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Rühre mich nicht an

Noli me tangere von Lois Anvidalfarei und ein Werk von Robert Pan im Hintergrund.

Die Galerie Alessandro Casciaro bringt Künstler der Galerie in einer Gruppenausstellung zusammen. Besichtigung eines Gesprächs.

Von Heinrich Schwazer

„Noli me tangere“, die lateinische Übersetzung aus dem Johannesevangeliums des an Maria Magdalena gerichteten Ausspruchs von Jesu nach seiner Auferstehung – welcher biblische Spruch könnte die gegenwärtige Berührungslosigkeit besser ins Wort fassen? „Rühre mich nicht an“ oder „Berühre mich nicht“ ist exakt der kategorische Imperativ, den die Pandemie uns alle aufzwingt, um unversehrt zu bleiben, aber eben auch in selbstbestimmter Einsamkeit dahinzuvegetieren.

Eine solch ambivalente Körperlichkeit haben Lois Anvidalfareis massive Bronzen schon immer an sich gehabt. Anvidalfarei, der Existenzialist des Körpers, dessen Bronzen so kolossal und massig wie Giacomettis Figuren dünn sind, entblößt seine Leiber von jeglichem Graziösem, Anmutigen, Liebreizendem, bis man nicht mehr sagen kann, ob der Körper Gefangener oder Gefängnis der Seele ist. Seine neueste Arbeit trägt die Ambivalenz zwischen Abstoßung und Anziehung bereits im Titel. „Noli me tangere“ ist eine liegende, embryonal zusammengekauerte Frauenfigur, die mit einer Hand alle Berührungsversuche zurückweist. Hauthunger und Verletzlichkeit paaren sich in dieser überaus komplex konstruierten Skulptur mit einem unbedingten Willen zur Berührungslosigkeit.

Die Galerie Alessandro Casciaro hat die Skulptur in der aktuell laufenden Gruppenausstellung mit Robert Pans alchemistischen Bildern kombiniert – heterogener geht es nicht und doch oder gerade deshalb entfacht sich in der Zusammenschau der Künstler ein Kräftefeld ungeahnter Intensität, von dem man sich willig in den Bann ziehen lässt. Während der Gadertaler Künstler die Skala unseres leiblichen „In-der-Welt-Seins“ mit nie endender Entdeckungslust durchdekliniert, streben Robert Pans Bilder danach, nicht von dieser Welt zu sein. Im „Pan-theistischen Universum“ klingt Goethes alchemistische Vision vom Kunstwerk als gesteigerter Natur, von der Vereinigung des Individuellen mit dem Universellen, durch die Transzendierung der Materie nach. In der stofflichen Hexenküche durch chemisch-physikalische Prozeduren und künstlerische Eingriffe stoßen die Schwere des Materials mit der Immaterialität des Lichts zusammen, das Grenzenlose mit dem Begrenzten, das Flächige begegnet der Tiefe, das unbewusste Stoffliche und das bewusste Subjektive vereinigen sich.

Zu sehen sind die beiden Künstler derzeit in einer Gruppenausstellung der Galerie Alessandro Casciaro zusammen mit weiteren Künstler*innen der Galerie, als da wären: Giovanni Castell, Arnold Mario Dall’O, Jürgen Klauke, Hubert Kostner, Sissa Micheli, Robert Bosisio, Kinki Texas, Santiago Reyes Villaveces, Margareth Dorigatti, aber auch ältere Positionen wie Fortunato Depero, Fritz Wotruba und Emilio Vedova.

Sinnlos wäre es, Künstler*innen, die in Mitteln, Formen, Stilen und Welten so heterogenen sind, in eine thematische Formel zu zwängen. Die Ausstellung lässt die Werke für sich sprechen und gibt damit Raum und Leerstellen, um eigene Geschichten zu entwickeln oder Gedanken entstehen zu lassen.

Von dem bei jedem Wiedersehen großartigen „Kinki Texas“ ist ein großformatiges Bild zu sehen, auf dem man sich wie in einem Wimmelbild zurechtfinden muss. Der Bremer Maler mit bürgerlichem Namen Holger Meier pflegt eine Privatikonografie aus scheinbar naiven Illustrationen, geborgten christlichen Symbolen, Wort- und Satzfragmenten,  Rittergestalten, Roboterfiguren mit weit aufgerissenen Augen und Mäulern,  Pferde mit Geweihe, die er weitab jeder Bedeutungshuberei zu einer Komposition zusammenspannt, die auf jede perspektivische Tiefe verzichtet.

Je zwei Bilder stammen von Sissa Micheli und Jürgen Klauke, die jüngst zusammen in der Ausstellung „Scenography of Existence“ zu sehen waren. Der Körper als ein Ding unvorhersehbarer und obskurer Kämpfe – das könnte der gemeinsame Nenner von Sissa Micheli und Jürgen Klauke sein.

Man muss diese Ausstellung mit eigenen Augen sehen, um zu verstehen, dass das digitale Habitat für die Kunst auf Dauer kein Zuhause sein kann.

Die Ausstellung in der Galerie Alessandro Casciaro ist bis zum 27. Februar 2021 zugänglich.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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