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Wie steht es um die Artenvielfalt?

Andreas Hilpold: Wolf und Bär gehören definitiv zur Biodiversität und erfüllen als Top-Predator, also als Spitze der Nahrungskette, eine wichtige regulierende Funktion.

Welche Tiere und Pflanzen gibt es in Südtirol? Nimmt die Zahl der Arten ab oder zu? Und wie wirken sich Landschaftsstruktur oder Düngung auf sie aus? Die Ergebnisse der ersten Phase des fünfjährigen Projekts „Biodiversität Südtirol“ liegen jetzt vor. Ein Gespräch mit Andreas Hilpold vom Institut für Alpine Umwelt und Koordinator des Biodiversitätsmonitorings Südtirol.

 Tageszeitung: Herr Hilpold, Sie sind Koordinator des Biodiversitätsmonitorings Südtirol. Was genau erforscht dieses Langzeitprojekt?

Andreas Hilpold:  Im Projekt werden an insgesamt 320 Standorten verschiedene Tier- und Pflanzengruppen, wie Vögel und Tagfalter oder Gefäßpflanzen untersucht. Die Standorte sind über Südtirol verteilt und bilden die Lebensraumvielfalt Südtirols ab. Daneben werden noch 120 Standorte in Fließgewässern untersucht, wobei hier in erster Linie Insektenlarven untersucht werden.

In Südtirol gibt es rund 2500 Pflanzenarten und etwa zehnmal so viele Tierarten. Werden alle erfasst?

Mit dem gewählten Ansatz sind wir bereits nach zwei Jahren auf einen beträchtlichen Anteil der heimischen Flora und Fauna gekommen. Bei den Gefäßpflanzen sind es knapp die Hälfte, bei Tagfaltern, Heuschrecken und Vögeln schon über 70% und bei den Fledermäusen konnten wir bereits alle bekannten Arten bzw. Artengruppen nachweisen.

Die Ergebnisse der ersten Phase des fünfjährigen Projekts liegen jetzt vor. Was alle wissen wollen: Nimmt die Zahl der Arten ab oder zu?

Die einfachsten Fragen sind oft am schwierigsten zu beantworten. Trends kann man immer erst dann feststellen, wenn man lange genug Erhebungen durchführt. Zwei Jahre sind da definitiv nicht lang genug. Dafür müssen die Erhebungen unbedingt mindestens einmal wiederholt werden. Allerdings zeigen uns die verschiedenen Roten Listen doch einen deutlichen Artenverlust, so etwa die rezent erschienene Rote Liste der Vögel. Im Städtischen Raum und in unseren Kulturflächen wandern hingegen auch viele neue Arten ein, die sogenannten Neophyten und Neozoen…

Was genau sind Neophyten und Neozoen?

Neophyten und Neozoen sind Arten die in den letzten fünf Jahrhunderten eingewandert sind – davon gibt es hunderte. Die meisten davonverhalten sich recht unauffällig und verursachen keine größeren Probleme, andere, etwa das Drüsige Springkraut stellen ein Problem für naturnahe Ökosysteme dar. Beim Monitoring konnten wir viele dieser Arten feststellen, besonders im städtischen Raum. So etwa den Geranien-Bläuling in Bozen. Eine Art, die aus Südafrika stammt und dessen Raupen an Geranien leben.

Welche Arten sind bereits definitiv verschwunden und welche wird es bald nicht mehr geben? 

 Verschwunden sind vor allem Arten, die an eine bestimmte Art von Bewirtschaftung angepasst sind. Nachdem in den letzten hundert Jahren Getreidefelder fast ganz verschwunden sind, sind auch Getreidebegleitarten sehr selten geworden. Dasselbe gilt für Arten magerer Wiesen oder von Feuchtwiesen und weiterer Feuchtlebensräume. Die Liste ist lang.

Es wird viel gebaggert in Südtirol, viel gedüngt und Pestizide sind im Dauereinsatz. Gefühlt wirkt sich das enorm auf die Artenvielfalt aus, aber lässt sich das auch wissenschaftlich verifizieren?

