„Pflicht macht Sinn “

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Die niedrige Impfbeteiligung der Mitarbeiter in den Seniorenheimen: Der Präsident des Landesethikkomitees Herbert Heidegger denkt nun laut über eine Impfplicht nach.
Tageszeitung: Herr Heidegger, in den Seniorenwohnheimen haben sich in der ersten Corona-Impfrunde nur 37 Prozent der Mitarbeiter impfen lassen.
Herbert Heidegger: Zunächst war es schon so, dass– relativ gesehen – zu wenig Mitarbeiter bereit waren, sich impfen zu lassen. Diese Zahl hat sich aber in der Zwischenzeit deutlich verbessert und ich bin überzeugt, dass immer mehr dazu bereit sein werden.
Die Verantwortlichen sagen, dass es den Mitarbeitern an Informationen gemangelt hat. Ist es unter diesen Gesichtspunkt verständlich, dass man lieber einige Monate, bis man sich impfen lässt? Oder ist das Risiko, das die gesamte Gesellschaft dadurch hat, zu groß?
Hier gibt es sicher mehrere Ansatzpunkte zur Diskussion: Auf der einen Seite würde ich sagen, ist sich impfen zu lassen, ein Akt der Solidarität. Diese Pandemie hat besonders alte, sozial schwache und benachteiligte Menschen getroffen. Es geht hier neben den Grundrechten des Einzelnen auch um das Interesse und den Schutz der Allgemeinheit. Eine weitere Frage ist die einer Impfpflicht. Grundsätzlich ist eine Impfpflicht sehr heikel, weil es sich zunächst um eine Intervention am Gesunden handelt, aber eine Pflicht wäre durchaus auch argumentierbar. Grundrechte sind meiner Meinung nach in bestimmten Situationen einschränkbar. Voraussetzungen z.B. sind, dass eine Krankheit schwerwiegend ist, der Eingriff aber im Verhältnis zur Erkrankung geringfügig ist.
Wie könnte man Mitarbeiter der Seniorenwohnheime, die sich nicht sicher sind, ob sie sich impfen lassen sollen, von der Impfung überzeugen?
Ich glaube, es ist besonders wichtig, Angehörige von Gesundheits- und Pflegeberufen auf ihre Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung aufmerksam zu machen. Grundsätzlich müssen auch sie auf die Sicherheit, die Wirksamkeit, die ordnungsgemäße Durchführung der Impfung vertrauen können. Dazu bedarf es einer klaren und verständlichen Information. Es bedarf einer kontinuierlichen und transparenten Information über die Wirksamkeit der Impfung und möglicher Risiken. Ein wichtiges Kommunikationsziel dabei ist, Vertrauen aufzubauen, zu erhalten und eventuell wieder herzustellen.
Wie baut man dieses Vertrauen auf?
Dazu gehören maßgeschneiderte Informationen, um Bedenken zu erkennen und darauf zu reagieren. Berechtige Bedenken sollten ernst genommen werden, Falschinformationen hingegen sollte gezielt entgegengewirkt werden. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für die Akzeptanz der Impfmaßnahmen bei den Angestellten des Sanitätspersonals aber besonders auch bei der Bevölkerung. Wenn wir uns um eine transparente, ehrliche, maßgenschneiderte Kommunikation bemühen, werden uns die meisten Menschen vertrauen. Wir müssen Bedenken erkennen, anerkennen und darauf reagieren. Dies wird in unserem Sanitätsbetrieb, finde ich, jetzt sehr gut gemacht.
Macht es Sinn, Impfgegner von der Impfung zu überzeugen oder sollte man stattdessen den Impfstoff jenen zur Verfügung stellen, die ihn auch wirklich wollen?
Das ist etwas schwieriger. Ziel muss es sein, die begrenzten Impfstoffressourcen effizient einzusetzen und damit möglichst viel Schaden durch Covid-19 zu verhindern. Es bedarf einer Priorisierung, die medizinische, ethische und rechtliche Aspekte berücksichtigt. Bei der Priorisierung wird festgelegt, welche Personengruppen zuerst und welche später geimpft werden.
Wie bewerten Sie generell das bisherige Vorgehen des Sanitätsbetriebes beim Impfen. Wird der Impfstoff gerecht verteilt?
