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„Eine Reproduktion ist keine Kopie“

 

Caravaggio: Bacchus (1596)

Der Bozner Enzo Poggio ist Maler. Aber er malt nicht aus der eigenen Phantasie heraus, sondern schafft Reproduktionen von Alten Meistern in altmeisterlicher Technik.

 Tageszeitung: Herr Poggio, wo und wann haben Sie malen gelernt?

Enzo Poggio: Den ersten wirklichen Kontakt mit der Malerei hatte ich in den Jahren 1958-63 mit den Malern des Quartier Latin am Montmartre in Paris. In den Jahren 1970 bis 1980 war ich Gründungsmitglied und aktives Mitglied der Südtiroler Amateur-Maler-Liga, deren Präsident Kurt Mitterdorfer war. Ich habe zudem diverse Weiterbildungskurse in alten Mal- und Farbtechniken in Florenz besucht.

Als Maler schaffen Sie Gemäldekopien von Alten Meistern, also Reproduktionen, die vom Original kaum zu unterscheiden sind. Was reizt Sie daran?

Die absolute Priorität ist die Neugierde und das kontinuierliche Studium der Persönlichkeit des Malermeisters und der Anreiz, den Grund zu verstehen, warum der Maler dieses bestimmte Werk geschaffen hat.

Rogier van der Weyden: Das Bildnis einer Dame aus dem Jahr 1460 betont die freie Stirn der Frau. In der damaligen „High Society“ rasierten einige Frauen ihre Stirnhaare, um ihre Intelligenz zu betonen.

Ihre Gemälderepliken entstehen in den Museen vor dem Original. Warum ist das wichtig? Können Sie nur vor dem Original herausfinden, wie der Maler es aufgebaut hat, welche Schichten übereinanderliegen und so weiter?

Es ist klar, dass es eine eingehende Untersuchung voraussetzt, ein Originalgemälde zu reproduzieren. Es ist nicht im Voraus bekannt, wie oft der Maler die verschiedenen Farben überlagert und gemischt hat (heutzutage ist das mit Infrarotstrahlen möglich). Wenn ich die Erlaubnis und die Möglichkeit bekommen, in einem Museum zu arbeiten, verwende ich Ölfarbstifte, um sie mit dem Original zu vergleichen. Diese verwende ich dann auf der Skizze, die ich zuvor zum Malen des Gemäldes vorbereitet habe. Dies ist eine von mehreren möglichen Techniken, die ich in einem Museum anwenden kann. Was die Grundierung der Leinwand betrifft, so ist es für die Gemälde von 1350-1450 äußerst schwierig zu überprüfen, wie sie entstanden sind. Vermutlich wurden in einem Gefäß die Innereien und die Tierknochen eine Woche lang gekocht. Danach wurde der stinkende Inhalt vom überschüssigen Fett abgeschöpft und in eine Art Klebstoff umgewandelt, das Tuch wurde eingetaucht und eingeweicht, um eine Grundierung zu bilden. Im Laufe der Zeit hat sich diese Technik auch unter Verwendung von Gips, Erde, Lacken usw. weiterentwickelt. Jeder Maler hatte oder perfektionierte jedoch verschiedene Techniken, kopierte sie sogar von anderen oder modifizierte sie entsprechend. Zum Beispiel hinterlässt das Hell-Dunkel von Rembrandt, Caravaggio oder Vermeers erste Lasuren, die im Laufe der Zeit zu ihrem eigenen Stil wurden. Rembrandt malte beispielsweise den „Goldenen Helm“ (Stadtmuseum Berlin) mit dicken Farbstrichen und zwar nicht in seinem gewohnten Stil, sondern aufgrund seines fortgeschrittenen Alters. Vermeer hingegen war der Maler des Lichts, er überlagerte die Arbeit mit unzähligen dünnen Farbschichten, bekannt auch unter dem Namen „Lasurtechnik“.

Verwenden Sie historische Malmittel, um dem Original zu nahe wie möglich zu kommen?

Ich benutze nicht immer die Malmethoden der Vergangenheit. Nur in bestimmten Fällen, in denen das Gemälde eine bestimmte Farbmischung erfordert, habe ich Ölfarben mit natürlichen Erden und Lapislazuli für das Blau vorbereitet und verwendet.

Ist es schwierig, etwa im Louvre oder im Prado eine Malgenehmigung zu bekommen?

Als ich in Paris lebte, besuchte ich oft den Louvre oder das Museum Orsay. Für den Besuch von Museen wie dem Prado in Madrid, der Museumsgalerie in London, dem Mauritshuis de Aia in Holland oder der Alten Pinakothek in München hatte ich die Gelegenheit, bestimmte Werke in italienischen Museen zu sehen, als es zwischen vertragsgebundenen Museen einen Austausch einzelner Kunstwerke gegeben hat. Mehrmals hatte ich die Möglichkeit, jedoch nur mit Erlaubnis der Museumsleitung, an vor einem Gemälde zu arbeiten. Manchmal konnte ich ein paar Stunden vor der Eröffnung des Museums eintreten und mich in aller Ruhe den verschiedenen Werken widmen.

Enzo Poggio: Sogar die großen Meister haben sich gegenseitig kopiert.

Caravaggio, Rembrandt, Rubens, Raffaello, Dürer – wer ist am schwierigsten nachzumalen?