 Der Effekt des Baggers ist meist punktuell, aber viele punktuelle Eingriffe führen auch zu einem Verlust von naturnahen Lebensräumen. Der Siedlungsraum rund um unsere Zentren hat sich natürlich massiv vergrößert. Düngung ist ein Faktor, der sich vor allem auf die Wiesen auswirkt, aber auch auf die direkte Umgebung der Kulturflächen, etwa auf Bäche und Gräben. Insgesamt führt ein hoher Nährstoffimport zu einer Änderung der Vegetation – viele Pflanzenarten verschwinden, wenn der Stickstoffeintrag zu hoch ist. Pestizide ist wieder ein anderes Thema, unsere Untersuchungen sind dafür noch zu wenig fortgeschritten und es gibt auch sonst nur wenige Untersuchungen in dieser Hinsicht. Schmetterlingsstudien im oberen Vinschgau deuten allerdings darauf hin, dass solch sensible Gruppen durchaus beeinträchtigt werden können.

Die Landwirtschaft, vor allem der Obstbau, steht durch Pestizideinsatz und Monokulturen als Hauptverursacher des Biodiversitätsverlustes am Pranger. Zu Recht?

Die Biodiversität in der Landschaft ergibt sich aus der Vielfalt der einzelnen Lebensräume. Werden verschiedene Lebensräume auf einen einzigen reduziert, dann habe ich am Ende weniger Arten als vorher. Diese Rechnung ist relativ einfach und wird auch von vielen Studien untermauert – auch durch unsere Ergebnisse aus dem Biodiversitätsmonitoring. Pestizide ist ein weit schwierigeres Thema, nicht zuletzt deshalb, weil es nicht nur ein Pflanzenschutzmittel gibt, sondern viele verschiedene. Ein Fungizid wirkt sich vermutlich nicht auf Insekten oder Vögel aus. Jedes Insektizid hat einen anderen Wirkmechanismus. Vielleicht unterbindet es die Entwicklung eines Käfers während es andere Gruppen nicht beeinflusst. Studien dazu sind leider sehr komplex. Trotzdem hoffen wir, dass wir auch dazu Aussagen treffen können in Zukunft.

Wenn man eine biologisch bewirtschaftete Fläche mit einer konventionell bewirtschafteten vergleicht – wo krabbelt mehr im Boden?

In der SoilDiv-Studie, die vor einiger Zeit von der Eurac durchgeführt wurde, war das Bodenleben in Bioflächen größer als in integrierten. Unsere Daten reichen noch nicht aus, um ein endgültiges Urteil zu geben, deuten aber in dieselbe Richtung. Insgesamt wirkt sich ein sanfter Umgang mit dem Boden positiv aus, ganz egal ob Bio oder konventionell.

Auch die Ausbringung von Gülle steht immer wieder im Kreuzfeuer der Kritik von Umweltschützern. Wie schädlich ist Gülle für das Leben auf der Wiese?

Hohe Mengen an Dünger verändern die Artenzusammensetzung in Wiesen – das trifft auf Mist genauso wie auf Gülle zu. Intensiv gedüngte Wiesen besitzen weniger Pflanzenarten als magere Standorte, daran besteht eigentlich kein Zweifel. Auch die Vielfalt von Tagfaltern und Heuschrecken ist dann geringer. Insgesamt fördert eine starke Düngung und eine häufige Mahd das Vorkommen von Allerweltsarten. Spezialisten und seltene Arten, etwa verschiedene Orchideenarten kommen damit nicht zurecht.

Ist die Situation in Naturschutzgebieten signifikant besser und bringen so kleine Inseln wie geschützte Auenwälder der Natur überhaupt etwas?

Kleine Schutzgebiete, auch in einer sonst stark ausgeräumten Talsohle, sind wahre Oasen der Artenvielfalt. Das haben die Ergebnisse der ersten zwei Erhebungsjahre sehr deutlich gezeigt und das betrifft praktisch alle untersuchten Organismengruppen. In einer Feuchtwiese oder einem Schilfröhricht finden sich Arten die sonst weitum fehlen, etwa die Große Goldschrecke in den Schgumser Mösern, der Eisvögel im Biotop Falschauer oder der Baumweißling in den Trockenweiden bei Sprechenstein.

Vom Insektensterben und von Vögeln, die nichts mehr genug zum Fressen finden, war bereits öfters die Rede. Wie dramatisch ist die Situation wirklich?

