„Sonst gehen wir bankrott“
Der Verfassungsrechtler Karl Zeller glaubt nicht, dass die Gerichte die Impfpflicht für das Sanitätspersonal kippten werden. Und: Über kurz oder lang werde man um eine allgemeine Impfpflicht wohl nicht herumkommen.
von Matthias Kofler
Angesichts steigender Infektionszahlen plant die Regierung in Rom, Flugzeug-, Zug- und Überlandbusreisen an den Grünen Pass zu knüpfen. Auch Besucher von Kultur- und Sportveranstaltungen sowie von privaten Feiern nach religiösen oder zivilen Zeremonien müssen nachweisen können, dass sie geimpft, genesen oder getestet sind. Wer sich ohne Grünen Pass Zutritt verschafft oder diesen fälscht, kann mit einer Geldstrafe von 400 Euro belegt werden. Wer seiner Kontrollpflicht nicht nachkommt, muss mit der Zwangsschließung der Einrichtung für fünf Tage rechnen. Heftig umstritten innerhalb der Regierungskoalition von Ministerpräsident Mario Draghi ist, ob auch beim Besuch des Innenbereichs von Restaurants die Gastronomen zur Kontrolle des Nachweises gezwungen werden sollen.
In Südtirol fallen die Reaktionen auf die römischen Bestrebungen vorwiegend positiv aus. Die Landesregierung wird sich in ihrer heutigen Sitzung mit dem Thema befassen. Der Verfassungsrechtler Karl Zeller sieht im Grünen Pass den nächsten Schritt einer „graduellen Differenzierung“. „Zunächst versucht man, mit Freiwilligkeit und Aufklärung die Bevölkerung zum Impfen zu bewegen. Wenn das nicht funktioniert, folgt die nächste Stufe: Man lässt die Nicht-Geimpften nicht mehr ins Theater, ins Kino oder ins Fußballstadion. Ist den Impfunwilligen auch das wurscht, lässt man sie auch nicht mehr in die Bar oder ins Restaurant. Führt auch das nicht zum Erfolg, holt man die harte Keule heraus und führt eine allgemeine Impfpflicht ein.“
Bislang sprach sich erst PD-Chef Enrico Letta klar für eine Impfpflicht aus. Die Regierung in Rom sei mehrheitlich gegen einen Impfzwang und setze ihre Hoffnungen auf den Pass, der einer indirekten Impfpflicht gleichkomme, sagt Zeller. „Wenn wir aber in ein, zwei Jahren keine Herdenimmunität erreichen und Gefahr laufen, erneut alles schließen zu müssen, wird die Regierung um eine allgemeine Impfpflicht nicht herumkommen. Denn sonst sind wir irgendwann bankrott.“ Der SVP-Stratege bringt das ganze auf eine einfache Formel: „Je disziplinierter die Bevölkerung, desto weniger Differenzierungen zwischen Nicht-Geimpften und Geimpften braucht es. Je unbeugsamer ein großer Teil der Bevölkerung, desto stärker fallen auch die Differenzierungen aus.“
Eine Impfpflicht gibt es in Italien aktuell nur für das Sanitätspersonal. Der Sanitätsbetrieb hat bereits einige Hundert Mitarbeiter suspendiert, die sich nicht impfen lassen wollen. Einige davon haben gegen die arbeitsrechtliche Maßnahme rekurriert. Zeller glaubt nicht, dass die Gerichte die Impfpflicht kippen werden. Jeder Fall müsse einzeln bewertet werden. Ein Gericht könne die Suspendierung nur dann aufheben (und den Sanitätsbetrieb verpflichten, den Suspendierten das Gehalt nachzuzahlen), wenn das Verwaltungsgesetz nicht korrekt angewandt wurde. Das heißt: Der Sanitätsbetrieb müsse den Betroffenen die Möglichkeit gegeben haben mitzuteilen, dass sie sich aus nachweisbaren gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Zudem müsse er die Betroffenen schriftlich über ihre Suspendierung in Kenntnis setzen. Nur wenn eine dieser Vorgaben nicht erfüllt wurde, habe ein Rekurs eine Chance.
Keine Chance auf Erfolg hätten hingegen die „Holzeisen-Rekurse“. „Du findest in Italien keinen Richter, der dir Recht gibt, wenn du argumentierst, dass du die Impfung für schädlich hältst. Es handelt sich hier nicht um einen Nebenschauplatz, sondern um einen essentiellen Kernpunkt unseres Gemeinwesens. Ein Richter, der einen solchen Rekurs annimmt, würde einen Dominoeffekt auslösen. Wir hätten dann Anarchie. Dabei ist es doch die Grundaufgabe des Sanitätswesens, die Patienten zu schützen. Auch Geimpfte haben das Recht darauf, geschützt zu werden. In einer Pandemie ist es wie im Krieg: Man gewinnt nur dann, wenn alle zusammenstehen“, unterstreicht Zeller. Derzeit wiederhole man die Fehler aus dem vergangenen Sommer und verhalte sich so, als ob es das Virus nicht mehr gäbe. Dabei sei die Delta-Variante Tausend Mal ansteckender als das Ursprungsvirus. Der SVP-Vize glaubt, dass die Impfrate in der Lombardei deshalb so viel höher sei als in Südtirol, weil die Region viel stärker unter Corona gelitten habe.
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