Für eine faire und gerechte Verteilung eines Impfstoffes müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein, z.B. die Transparenz der Entscheidung, die Einbeziehung relevanter gesellschaftlicher Gruppen in der Entscheidungsfindung; auch ist eine Benachteiligung beim Zugang zum Impfstoff aufgrund vom sozioökonomischen Status oder Wohnort zu vermeiden. Verschiedene Ethikkommissionen weltweit haben Vorschläge gemacht und z.B. drei Gruppen unterschieden. Auch innerhalb der genannten Gruppen wird man überlegen müssen, wer zuerst zu einem Impfstoff erhalten soll. Es gibt in den verschiedensten Ländern unterschiedliche Herangehensweisen. In Südtirol müssen wir uns an die Vorgaben des Gesundheitsministeriums halten. Ich glaube, wir haben in Südtirol einen sinnvollen und gangbaren Weg eingeschlagen, den wir vom Landesethikkomitee so unterstützen würden.
Sie haben vorhin gesagt, dass eine Impfpflicht durchaus argumentierbar ist. Wäre diese auch für einzelne Berufsgruppen sinnvoll?
Auch einzelne Berufsgruppen könnten eventuell einer Pflicht unterworfen werden. Ob Arbeitgeber von ihren Beschäftigten eine Coronaimpfung verlangen können ist sehr diskutiert, es stehen Überlegung aus dem Grundgesetz und arbeitsrechtliche Überlegungen im Mittelpunkt.
Eine andere Möglichkeit, die Durchimpfungsrate anzuheben, sind Sonderregelungen für Coronageimpfte. Machen solche Regelungen Sinn?
Die eventuelle Sonderregelung für Coronageimpfte ist eine nicht sehr einfache Frage. Angebote wie Ferien, Flugreisen, Konzerte mit Impfausweis könnten die Impfmotivation erhöhen. Andere Staaten wie Israel haben dazu schon Überlegungen angestellt. Spätestens seit dem Start des Impfprogrammes wird kontrovers darüber diskutiert. Dazu muss zuerst geklärt werden, ob immune Personen bzw. geimpfte Personen wirklich nicht infektiös sind. Wenn das Impfprogramm weiter vorschreitet und sich die Situation verbessert, dann würde man die allgemeinen staatlichen Freiheitsbeschränkungen für alle schrittweise und vorsichtig aufheben können. Maske und Abstände, die nicht so einschneidend sind, könnte man noch eine ganze Weile auch allen Geimpften zumuten. Aber unter bestimmten Umständen könnte der Eingriff in die Grundrechte bei Geimpften nicht mehr verhältnismäßig sein.
Welche Umstände meinen Sie?
Es stellt sich die Frage ob Privilegien für Geimpfte gerechtfertigt sind. Dabei sind wichtige Punkte zu bedenken: Noch ist der Impfstoff nicht für alle Menschen in ausreichender Menge vorhanden. Solange nicht alle die Möglichkeit haben sich impfen zu lassen muss also abgewogen werden: Ist das Recht des Einzelnen Freiheitsrechte wieder zu bekommen, wichtiger als das Recht aller auf Gleichbehandlung? Außerdem werden Kinder und Jugendliche unter 16 oder Schwangere derzeit nicht geimpft. Ihnen würden systematisch gewisse Rechte weiterhin vorenthalten werden, wenn eine Impfung Vorteile im Alltag mit sich bringen würde und dabei hätten sie derzeit keine Möglichkeit ihrer Benachteiligung zu entkommen. Steht das Gemeinwohl über der Einschränkung der Grundrechte des Einzelnen? Darf eine mögliche Aufhebung der Einschränkung für Geimpfte eine faktische Zweiklassengesellschaft schaffen? Darf diese hochsensible Information über den persönlichen Impfstatus überhaupt publik gemacht werden? Wir werden uns in naher Zukunft mit diesen Fragen beschäftigen müssen, wie wir mit Menschen, die geimpft oder an Covid erkrankt waren, umgehen müssen.
Interview: Markus Rufin
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Kommentare (23)
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iatzreichts
Die Welt isch a Irrenhaus und Südtirol die Zentrale!
regenwurm
@iatzreichts
Und du der Präsident.
kritiker
überflüssig auf die Kommentare von demo einzugehen. Ich finde: sehr ausgewogene, überlegte und vernünftige Aussagen von Dr. Heidegger
cicero
Die Aussagen sind mehr als fragwürdig. Erstens handelt es sich um eine gänzlich neue Art von Impfstoff und zweitens ist es der erste Impfstoff gegen ein Coronavirus überhaupt, weiters braucht jede Impfung mindestens 8-10 Jahre um Langzeitfolgen auszuschließen. Eine Impfung nach 10 Monaten zuzulassen ist deshalb ethisch nicht zu verantworten. Das sollte Herr Heidegger in seiner Position bedenken. Weiters ist die Zulassung nur eine bedingte vorläufige weil die dritte klinische Phase erst in einigen Jahren abgeschlossen sein wird. Da von Impfpflicht zu faseln ist absurd.
