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„Viel Potenzial“

Ulrich Santa

KlimaHaus-Generaldirektor Ulrich Santa ist skeptisch, ob es mit der völligen Klimaneutralität klappt. Im Interview spricht er über die neuen Initiativen für den Klimaschutz.

TAGESZEITUNG Online: Herr Santa, in den letzten Jahren hat sich die KlimaHaus Agentur ständig erweitert und neue Initiativen ins Leben gerufen. Was waren die wichtigsten Errungenschaften in dieser Zeit?

Ulrich Santa: Zunächst haben wir beim Klimahaus-Standard selbst angesetzt und haben diesen grundlegend überarbeitet, technisch verbessert, aber auch vereinfacht und entbürokratisiert. Zudem haben wir die Forschungstätigkeiten ausgebaut – wir sind heute international sehr gut vernetzt und arbeiten eng mit diversen Institutionen zusammen. Wir haben auch unsere Präsenz auf dem italienischen Markt massiv verstärkt, vor allem aber haben wir eine ganze Reihe an neuen Zertifizierungen und Initiativen realisiert.

Was hat sich seit der Umwandlung in die „Agentur für Energie Südtirol-KlimaHaus“ verändert?

Unser Auftrag wurde über den Gebäudebereich hinaus um die verschiedenen Themen der Energiewende im privaten und öffentlichen Bereich sowie bei der Produktion und Gewerbe erweitert. Wir haben uns deshalb thematisch wie auch organisatorisch weiterentwickeln müssen. Seit 2012 ist der Mitarbeiterstand um 50 Prozent gewachsen, bei mehr oder weniger gleichbleibender Grundfinanzierung des Landes. Als Kompetenzzentrum zu diesen Themen unterstützen wir das Land bei Ausarbeitung und Umsetzung der energiepolitischen Strategien. Mit dem Ausbau zur Energie-Agentur haben wir dafür unsere Handlungsfelder ständig erweitert und neue Initiativen gestartet.

Welche Initiativen wären das?

Zum Beispiel das Programm KlimaGemeinde, mit dem wir Gemeinden in der Ausarbeitung und Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen unterstützen. Es geht hier um eine ganze Reihe von Bereichen, wie Gebäuden und Infrastrukturen, die öffentliche Beleuchtung oder die nachhaltige Mobilität. Eine weitere Initiative ist die KlimaFactory, bei der insbesondere die kleinen und mittelständischen Südtiroler Betriebe unterstützt werden, energieeffizienter zu werden und einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Zudem haben wir verschiedene Sensibilisierungskampagnen umgesetzt, wie die Initiative KlimaSchule.

Wie kann man sich diese Initiative konkret vorstellen?

Viele Schulen engagieren sich bereits in dem Bereich Klimaschutz, mit dem Programm wollen wir sie dabei zusätzlich unterstützen. Die Schule bildet ein Klimateam, zusammengesetzt aus Schülern, Lehrern und der Schulleitung, das ein Programm ausarbeitet und die Schwerpunkte definiert. In Begleitung der KlimaHaus Agentur wird das Programm dann umgesetzt – es gibt keinen starren Ablauf, die Schulen sind sehr flexibel. Das Pilotprojekt haben wir in der Herz-Jesu-Schule in Mühlbach durchgeführt und es war ein großer Erfolg. Unser Ziel ist es, das Programm jetzt auf alle Schulstufen auszuweiten und das Thema Klimaschutz nachhaltig an den Schulen zu verankern.

Welche weiteren Initiativen gibt es?

Wir haben etwa einen Online-CO2-Rechner entwickelt, mit dem man den eigenen CO2-Fußabdruck ermitteln kann. Wir haben auch einige neue Nachhaltigkeitszertifizierungen und Gütesiegel für Bauprodukte ausgearbeitet. Die KlimaHaus Agentur hat sich in den letzten Jahren auch stärker in die Ausarbeitung und Umsetzung der klimapolitischen Maßnahmen eingebracht, wir arbeiten hier eng mit der Umweltagentur zusammen, etwa bei der aktuellen Überarbeitung des Klimaplans.

Welche Maßnahmen gibt es zur Umsetzung des Klimaplans?

80 Prozent der vom Menschen verursachten CO2-Emissionen sind energiebedingt – daher sollte man das Hauptaugenmerk auf den Energiebereich setzen und das Energieeinsparungspotential nutzen. Zusätzlich muss man die Erneuerbaren Energien massiv ausbauen und die verschiedenen Wirtschaftssektoren dekarbonisieren. Man muss sich aber auch mit der CO2-Kompensation auseinandersetzen, um nichtvermeidbare Emissionen zumindest anderweitig zu kompensieren.

Und welche Rolle spielt Ihre Agentur dabei?

