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Der Freispruch

Karl Bär mit Anwalt Canestrini

Im Südtiroler Pestizidprozess hat das Bozener Landesgericht am Freitag Karl Bär von allen Vorwürfen freigesprochen.

Nachdem bereits im Januar alle Anzeigen gegen den Agrarwissenschaftler zurückgezogen worden waren, beantragte die Bozener Staatsanwaltschaft am Freitag eine Änderung der Anklage, durch die auch der Vorwurf der Markenfälschung hinfällig wurde, der hätte verhandelt werden sollen.

Karl Bär und das Umweltinstitut München sind damit freigesprochen. Die Umweltschützer:innen werten das Urteil als bedeutenden Sieg für die Meinungsfreiheit.

“Südtirol hat ein Pestizidproblem. Der hohe Einsatz von Chemikalien im Apfelanbau schadet der Umwelt und den Menschen in der Umgebung. Der Versuch der Landesregierung, Kritik am Pestizideinsatz juristisch zu unterbinden, ist gescheitert. Dieses Urteil ist wegweisend für alle in Europa, die sich für eine gesunde Umwelt und Natur einsetzen“, kommentiert Karl Bär, aktuell für sein Bundestagsmandat freigestellter Mitarbeiter des Umweltinstituts München, seinen Freispruch vor dem Bozener Landesgericht.

Das Gericht sprach Bär frei, nachdem alle ursprünglichen 1376 Kläger:innen unter internationalem öffentlichen Druck ihre Strafanträge zurückgezogen hatten. Eigentlich wäre der Vorwurf der Markenfälschung als so genanntes “Offizialdelikt” auch nach dem Rückzug der Anzeigen bestehen geblieben. Die Staatsanwältin hatte beim heutigen, letzten Prozesstag jedoch für dieses angebliche Delikt eine Änderung der Anklage in üble Nachrede beantragt, was zu einem sofortigen Freispruch Bärs führte. Begründung des Richters: Unzulässigkeit des Verfahrens. Nach über zweijähriger Ermittlung und 20 Monaten Prozess endet damit eine der aufsehenerregendsten missbräuchlichen Klagen gegen eine Umweltorganisation in Europa.

“Im Oktober 2020 hatte der Europarat die Klagen gegen meinen Mandanten in Südtirol als strategische Klage und damit als Angriff auf die Meinungsfreiheit eingestuft. Heute haben wir die Bestätigung darüber auch gerichtlich”, sagt Rechtsanwalt Nicola Canestrini, der Bär zusammen mit Anwältin Francesca Cancellaro vertritt. “Der Urteilsspruch muss eine Mahnung an alle mächtigen Personen und Unternehmen sein, die Justiz nicht weiter zu missbrauchen, um Kritiker:innen mit zeitraubenden und kostspieligen Gerichtsverfahren einzuschüchtern.”

„Wo kein Kläger, da kein Richter: Die Rücknahme aller 1376 Anzeigen hat gezeigt, dass öffentlicher Druck das beste Mittel gegen strategische Klagen ist, so lange es noch keinen gesetzlichen Schutz davor gibt“, erklärt Fabian Holzheid, politischer Geschäftsführer des Umweltinstitut München. „Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen, die uns in diesem Prozess mit Tatkraft, Solidarität und Geld unterstützt haben. Unsere Arbeit gegen gefährliche Pestizide geht weiter – außerhalb des Gerichtssaals“, so Holzheid.

Karl Bär war 2017 als Mitarbeiter des Umweltinstituts München wegen seiner Kritik am hohen Pestizideinsatz in den Apfelplantagen Südtirols vom dortigen Landesrat sowie von mehr als 1370 Landwirt:innen wegen übler Nachrede und Markenfälschung angezeigt worden. Nach europaweitem öffentlichen Protest zogen jedoch alle Kläger:innen ihre Anzeigen gegen den inzwischen als Abgeordneter in den Deutschen Bundestag gewählten Agrarwissenschaftler zurück. Mit der Änderung der Anklage entschied das Gericht unmittelbar zugunsten Bärs, weil bei Prozessen wegen vermeintlicher übler Nachrede ein Rückzug aller Anzeigen zu einem sofortigen Freispruch führt – anders als bei Markenrechtsverletzungen, die als “Offizialdelikt” auch nach Rückzug der Anzeigen weiterverfolgt werden.

Das Umweltinstitut wird indes die Diskussion um Pestizide nun außerhalb des Gerichts fortführen. Die Umweltschutzorganisation wertet derzeit die Betriebshefte von etwa 1200 Obstbäuerinnen und -bauern aus, die ursprünglich Anzeige gegen Karl Bär erstattet hatten. Diese wurden im Prozess auf Antrag der Staatsanwaltschaft als Beweismittel sichergestellt. Die Hefte enthalten Angaben darüber, welche und wie viel Pestizide die Betriebe im Jahr 2017 verwendet haben. Die Ergebnisse der Auswertung dieser Daten sollen auf einer öffentlichen gemeinsamen Veranstaltung mit Vertreter:innen der Obstwirtschaft in Südtirol präsentiert und diskutiert werden.

Hintergrund zum Prozess gegen Karl Bär:

Anlass der Klage gegen Karl Bär vom Umweltinstitut München war die provokative Aktion „Pestizidtirol“ im Sommer 2017. In deren Rahmen platzierte die Münchner Umweltschutzorganisation ein Plakat in der bayerischen Hauptstadt, das eine Tourismus-Marketing-Kampagne für Südtirol sowie die Südtiroler Dachmarke satirisch verfremdete (“Pestizidtirol” statt “Südtirol”). Zusammen mit einer Website hatte die Aktion zum Ziel, auf den hohen Pestizideinsatz in der beliebten Urlaubsregion aufmerksam zu machen. In den Apfelplantagen Südtirols werden nachweislich große Mengen an natur- und gesundheitsschädlichen Pestiziden ausgebracht.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (24)

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  • tiroler

    Der Bär hat Glück in Südtirol vor Gericht gestanden zu haben. Wäre er in England, dann würde er sich mir seinem Landmann Boris jetzt die Zelle teilen.

