlerin Sophie Lazari. Der Hoteliers- und Gastwirteverband (HGV) hat das Projekt gemeinsam mit dem Südtiroler Künstlerbund (SKB) ins Leben gerufen, mit dem Ziel, zwei im Alltag fremde Bereiche, die Kunst und die Hotellerie und Gastronomie, in einem Zusammenspiel auf Augenhöhe zu bringen.  Lazaris Gesamtwerk besteht aus einem Einzelstück, einen bemalten Tisch, der sich besonders zum Watten eignet und aus einer limitierten Edition von modifizierten Wattkarten.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (3)

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  • gorgo

    Interessant.
    Aber warum zeigt ihr die schöne Künstlerin und nicht einige der Karten?
    Ob Hierarchien ausgehebelt werden können indem man die Geschlechter austauscht, sei dahingestellt, ob es feministisch ist, die Sexualisierung eines Berufsstandes zu übernehmen, auch. Wobei eben auch der Abspüler in dieser Welt die Arschkarte gezogen hat.

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