Warum sollte eine junge Pflegekraft sich impfen lassen wenn dadurch die Infektionskette nicht unterbrochen wird sie weiterhin ansteckend bleibt und selbst nahezu kein Risiko hat schwer zu erkranken. Die Auswirkungen auf Schwangerschaften sind ebenso ungeklärt wie man nicht weiß wie lange die Impfung überhaupt anhält. Nicht einmal das hat man abgewartet. Also zu vieles unklar was auch sog. Experten nicht beantworten können weil die nötige Zeit fehlt.
mannik
Ziemlich viel Blödsinn, den Sie hier von sich geben.
cicero
Begründung bzw. Widerlegung?
andreas
Von allen Interviews von Experten aus Südtirol, welche ich bis jetzt gelesen habe, ist dies das weitaus beste.
Sachlich und objektiv und nicht wie ein Gänsbacher welcher meint, die Weisheit für sich gepachtet zu haben und Südtirol belehren zu müssen.
cif
Mit dieser Kuschelkritik erreichst nichts, dann lieber einen Gänbacher mit klaren Aussagen.
goldie
Wenn man als Präsident des Landesethikkomitees eine Coronaimpfpflicht einführen möchte, dann sollte sich Herr Heidenberger vorher auch mit der Herstellung dieses Impfstoffes beschäftigen.
Laut Packungsbeilage des Impfstoffes AstraZeneca enthält dieser nämlich genetisch veränderte Organismen und wird in, ich zitiere, „genetisch modifizierten humanen embryonalen Nierenzellen“ hergestellt.
Na wer da keine Lust auf einen Schuss bekommt.
goldie
Entschuldigung, Herr Heidegger, nicht Heidenberger.
n.g.
Dann lies mal genauer! RNA, nicht DNA!
goldie
n.g. ich habe dies, wenn Sie lesen würden, wortwörlich vom Beipackzettel der Forma AstraZeneca übernommen.
mannik
Sie müssen sich aber genauer informieren:
https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/FAQ_Liste_Impfstofftypen.html
kritikus
Ich frage mich schon warum immer wieder der Herr Gänsbacher oder andere Wissenschaftler zu Rate gezogen werden, wo doch unser Andreas auch alles weis un mit links die Welt retten könnte.
Andreas du solltest deinen Senf besser für dich behalten anstatt immer wieder über Leute herzuziehen welche ihr Wissen zum Wohle der Menschheit einsetzen
paco
Bravo kritikus! Mir geht dieser obergscheide Andreas auch allmählich auf die Nerven.
Meine Meinung zur Impfpflicht für Gesundheitsberufe: Eine Gesellschaft, die sich nicht getraut, bestimmten Berufsgruppen eine Impfung zum Schutz der Patienten zu verordnen, ist auf Dauer nicht überlebensfähig.
andreas
In einem Land, welches von Beginn der Pandemie teilweise weltweit die höchsten Zahlen an Toten und Infizierten hat, würde ich auch eine Verantwortung bei den „Experten“ sehen, welche ihr „Wissen zur Verfügung stellen“.
Klar kann man Gänsbacher loben, weil man ihn z.B. anrufen und Fragen stellen kann, nur warum stehen wir eigentlich so schlecht da?
yannis
>>>>>>>>>Grundrechte sind meiner Meinung nach in bestimmten Situationen einschränkbar.<<<<
diese "bestimmte Situation" wurde ab dem 23 August 1961 auch schon Mal dazu genutzt um das endgültige ausbluten des Staates zu verhindern, sie dauerte über 28 Jahre…..
tirolersepp
Sollte der grüne Impfpass kommen erledigt sich das Thema, hoffentlich !
Wenn’s um den Urlaub geht kippt der stärkste Impfgegner !
winter
Genau! Wenn es um Urlaub geht, sind plötzlich auch die Beipackzettel nicht mehr wichtig… 😉
ermelin
Genau so wirds kommen…
protea
Ich finde die Westeuropäische Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem Debattierclub entwickelt – Resultat null.
Wir sind am Ende der Stange angelangt – auf eine heiße Suppe blasen wäre oft besser, als ethische Wenn und Abers hin und her zu pflücken.Es geht ums Leben der Menschen, um die Wirtschaft, nicht um Unve.rbindliches.
batman
PFLICHT MACHT SINN!
Jawohl Herr Heidegger!