  • wichtigmacher

    Jo Jo, inser Londesrot sog joa olm, gegen Wolf und Bär kemmer nix tian…..

  • robby

    Gott wie peinlich für Südtirol und im Besonderen für den „Rebellen“ Schuler aber ich wette der sieht das ganz anders. Politiker eben.

  • gorgo

    Das war zu erwarten.
    Eine satirische Verfremdung der Dachmarke ist nicht Markenfälschung im eigentlichen Sinn. Auch wenn die Klage hier irgendwie nachvollziehbar ist.
    Das aufhetzen der Bauern und das hysterische hin und her mit der Sammelklage hingegen schon eine ziemlich peinliche Geschichte.
    Und wie teuer eigentlich der ganze Spaß?
    Aber vielleicht war es das ja wert.
    Immerhin hat die Thematik so viel mehr Menschen hierzulande erreicht.
    Bringens diese Äpfel wirklich noch, dass wir weitere Jahrzehnte weiter die Böden verseuchen und die Landschaft in Plastik einpacken?

    • heracleummantegazziani

      Die Verletzung des Markenrechts kennt keine Satire. Sobald eine Verfremdung die Assoziation mit der richtigen Marke erlaubt (was ja im Grunde auch Ziel des Spotts ist, sonst hätte er ja keinen Sinn), ist der Urheber im Unrecht.
      Schauen Sie sich die Marke an und sagen Sie, dass Sie sie nicht mit der Dachmarke in Verbindung gebracht hätten (sogar der Font ist ident).

      • gorgo

        Es ist keine Verletzung des Markenrechts im herkömmlichen Sinne.
        Sie wurde lächerlich gemacht.
        3 Tage auf Plakaten in München.
        Den Rest hat Schuler hingekriegt, über zwei Jahre lief das Thema deutschen Medien.

        • heracleummantegazziani

          Sie sind eine lustige Käuzin. Eine Marke lächerlich zu machen ist keine Verletzung des Markenrechts? Wissen Sie worin das Markenrecht besteht? Eine Marke lächerlich zu machen ist im Grunde sogar noch schlimmer.
          Das Thema hat in Deutschland eigentlich niemand besonders interessiert, das ändert aber nichts daran, dass ein Vergehen vorlag.

          • gorgo

            Der Kauz bist eher du. 🙂 Und immer so schön giftig dazu.
            Die Marke wurde nicht in erster Linie dazu verwendet um sich durch Täuschung oder lächerlich machen, am Markt Vorteile zu verschaffen. Selbst wenn es weiter verfolgt worden wäre, sie hätten sich irgendwie rausgehaut. Dich möcht ich lieber nicht als Anwalt.

  • kongo

    Ich glaube hier haben die wenigsten eine Ahnung,auch hier könnte mann ein Buch schreiben.

  • andreas1234567

    Hallo aus D,

    es bleibt einfach nur ein Verein, es ist unverständlich warum immer unkorrekt vom „Münchener Umweltinstitut“ dahergeschrieben wird.
    Offiziell „Münchener Umweltinstitut e.V.“, es ist ein eingetragener Verein.So wie FC Hintertupfing und die Sangesfreunde Unterammergau.
    Hauptziele sind Aufmerksamkeit, Spenden und „Berater“ aus ihrem Dunstkreis den Attackierten in den Pelz zu setzen im Tausch in Ruhe gelassen zu werden.
    Der lästigste Verein dieser Art dürfte auch in Südtirol unter „Deutscher Umwelthilfe“ bekannt sein, ähnliches Strickmuster..
    Die werden den Ausgang des Verfahrens und wie weit man mit Mediengeschrei,Erpressung und Nötigung in Südtirol kommt mit Interesse verfolgt haben.

    Demnächst kann sich Südtirol auf einen ganzen Schwarm von deutschen „Instituten“ freuen die wahlweise den Planeten, die Tiere, den Flüchtlicng, die Kinder oder Essensreste retten wollen.

    Gruss aus D

  • criticus

    Ja Herr Schuler, wer zahlt jetzt die Spesen ihres Vorpreschens???
    Bravo Herr Canestrini!!

    • heracleummantegazziani

      Da es kein Urteil gegeben hat, zahlt jede Partei ihre Spesen höchstwahrscheinlich selbst. Nur bei einem Freispruch wäre die Landesverwaltung wohl zur Bezahlung der Verfahrensspesen verurteilt worden.

  • gerhard

    Das war aber vorherzusehen.
    Die Pestizide sind da und nicht wegzudiskuttieren.
    Im übrigen sicher auch in jeder Apfelbaumonokultur in Europa.
    Aber wenn der Schuler (wieder einmal) das Maul aufreißt ohne Nachzudenken, ja dann muss das schiefgehen.
    Er hat dem Land Südtirol einen Bärendienst erwiesen und unfreiwillig in ganz Europa für Spenden an das Umweltinstitut in München aufgerufen.
    Wenn niemand in Europa diese Spinner aus München gekannt hat, der Schuler hat für exklusive Werbung gesorgt.
    Und die Südtiroler Apfelbauern in Ihrer Naivität gleich mit.
    Herzlichen Glückwunsch zu dieser grandiosen Marketingaktion!!!

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