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„Keine Extraregelung“

Gernot Walder

In Italien wird derzeit über eine Verkürzung der Quarantäne bei einer Coronainfektion diskutiert. Der Osttiroler Virologe Gernot Walder erklärt, warum die Quarantäne gänzlich aufgehoben werden sollte.

Tageszeitung: Herr Walder, in Österreich gibt es seit einiger Zeit keine Quarantänepflicht für Coronainfizierte mehr. Wie hat sich das auf die Infektionszahlen ausgewirkt?

Gernot Walder: Das Aufheben der Quarantäneregelung hat nicht zu einem sprunghaften Anstieg der Erkrankungswelle geführt. Betrachtet man die epidemiologische Lage, so macht es nicht mehr viel Sinn, Corona anders zu behandeln als zum Beispiel Influenza oder Masern. Klar ist: Wer eine Infektion hat, bleibt zu Hause, bis die Symptome abgeklungen sind und man nicht mehr ansteckend ist. Das ist keine Frage der Quarantäne, sondern eine Frage des Hausverstandes.

Wie lange sollte man durchschnittlich zu Hause bleiben?

Jede klar symptomatische Infektion sollte ärztlich abgeklärt und der Erreger identifiziert werden. Der Arzt entscheidet dann im Einzelfall, wann der Krankenstand beendet werden kann und ob ein weiterer Test notwendig ist.

Man zählt also auf die Eigenverantwortung der Bürger?

Ja, einerseits auf die Eigenverantwortung der Bürger, aber auch auf die Verantwortung der behandelnden Ärzte und des behandelnden medizinischen Personals.

Derzeit diskutiert man auch in Italien über eine Verkürzung der Quarantäne. Würden Sie eine solche Entscheidung befürworten?

In der derzeitigen Situation macht es wenig Sinn, Corona anders oder strenger zu handhaben als andere meldepflichtige Krankheiten. Ich halte es für sinnvoll, Corona aus dem Rampenlicht zu nehmen und einen vernünftigeren Umgang mit Infektionskrankheiten generell zu forcieren. Noch einmal: Ein Aufheben der Quarantänepflicht bedeutet nicht, dass Kranke nicht mehr zu Hause bleiben sollen und entbindet uns nicht von einem verantwortungsvollen Verhalten gegenüber unseren Mitmenschen, im häuslichen Umfeld genauso wie am Arbeitsplatz. Es kann nicht sein, dass jemand, der Influenza, Corona, Masern, Windpocken oder TBC hat, an Veranstaltungen teilnimmt, im Chor singt, in einer Schule unterrichtet oder gar irgendwelche Patienten behandelt. Das ist bei keiner Infektionskrankheit sinnvoll, vor und nach Corona, mit oder ohne Quarantänepflicht.

Kann mit Hinblick auf den Schulbeginn und die kommenden kälteren Monate an diesem Modell festgehalten werden?

Das ist aus heutiger Sicht wahrscheinlich möglich. Im Herbst und Winter wird es, so wie jedes Jahr, zu einem Anstieg der respiratorischen Infektionen kommen. Weitere Coronawellen sollten dabei nicht wesentlich spektakulärer verlaufen als die letzten – allerdings werden auch andere Erreger eine verstärkte Rolle spielen. Es müssten schon recht ungünstige Faktoren zusammenkommen, dass neuerlich Restriktionsmaßnahmen notwendig oder sinnvoll wären. Wir sollten uns nicht ängstlich auf Corona konzentrieren, sondern Infektionskrankheiten generell ernst nehmen: Kein Krankheitserreger sollte weitergegeben werden, alle sind schädlich. Mit Fieber, Husten und Schnupfen oder Durchfall gehört man zum Arzt und nicht zur Arbeit, man hält Abstand zu anderen und bleibt zu Hause. Ein guter Impfschutz (nicht nur gegen Corona, auch gegen Grippe oder Pneumokokken), eine gute Alltagshygiene, regelmäßiger dynamischer Sport, Stressreduktion und ein nicht zu warmes und trockenes Raumklima sind ausschlaggebend, um gut durch die Wintersaison zu kommen. Wenn wir das berücksichtigen, ist schon viel erreicht.

Was hat man in dieser Hinsicht falsch gemacht?

Ich glaube, dass wir unter dem Eindruck der Antibiotika und dem Erfolg der Impfungen Infektionskrankheiten viele Jahre lang nicht mehr wirklich ernst genommen haben. Wir haben aus den Augen verloren, dass die Infektionskrankheiten das eigentliche Berufsrisiko aller Gesundheitsberufe sind. Hygienefachärzte und Hygienefachkräfte sind die Experten, die uns täglich helfen, dieses Berufsrisiko zu bewältigen und die Sanität auch in epidemiologisch schwierigen Lagen funktionsfähig zu erhalten. Das haben wir jahrelang vernachlässigt. Wenn uns Corona nun gelehrt hat, den Umgang mit Infektionskrankheiten jenseits von jeder Hysterie, jenseits von unangemessener Angst und jenseits von ebenso unangemessener Ignoranz auf eine seriöse, nachhaltige und gute Basis zu stellen, dann ist viel erreicht. Wir brauchen vielleicht keine Extraregeln für Corona, etwas ernster nehmen als 2019 sollten wir Infektionskrankheiten aber sehr wohl.

Interview: Franziska Mayr

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (5)

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  • unglaublich

    Die Panikmache muss ein Ende haben. Fast alle frühen Aussagen sog. Fachleute wurden mittlerweile widerlegt. Panik macht krank und spaltet die Gesellschaft.

    • heracleummantegazziani

      Welche Aussagen der Fachleute wurden denn widerlegt? Können Sie das erklären?

      • unglaublich

        Wo wollen Sie anfangen?
        Bei der Aussage, dass Geimpfte das Virus nicht weitergeben können, oder bei der Aussage dass die Pandemie zu Ende ist, wenn sich alle impfen lassen, oder bei der Aussage, dass Geimpfte nicht schwer erkranken können, oder bei der Aussage, dass die Impfung keine Nebenwirkungen verursacht, oder bei der Aussage, dass es bei genügend Impfwilligen zur Herdenimmunität kommt.

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