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„Südtirol baut falsch“

AFI-Direktor Stefan Perini über die weitere Entwicklung der Inflation, die Kritik am geplanten Wohnbaugesetz und über den zunehmenden Fachkräftemangel.

Tageszeitung: Herr Perini, wird uns die hohe Inflation noch lange begleiten und unser Geld entwerten?

Stefan Perini (Arbeitsförderungsinstitut): Auf diese Frage haben die Wirtschaftsforscher momentan keine abschließende Antwort. Es gibt ein positives und ein negatives Szenario. Im positiven Szenario kann sich die Staatengemeinschaft so organisieren, dass sie mit neuen Energiequellen und Lieferanten den Druck im Rohstoff- und Energiebereich unter Kontrolle bringt und Versorgungssicherheit schafft. In diesem Fall würde die Inflation schon ab Herbst wieder unter die 5-Prozent-Marke sinken. Voraussetzung ist zudem, dass der Ukraine-Krieg nicht weiter eskaliert.

Und das andere Szenario?

Im negativen Szenario begleitet uns das Problem an den Rohstoff- und Energiemärkten mittelfristig, sodass die Inflation anhaltend hoch bleibt. Als Folge würden entsprechende Forderungen laut: seitens der Gewerkschaften in Bezug auf Lohnanpassungen, aber auch seitens der Unternehmen in Bezug auf die Anpassung laufender Verträge mit Lieferanten und öffentlichen Auftraggebern.

Im Hinblick auf die Geldpolitik sagen kritische Ökonomen, die Europäische Zentralbank hätte schon längst mit ihrer expansiven Geldpolitik aufhören müssen, weil die hohe Inflation nur eine Frage der Zeit gewesen sei. Jetzt aber gebe es das Problem, dass eine Erhöhung des Leitzinses in dieser Phase die Wirtschaft abwürgen könnte. Was also tun in der Geldpolitik?

Eine restriktive Geldpolitik ist sehr wirksam, wenn die Inflation von der Nachfrageseite ausgeht, also von einer Überhitzung der Wirtschaft. Aktuell steigen die Preise aber, weil das Angebot knapper wird und deshalb die Kosten steigen. So eine Art von Inflation bekommt man mit der Leitzinspolitik nicht gut in Griff. Eine Leitzinserhöhung wäre derzeit gefährlich, weil Investitionen damit weniger attraktiv würden und der Aufschwung somit kompromittiert werden könnte. Die aktuelle Inflation bekommt man also nicht mit der Geldpolitik unter Kontrolle, sondern durch Versorgungssicherheit im Energie- und Rohstoffbereich, die die momentane Panik an den Märkten nimmt. Das kann man durch Abkommen mit anderen Ländern garantieren.

In der Berechnung der statistischen Inflation werden die Immobilienpreise nicht berücksichtigt. Dabei sind die Wohnungs- und Mietpreise in den letzten Jahren explodiert, sodass die Lebenshaltungskosten eigentlich viel stärker gestiegen sind als es uns die offiziellen Inflationszahlen zeigen. Wie sehen Sie das?

Was wir als Inflation kennen, ist die Veränderungsrate des Verbraucherpreisindex. Dabei wird ein durchschnittlicher Verbrauch einer vierköpfigen Familie herangezogen. In diesem Warenkorb ist auch eine unterstellte Miete enthalten. Allerdings werden Investitionsentscheidungen – etwa der Kauf eines Eigenheims – vom Verbraucherpreisindex nicht abgebildet.

Was gilt es in der Wohnbaupolitik zu tun?

Es muss einiges geschehen, denn für immer mehr Familien wird es zur großen finanziellen Belastung, ein Dach über den Kopf zu haben. Ein neues Wohnbaugesetz sollte aber besser sein als das heutige. Landesrätin Waltraud Deeg will ihr Gesetz schnell abschließen und fordert dahingehend Mut vom zuständigen Landtagsausschuss. Man sollte aber vielmehr Mut haben, ein gutes Gesetz zu machen anstatt aus Zeitdruck – nur weil man einen politischen Erfolg braucht – ein schlechtes Gesetz. Der Gesetzentwurf zum öffentlichen und sozialen Wohnbau bietet nicht ausreichend Garantien, um sagen zu können, dass damit das Wohnproblem in Südtirol morgen besser gelöst werden kann als dies mit den geltenden Bestimmungen der Fall ist.

Welcher Punkt etwa müsste unbedingt ins Gesetz?

Die Einbindung der Sozialpartner ist in keinem Punkt vorgesehen. Früher etwa waren Vertreter der Arbeitnehmer im Verwaltungsrat des Wobi, sodass es eine Einbeziehung in die Entscheidungsfindung gab. Heute macht die Landesregierung, was sie will – über die Wobi-Präsidentschaft, die sie ernennt. Eine Einbeziehung der Sozialpartner fehlte auch in der Ausarbeitung des Gesetzentwurfes, und wird es wohl ebenso in der Ausformulierung der Durchführungsbestimmungen nicht geben. Das heißt, die Sozialpartner wurden drei Mal ausgeladen.

Die hohen Lebenshaltungskosten in Südtirol befeuern auch den Fachkräftemangel. Betriebe berichten, dass Fachkräfte aus dem Ausland nicht nach Südtirol kommen wollen. Wie sehen Sie die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt?

