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Zu viel gezockt

Die Videospielsucht in Südtirol hat in Pandemiezeiten deutlich zugenommen. Warum die Anzahl der Betroffenen in den nächsten Jahren noch weiter steigen dürfte.

von Lisi Lang

Es war ein schleichender Prozess: Erst hat Erik nur ab und an online gezockt, im Laufe der Jahre hat er aber immer mehr Zeit vor dem PC verbracht und irgendwann war die Situation für Eriks Eltern nicht mehr tragbar. Die Noten des 15-Jährigen in der Schule wurden schlechter, nachmittags verließ er kaum noch sein Zimmer, er war leicht reizbar, häufiger aggressiv und auch das Abendessen musste ihm seine Mutter ins Zimmer bringen, da er sonst überhaupt nichts gegessen hätte. Der 15-Jährige Erik aber hatte nur eines im Kopf: zocken.

Erik ist videospielsüchtig, damit aber nicht alleine in Südtirol. Die problematische Nutzung von Computerspielen oder „Gaming Disorder“ kommt immer häufiger vor und hat in Pandemiezeiten deutlich zugenommen – auch in Südtirol. „Spielen gehört zur Kindheit und zur Jugend dazu und nur weil jemand gerne und viel spielt, ist er noch lange nicht süchtig – aber wenn verschiedene Kriterien erfüllt werden, dann kann man von einer Sucht sprechen“, erklärt Oskar Giovanelli, Psychologe und Psychotherapeut beim Verein „Hands Onlus“. „Wenn beispielsweise der exzessive Konsum von Computerspielen das soziale, private, schulische oder berufliche Leben beeinträchtigt, ein Kontrollverlust über diesen Konsum stattfindet oder die Aggressivität steigt, dann sollten die Alarmglocken schrillen“, erklärt der Experte.

Ein weiteres Indiz ist der soziale Rückzug. Denn da vorrangig online gespielt und parallel dazu gechattet wird, fehlt den Spielenden der soziale Kontakt nicht. Und das ist laut Giovanelli tückisch. „Wenn ich meine realen Beziehungen mit Online-Beziehungen ersetzen kann und dabei gleichzeitig vorgeben kann, wer ich gerne sein möchte, dann hat man kein Bedürfnis mehr in die Welt hinauszugehen“, erklärt der Psychologe.

In den letzten zwei Jahren hat sich die Zahl der Hilfesuchenden bei der eigens dafür eingerichteten Anlaufstelle im Verein „Hands Onlus“ verdoppelt. Waren es vor zwei Jahren noch rund 25 Patienten, so mussten im letzten Jahr bereits rund 60 Jugendliche zwischen 12 und 25 Jahren betreut werden. Es gäbe zwar durchaus auch ältere Betroffene, so Giovanelli, meist handle es sich aber um Jugendliche. „Und die Dunkelziffer ist hoch“, vermutet der Psychologe. „Wir gehen zudem davon aus, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch vermehrt ältere Betroffene zu uns kommen, da vielen Jugendlichen die Einsicht fehlt“.

„Gaming Disorder“ gehört zu den neuen Abhängigkeiten oder Verhaltenssüchten ohne Einnahme chemischer Substanzen und ist von der Weltgesundheitsorganisation WHO offiziell als Krankheit anerkannt. Kürzlich hat auch das Land Südtirol die Videospielsucht als neue Suchtform anerkannt und damit die Betreuung der Betroffenen geregelt.

Betroffen sind laut Giovanelli in Südtirol vorrangig junge Burschen, allerdings müsse man diesbezüglich präzisieren. „Bislang ist nur die Videospielsucht als solche anerkannt und diese betrifft häufiger Buben als Mädchen – wir arbeiten aber auch mit jungen Mädchen, die wegen eines exzessiven Social-Media-Konsum Rat suchen“, erklärt Giovanelli. Auch dies sei eine der fünf verschiedenen Formen von Internet-Sucht, allerdings ist bislang nur die Videospielsucht offiziell anerkannt. Und das sei eigentlich absurd, sagt der Experte und erklärt: „Die meisten Mädchen – und ich spreche immerhin von rund 25 Prozent unserer Patienten – sind süchtig nach Social Media, werden durch diese Unterscheidung aber ausgeschlossen“, bedauert der Psychotherapeut, der hofft, dass auch die anderen Internetsüchte von der WHO offiziell anerkannt werden.

Die Verantwortung für einen exzessiven Videospielkonsum an die verschiedenen Spiele, deren Aufbau oder die Technik abzugeben, findet Oskar Giovanelli zu einfach. Schlussendlich seien immer der „Es gibt sicher suchtfördernde Mechanismen in den Spielen, aber schlussendlich bleiben die Eltern und Betroffenen selbst für den Konsum verantwortlich, wie bei allen anderen Dingen auch – sonst wäre jeder süchtig“, erklärt der Psychotherapeut.

Eine Therapie von Internetsüchten ist eine große Herausforderung. Denn im Gegensatz zu z.B. Alkohol kann man auf das Internet heutzutage nicht einfach verzichten, sondern muss einen gesunden Umgang nach diesem toxischen Verhalten erlernen. „Immer mehr wird heutzutage online abgewickelt und deswegen muss man lernen, das Internet so zu nutzen, dass es mein reales Leben nicht  benachteiligt – die Pandemie hat das sicher erschwert, weil die Jugendlichen sehr viele Erfahrungen in den letzten zwei Jahren nur online sammeln konnten“, erklärt der Psychotherapeut. Deswegen geht es in der Therapie auch darum, eine alternative Freizeitgestaltung zu erlernen.

Zudem sei es wichtig den Kindern präventiv den richtigen Umgang mit digitalen Medien zu erlernen und bei einem problematischen Verhalten rechtzeitig Hilfe zu suchen. „Es liegt hier wirklich viel Verantwortung bei den Eltern, die gleichzeitig aber oft überfordert sind, weil sie diese Technik nicht so gut kennen, wie ihre Kinder“, weiß Oskar Giovanelli, der deswegen auf das Netzwerk Eltern-medienfit mit wertvollen Tipps für die digitale Erziehung verweist. Zudem sei es einfach wichtig, den Konsum von Beginn an zu kontrollieren. „Und das reale Leben muss einfach interessanter bleiben als das digitale Leben“, unterstreicht der Psychotherapeut.

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