Wie bereits erwähnt, handelt es sich hierbei um einen Vergleich zwischen David und Goliath. Das Talent, die Virtuosität und die angeborene Natur des Meisters können nicht verglichen werden, auch wenn man mit noch so viel Leidenschaft danach strebt. Eine Reproduktion ist keine Kopie, es ist notwendig, das Leben des Malers, die Pinselstriche, den Geruch und die Farbe bei Berührung zu interpretieren. Letztlich bleibt die große Leidenschaft und die Befriedigung, es versucht zu haben, sich den Meistern „mit der Spitze des Pinsels“ und mit großer Demut zu nähern.

Wie lange brauchen Sie, um einen Rembrandt nachzumalen?

 Meine Reproduktionen sind nicht über Nacht entstanden. Es bedarf jahrelanger Übung und Schulung. Man muss jedem Detail der Technik und der Inspiration des Meisters folgen, der die Arbeit ausgeführt hat. Wenn ich beispielsweise ein Bild beginne, bereite ich ein zweites vor und wechsle in der Arbeit ab, um mich nicht immer auf dasselbe zu konzentrieren. Dies bedeutet, dass ich leichter und präziser arbeiten kann, indem der Blick nicht immer auf dasselbe Motiv gerichtet wird. Folglich kann ich nicht sagen, wie lange es dauert, ein Bild zu malen, auch weil in diesem speziellen Fall einer Reproduktion, die Arbeit sich ständig weiterentwickelt und die Suche nach Details und Perfektionierung niemals endet.

Kopien wollen keine Fälschungen sein. Darf man es deshalb mit der Originaltreue nicht übertreiben?

 Das Original ist unnachahmlich. Die Erfindung, der Auftrag, die Geschichte sind nicht wiederholbar. Auch die beste Reproduktion kann immer nur eine Idee darstellen. Trotzdem ist ihre Funktion wertvoll, weil die Idee weiterlebt und Teil unserer Welt wird. Die Reproduktion ermöglicht den Verbleib des originalen Werkes und dessen Zeitgeist.

Ist Kopieren reine Handwerkskunst, ein Beherrschen der Techniken der Alten, oder ist es mehr?

Die Reproduktion ist eine Technik für sich. Es hat nichts mit selbst geschaffenen Arbeiten zu tun. Hier malt man instinktiv. Jedes Gemälde, das man malen möchte, folgt seiner eigenen psychologischen und physiologischen Logik, da es auf der eigenen inneren Fähigkeit und Kreativität basiert. Auf dem Gebiet der Reproduktion fehlen allerdings bestimmte Impulse, die in der eigenen Anfertigung von Gemälden frei durchgeführt werden. In der Reproduktion bleibt nur der große Wunsch, das Werk so wahrheitsgetreu wie möglich auszuführen. Die Reproduktion ist die Suche nach Nuancen, mit denen der Künstler bestimmte Aspekte schafft. Sie ist eine ständige Studie, um die Motivation und den kreativen Kontext des Malermeisters zu erfassen. Die Reproduktion ist der beste Weg, um sich mit dem Charakter und der Ansicht des Meisters zu identifizieren. Daher ist es wichtig, sich bestimmte Kenntnisse über die Verwendung von Farben, die Maltechnik und seinen Stil anzueignen, um ein Werk bestmöglich reproduzieren zu können. Sogar die großen Meister haben sich gegenseitig kopiert. Diese Anfertigung von Reproduktionen veranlasste den Künstler manchmal, Werke ähnlich dem Original auszuführen oder sie sogar zu personalisieren. In diesem Zusammenhang kann als Beispiel Michelangelos „Pieta´“, herangezogen werden, das von großen Malern in verschiedenen Versionen ausgeführt wurde, aber immer vom Original inspiriert war. Oder das „Deposizione“ von Caravaggio, das der flämische Maler Peter Paul Rubens in einer überarbeiteten Version angefertigt hat.

Hat Kopieren eine eigene künstlerische Berechtigung für Sie?

Als Kunstwerk wird all jenes betrachtet, das künstlich ist und jenseits von Zeit und Raum auf die gleiche Weise für alle wahrnehmbar und verständlich ist. Ein Kunstwerk ist daher ein inneres Bild, das nur „in der Seele derer existiert, die es erschaffen oder neu erschaffen“.

Gibt es einen Markt für Gemälde mit der Anmutung des Originals?

Natürlich gibt es Leute, die Originalgemälde haben möchten, aber da es fast unmöglich ist, sie zu erwerben, wenden sie sich an jene Künstler, die Reproduktionen anfertigen. Es besteht eine gewisse Nachfrage, aber sie ist sowohl in Bezug auf Qualität als auch Preis sehr selektiv. Der aktivste Markt sind die USA, der Nahe Osten und Nordeuropa.

Interview: Heinrich Schwazer

 

Zur Person

Der Maler Enzo Poggio ist auf Porträts, Landschaften und Reproduktionen alter Gemälde spezialisiert. Für das Batzenhäusl Bozen hat er etwa sechzig Reproduktionen in Öl, Bleistift, Aquarell, Kohle und Tinte angefertigt. Es handelt sich dabei um Gemälde von 27 Malern, die dem mitteleuropäischen Raum, Ende des 19. Jahrhunderts, zuzuordnen sind. Die Originale befinden sich im Schloss Prösels in Völs am Schlern. Email: [email protected]

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