Das ist ein Riesenproblem, da eine Pensionierungswelle bevorsteht. Es werden mehr Menschen pensionsbedingt aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden als neue Arbeitskräfte eintreten. Das ist keine Neuigkeit – das wissen wir seit 20 Jahren. Es verwundert deshalb, dass diese Dynamik nicht früher erkannt worden ist. Bis die Digitalisierung und Automatisierung stark zum Tragen kommt – Beispiel selbstfahrende Fahrzeuge –, haben wir einen Arbeitskräftebedarf von außerhalb der Provinz. Das heißt, wir sollten attraktiv werden für Mitarbeiter aus den nördlichen Nachbarregionen und aus Italien. Südtirol hat noch eine gewisse Attraktivität für Arbeitskräfte aus dem italienischen Raum, wir können aber nicht mit den nördlichen Nachbarn mithalten. Südtirol akquiriert momentan fast ausschließlich aus Italien. Das Gastgewerbe etwa tut sich mittlerweile schwerer, Arbeitskräfte aus Osteuropa zu finden, weil diese vielfach in ihren Heimatländern bleiben.

Alles in allem: Viele Probleme in Südtirol haben sich in den letzten Monaten verschärft hinsichtlich Lebenshaltungskosten, Wohnen oder Fachkräftemangel. Wo werden wir in fünf Jahren stehen, wenn die aktuellen Entwicklungen so weitergehen?

Es braucht eine starke Mentalität für die wirtschaftspolitische Ausrichtung in Südtirol. Vor allem braucht es eine Zahlungsbereitschaft bei den Löhnen. Wir müssen weg von der Billiglohn-Mentalität und gute Leute auch entsprechend fair bezahlen. Zudem braucht es im Wohnbau genügend Angebot für den Grundwohnbedarf – Erstwohnungen für die ansässige Bevölkerung. Viele meinen, wir müssten mehr bauen, um mehr Wohnraum zu schaffen. Aber wir müssen vielmehr schauen, dass das, was gebaut wird, für den Grundwohnbedarf zweckbestimmt wird. Das ist zentral. Das heißt weniger Chalets, weniger Urlaub auf dem Bauernhof und weniger Zweitwohnungen. Es ist nicht so, dass Südtirol zu wenig bauen täte, sondern es baut falsch. Man baut Dinge, die nicht den ansässigen Menschen zugutekommen, sondern Touristen und Zweitwohnungsbesitzern.

Interview: Heinrich Schwarz

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (7)

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  • criticus

    Herr Perini was erwarten Sie sich eigentlich von PolitikerInnen die so viel Geld bekommen, dass sie sich von der Bevölkerung und ihrer Probleme längst schon um Lichtjahre entfernt haben? Das gilt für Südtirol und Rom!

  • rumer

    Er hat richtigerweise geschrieben, dass fast niemand von Norden nach Südtirol will. Wegen geringem Verdienst, hoher Bürokratie, hohen Ausgaben.
    Die Lösung für die Summe der Probleme ist die Loslösung von Italien!

  • pingoballino1955

    Man sieht im neuen Vorschlag des Wohnbaugesetzes wie Frau Deeg gesteuert ist,nämlch NICHT SOZIAL!!!!! Abgesehen von ihrer bekannten Arroganz,wird das Gesetz überarbeitet werden müssen,denn so ist es nicht tragbar,egal ob Erfolg für die Dame oder nicht.

  • hallihallo

    Die bevölkerung südtirols ist von 1992 von 445.000 auf derzeit 537.000 angestiegen. heißt über 20% oder 92.000 personen und die wohnen alle in irgendeinem haus und fahren fast alle täglich mit dem auto auf den gleichen straßen wie 1992 zur arbeit und in die freitzeit.
    wenn jetzt jemand behaupten will, in südtirol ist zuwenig für die erstwohnungen gemacht worden, der kann wohl schlecht zahlen lesen.
    also müssen wir endlich entscheiden, ob wir mehr grund für das bauen zulassen wollen, oder ob die wirtschaft irgend woanders investieren soll.
    ist es besser weitere fabriken aufzuziehen und die arbeitskräfte von auswärts zu holen, die ja von der einheimischen bevölkerung nicht immer gerne gesehen werden , oder ist es besser die fabriken zu bauen, wo es arbeitskräfte gibt.
    diese fragen über südtirols zukunft sollen wir uns stellen und klären.
    immer sagen wir brauchen mehr arbeitsplätze und wir brauchen mehr fachkräfte, andererseits aber wollen , daß das land nicht weiter verbaut wird, landen wir automatisch in der sackgasse.
    entweder wir wollen das eine oder das andere.

    • hallihallo

      vielleicht weiss der perini nicht, daß bereits in mehreren gemeinden 100% der neuen wohnungen für immer konventioniert werden müssen.

    • positiv-thinking

      Stellt sich nicht die Frage, wohin wir alle wachsen wollen? Die verfügbaren Ressourcen bleiben die gleichen oder werden weniger, aber alle wollen weiter wachsen, die Chinesen, die Russen, die Europäer, die Amerikaner – und wir Südtiroler auch – und wie wird sich das ausgehen? Wo nicht mehr ist, kann nicht mehr verteilt werden. Die Fakten liegen auf dem Tisch. wir reden alle um den heißen Brei herum, sind nicht bereit, die alten Hüte abzulegen, bis uns alles auf den Kopf fällt und wir keinen neuen Hut mehr brauchen.

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