Die Kernkompetenz der Agentur ist nach wie vor das nachhaltige und energieeffiziente Bauen. Die Baubranche gehört zu den energie- und rohstoffintensivsten Wirtschaftszweigen überhaupt, hier müssen wir ansetzen.

Wo gibt es im GebäudebereichEnergieeinsparungspotential?

Der Neubau ist kein so großes Thema, hier haben wir in Südtirol sehr gute Standards. Es wird in diesem Bereich in Zukunft jedoch darum gehen, nicht nur energieeffizient, sondern nachhaltiger zu bauen. Ein großes Einsparungspotential haben wir bei den Bestandsgebäuden – die meisten älteren Gebäude sind sehr ineffizient und werden oft mit fossilen Energien betrieben. In Südtirol wie auch auf staatlicher Ebene haben wir diverse Förderungen, um Anreize für das energetische Sanieren zu schaffen. Wir haben aber bei weitem noch nicht die angepeilte Sanierungsrate von jährlich drei Prozent erreicht. Um diesen Bereich voranzutreiben, haben wir als KlimaHaus Agentur ein Gütesiegel für Sanierungen ausgearbeitet und bieten den Klimahaus Energie Check an.

Was kann man darunter verstehen?

Es handelt sich dabei um eine günstige Vor-Ort-Beratung, bei der wir das Gebäude unter die Lupe nehmen und die geeigneten Sanierungsmaßnahmen herausarbeiten sowie über Förderungen informieren.

Der Klimaplan ist eine große Herausforderung, sind die Ziele dennoch erreichbar?

Wenn man von Klimaneutralität spricht, kommt es darauf an, dass man die Begrifflichkeiten und Systemgrenzen klar definiert. Jeder Einzelne kann einen Beitrag leisten, aber es wird systemische Veränderungen brauchen. Die Herausforderung ist, attraktive und wirtschaftliche Alternativen und Technologien zu entwickeln, die für möglichst viele Länder interessant sind. In Südtirol haben wir gute Voraussetzungen, da wir im Bereich der erneuerbaren Energien schon viel gemacht haben und kein hochindustrialisierter Standort mit hohen Emissionen sind. Wir werden uns den Zielen höchstwahrscheinlich gut annähern können. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass wir viele Konsumgüter aus dem Ausland importieren und für deren Herstellung auch Emissionen anfallen. Daher müssen wir das Thema global denken. Bei der völligen Klimaneutralität bin ich skeptisch, aber wir erreichen schon sehr viel, wenn wir uns dem Ziel halbwegs annähern. Bisher haben wir in drei Jahrzehnten und nach 25 Weltklimakonferenzen nicht einmal die Trendwende bei den globalen Treibhausgasemissionen geschafft.

Ihre Agentur ist vermehrt auch auf internationaler Ebene aktiv. Was sind dabei die wichtigsten Aufgaben?

Die KlimaHaus Agentur ist seit einigen Jahren verstärkt an internationalen Forschungsprojekten beteiligt. Heuer haben wir erstmals in Zusammenarbeit mit der Ryerson Universität in Toronto bei einem Master erstmals auch einen englischsprachigen Klimahaus-Kurs angeboten. Wir haben auch unsere Software und Richtlinien ins Englische übersetzt. Das Interesse an KlimaHaus im Ausland nimmt ständig zu – wir haben bereits diverse Gebäude in anderen europäischen Ländern zertifiziert, bald sollten auch in Brasilien die ersten Zertifizierungen abgeschlossen werden. Zudem koordiniert die KlimaHaus Agentur den Bereich Energie im Rahmen der makroregionalen Strategie für den Alpenraum (EUSALP) und seit kurzem betreuen wir als sogenannter „Caretaker“ diesen Fachbereich auch für den Klimabeirat der Alpenkonvention.

Welche Ziele haben Sie sich für die nächsten vier Jahre als Generaldirektor gesetzt?

Neben der Konsolidierung der bereits laufenden Initiativen, arbeiten wir momentan an neuen Projekten zur Klimaneutralität und -kompensation. Insbesondere wollen wir die Landesverwaltung bei der Reduktion ihres CO2-Fußabdrucks unterstützen und Konzepte zur Kompensation ausarbeiten. Dieses Angebot möchten wir dann auch auf Organisationen, Betriebe sowie auf Privatpersonen ausweiten.

Interview: Bettina Gatterer

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (1)

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  • treter

    Das Programm Klimagemeinde finde ich besonders interessant! Diesem beitreten könnte auch die Gemeinde Brixen und in der Folge die Bauleitplanänderung Auwald roden für ein 3D-Betondrucker Industriegebäude der Firma Progress nicht weiter verfolgen. Das wäre echter Klimaschutz weil Wälder gigantische Mengen an CO2 speichern!!!

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