Dramatisch ist die Situation immer dort, wo die Landschaft nichts mehr zu bieten hat, wo die Vielfalt fehlt und nur noch ein einziger, intensiv bewirtschafteter Lebensraum vorkommt. Auch in Südtirol ist die Landschaft mancherorts merklich ärmer geworden im letzten Jahrhundert. Wie sich die Insektenpopulationen in Südtirol aber konkret entwickeln werden wir hoffentlich wissen, wenn das Projekt weiter fortgeschritten ist. Bei den Vögeln sind in den letzten Jahrzehnten vor allem Grünlandarten verschwunden, also jene, die in spät gemähten Wiesen und Weiden brüten. Gleichzeitig sind oft auch ihre ehemaligen Jagdgründe verschwunden. Ein gutes Beispiel dafür ist der Kiebitz, der einst am Natzner Hochplateau verbreitet war. Vermutlich fehlt ihm mangels Wiesen und Weiden jetzt einfach die Nahrungsgrundlage.

Wie reagieren die Tiere und Pflanzen, wenn ihnen der Lebensraum entzogen wird? Wandern sie in andere, etwa höhergelegene Gegenden aus?

Wenn wir von den Folgen des Klimawandels sprechen, ist das durchaus der Fall. Die Arten suchen sich zuerst einen passenden Lebensraum in ihrer Umgebung, wandern etwa von der Sonnen- auf die Schattenseite, danach weichen sie nach oben aus. Bei kleineren Berggipfeln ist dies durchaus ein Problem, weil es oft kein oben gibt. Bei Arten, die auf einen bestimmten Lebensraum spezialisiert sind, geht das hingegen nicht. Wenn das Moor zerstört ist, kann eine Sonnentauart nicht auf eine Wiese oder einen Wald ausweichen. Solche Arten sterben lokal aus.

Wie ist die Situation in höhergelegenen Regionen aus, die ja auch immer stärker durch Skilifte und touristische Infrastrukturen erschlossen werden?

Freizeitnutzung führt zu einer Störung, vor allem für größere Wildtiere wie Hühnervögel oder Säugetiere. Viele Arten sind aber auch sehr anpassungsfähig oder profitieren gar von der Störung. Jedenfalls ist es immer ein Eingriff in ein empfindliches Ökosystem, den es nach Möglichkeit zu vermeiden gilt. Für jedes Bauprojekt muss man sich natürlich schon im Vorfeld die Frage stellen: Was wächst und lebt dort? Welche Tier- oder Pflanzenart wird direkt von den Baumaßnahmen beeinträchtigt? Genaue Gutachten und Umweltverträglichkeitsprüfungen sind dafür immens wichtig.

Klimawandel und der Rückgang der Biodiversität sind die größten Probleme der kommenden Jahrzehnte.  Lässt sich bereits wissenschaftlich verifizieren, welche Auswirkungen der Klimawandel auf die Biodiversität hat?

Dazu gibt es schon sehr viele Studien und es werden laufend neue publiziert. Für manche wärmeliebende Art in unseren Breiten wird der Klimawandel kurzfristig sogar einen positiven Effekt haben. Global gesehen wird er aber Flora und Fauna massiv unter Druck setzen. Die Veränderungen passieren in einem sehr schnellen Tempo und viele Arten werden nicht schnell genug reagieren können. Gleichzeitig stehen sehr viele Arten bereits durch die menschliche Nutzung bzw. Übernutzung unter Druck. In Summe wird dies mittel- bis langfristig wohl das Aussterben von zahlreichen Tieren und Pflanzen zur Folge haben.

Auch Wolf und Bär gehören zur Biodiversität, werden aber massiv bekämpft. Was sagt der Biodiversitätsforscher dazu? 

Wolf und Bär gehören definitiv zur Biodiversität und erfüllen als Top-Predator, also als Spitze der Nahrungskette, eine wichtige regulierende Funktion. Gleichzeitig sind die Alpen ein Gebiet, das seit jeher vom Menschen stark verändert wurde und es ist auch ein stückweit die Entscheidung der Gesellschaft, wie wir diese Landschaft in Zukunft gestalten. Auf europäischer und auch auf nationalstaatlicher Ebene ist die Entscheidung in dieser Hinsicht aber schon gefallen. Eine Zukunft ohne Wolf und Bär ist daher äußerst unrealistisch.

Aber gibt es auch indirekte Folgen durch diese Wiederbesiedlungen?

Ja, die gibt es natürlich. Die Weidehaltung vor allem im alpinen Gebiet muss an diese veränderte Situation angepasst werden, was auch Folgen für die Biodiversität haben wird. Manche Alm wird wohl nicht mehr rentabel bewirtschaftet werden können und aufgelassen werden, was zu einer Verbuschung der Flächen führt. Auf den weiterhin bewirtschafteten Flächen hingegen wird ein verbessertes Weidemanagement notwendig sein. Gleichzeitig könnte die Wiederbesiedelung auch dazu führen, dass dorf- und hofnahe Flächen verstärkt genutzt werden – eine Entwicklung, die den Erhalt von wertvollen Trockenweiden fördern könnte.

Es heißt, wir erleben derzeit das sechste große Artensterben der Erdgeschichte. Was droht dem Menschen danach?

Die Folgen dieses Artensterbens sind noch gar nicht absehbar. Wie sich das auf ökologische Zusammenhänge auswirkt kann man vielfach nur mutmaßen. Eines ist aber sicher: in der Natur ist alles vernetzt. Wenn Heuschrecken und Käfer verschwinden verlieren auch viele Vögel ihre Nahrungsgrundlage und wenn die Wiesen plötzlich nur noch grün oder löwenzahn-gelb sind finden zahlreiche Schmetterlinge und Bienen keinen Nektar mehr. Die Folgen sind damit weit schwerwiegender, als man im ersten Moment glauben möchte. Zuguterletzt geht es aber auch darum, dass die Welt damit sehr viel eintöniger wird. Unsere direkte Umwelt verliert an Erlebniswert. Auch das ist ein Stück Lebensqualität.

Ein Monitoring ist Grundlagenforschung, aber nicht nur. Es liefert die Basis für politische Entscheidungen zur Raumplanung, Landwirtschaft und zum Naturschutz. Welche Empfehlungen werden Sie der Politik geben, um die Biodiversität zu erhalten?

Meine erste Empfehlung ist: einfache Rezepte sind in der Regel falsch. Die Natur ist derart komplex, dass nur differenzierte Antworten funktionieren. Wir alle, die wir Biodiversität erhalten und fördern möchten, kommen nicht daran vorbei, uns noch eingehender mit der Materie zu befassen. Daher ist es von grundlegender Bedeutung das Wissen um Tiere und Pflanzen und um ökologische Zusammenhänge zu fördern. Wir brauchen Sensibilisierung und Wissensvermittlung in allen Bereichen, von den Schulklassen über Verbände bis zu den Gemeindestuben.

Interview: Heinrich Schwazer

Zur Person

Andreas Hilpold arbeitet am Institut für Alpine Umwelt an der Eurac und ist der Koordinator des Projektes Biodiversitätsmonitoring Südtirol. Nach seinem Studium der Biologie mit Schwerpunkt Botanik in Innsbruck und Barcelona arbeitete er mehrere Jahre am Naturmuseum Südtirol im Rahmen des Projektes FloraFaunaSüdtirol. Neben seiner Vorliebe für Pflanzen kümmert er sich im Projekt auch um die Heuschrecken und Wanzen. Mitautor der Roten Liste der Pflanzen und Heuschrecken Südtirols und zahlreicher weiterer wissenschaftlicher Publikationen.Das Projekt Biodiversitätsmonitoring Südtirol wird von Eurac Research auf Initiative der Südtiroler Landesregierung und in Zusammenarbeit mit dem Naturmuseum und dem Amt für Natur durchgeführt.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (2)

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  • treter

    Bitte Herr Hilpold verteidigen Sie den Brixner Auwald vor der Rodung! Denn damit geht wieder ein Stück Biodiversität verloren und viele Vögel verlieren ihren Lebensraum. Und Habitatsverlust ist die Ursache Nummer eins für das Artensterben!!
    Danke für Ihren Einsatz zum Schutz der Biodiversität.

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