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„Kein Grund alles zu verdammen“

Bernd Gänsbacher

Bald wird es drei Impfstoffe in Italien geben, sagt der Immunologe Bernd Gänsbacher. Doch wird es damit auch weniger Engpässe geben?

Tageszeitung: Herr Professor, derzeit ist in der EU nur ein Impfstoff zugelassen, allerdings gibt es bereits jetzt Engpässe. Wann wird der nächste Impfstoff zugelassen?

Bernd Gänsbacher: Der nächste Impfstoff wird voraussichtlich diese Woche von der EMA zugelassen. Es handelt sich dabei um den Moderna-Impfstoff, der in den USA bereits zugelassen wurde. Die Daten schauen sehr gut aus, ähnlich wie beim Impfstoff von Pfizer und Biontech. Beide verwenden eine ähnliche Methode mit derselben messenger-RNA. Ich sehe beide Impfstoffe auf Augenhöhe. Der Moderna-Impfstoff hat auch eine Wirksamkeit von über 90 Prozent, er hat aber einen großen Vorteil. Er muss nicht bei -70, sondern nur bei -20 Grad Celsius gelagert werden, ist also deutlich einfacher zu lagern.

Haben Sie mit solchen Lieferproblemen und Engpässen gerechnet?

Ja, damit habe ich gerechnet, das ist nur logisch. Der Grund ist, dass zurzeit nur ein Impfstoff innerhalb der EU zugelassen ist, alle wollen aber sofort auf ihn zugreifen. Man darf die Perfektion nicht den Feind des Guten sein lassen – Don’t let perfection be the enemy oft he good. Nur weil es jetzt Engpässe bei der Verteilung des einzigen Impfstoffes gibt, ist kein Grund alles zu verdammen. Innerhalb eines Monats werden drei Impfstoffe von großen Pharmafirmen in Europa auf dem Markt sein, Pfizer, Moderna und Astra Zenica/Oxford und dann ist das Verteilungsproblem gelöst. Was ich nicht verstehen könnte, ist wenn der Impfstoff irgendwo in Italien oder Deutschland herumliegt und nicht verabreicht wird.

Ein zweiter Impfstoff könnte die Engpässe also bereits lösen?

Ja, denn wenn viele Staaten an einem einzigen Impfstoff hängen, entstehen immer Probleme. In England ist die Situation viel besser, dort wurden auch bereits mehr Menschen geimpft, weil es gleich drei Impfstoffe gibt. Wenn jede dieser drei Firmen mehrere Millionen Dosen liefern kann, löst sich das Problem von alleine.

Apropos Großbritannien: Dort starten gestern die Impfungen von AstraZeneca.  Was halten Sie vom englischen Impfstoff?

AstraZeneca hat bei der klinischen Studie geschlampt, nicht im medizinischen Bereich, sondern im logistischen. 4.000 Personen haben bei der Erstinjektion nur die halbe Dosis bekommen, das darf nicht passieren und interessanterweise hatte diese Gruppe die besten Resultate. Ansonsten ist aber auch dieser Impfstoff in Ordnung.

Einige Virologen erwägen, die zweite Dosis bei der Verabreichung des Impfstoffes hinauszuzögern. Ist das tatsächlich eine Option, um mehr Personen zu impfen?

Nein, auf gar keinen Fall, das wäre eine rote Karte. Jedes Medikament/Impfstoff muss so verwendet werden, wie es zugelassen wird. Der Pfizer Impfstoff ist zugelassen für eine Injektion am Tag 1 und Tag 21. Niemand weiß, was passiert, wenn die zweite Dosis verzögert wird. Es könnte sogar sein, dass Impfresistente Virusvarianten entstehen, wenn Einmal-Geimpfte nur suboptimale Antikörper Titer im Gewebe haben und das wäre eine Katastrophe. Kein glaubhafter Wissenschaftler würde dem zustimmen. Das wäre so, als ob man den Impfstoff auch Kindern verabreicht, obwohl er für Kinder gar nicht zugelassen wurde.

Wie bewerten Sie die bisherigen Impfungen. Kann man von einem Erfolg sprechen?

Ja auf jeden Fall. Weltweit sind bereits 12 Millionen Menschen gegen das Virus geimpft. In China und Amerika sind es jeweils vier Millionen, in Israel und Großbritannien sind es rund eine Million, in Russland sind es 800.000, in Deutschland 250.000 und in Italien 114.000. Derzeit sind sechs Impfstoffe zugelassen, wenn man den chinesischen und den russischen mit einberechnet. 18 weitere Impfstoffe befinden sich in der Phase 3 und 73 Impfansätze werden in weiteren klinischen Studien getestet.

Das sind beeindruckende Zahlen…

Das sind sogar unglaubliche Zahlen. Das ist eine Leistung, die kaum beschreibbar ist. Es ist außerdem ein Beweis dafür, dass die Wissenschaft und nicht die Politik, die Wirtschaft oder der Glauben die Probleme löst. Die Wissenschaft ist es, die schon zum wiederholten Male erfolgreich eingegriffen hat, wenn es um Tod und Leben geht.

Wie wird Südtirols Impfstrategie aussehen, sobald mehrere Impfstoffe auf dem Markt sind? Werden sich die Bürger dann für einen Impfstoff entscheiden können?

Nein, das wird wohl nicht möglich sein, aber das muss man auch nicht, schließlich sind die Impfstoffe relativ gleichwertig. Letztendlich wird der Staat entscheiden, bei wem er einkauft. Der Bürger, auch der Südtiroler, wird dann jenen Impfstoff nehmen müssen, der vom jeweiligen Sanitätsbetrieb angeboten wird – schließlich ist dieser dann auch gratis.

Interview: Markus Rufin

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (25)

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  • andreas

    Biontech selbst zieht eine Verschiebung der zweiten Impfung in Erwägung, haben dafür aber noch keine Daten und werden sich in ein paar Monaten nach den Tests äußern. So absolut ausgeschlossen, wie der Sarner es darstellt, ist es also nicht.

    Euphorisch x Impfstoffe zu feiern, obwohl für die Zulassung alle bisher geltenden Sicherheitsstandards ausgehebelt wurden, ist nicht wirklich logisch. Es werden gute dabei sein, doch auch viel Mist.
    Die Pharmaindustrie und deren Lakaien die Wissenschaftler haben schon so viel Mist auf den Markt gebracht, dass eine grundsätzliche Skepsis eigentlich immer angebracht ist.

  • prof

    Sollte Biontech die Verschiebung der zweiten Impfung in Erwägung ziehen,so würde das was Prof. Gänsbacher sagt ja nicht stimmen.
    Also schauen wer Recht behält Biontech oder Gänsbacher, vielleicht
    sollte hier auch n.g. seine Meinung äussern.

    • steve

      Da geht es nicht ums Rechthaben: der Impstoff ist nur für zweimalige Anwendung zugelassen deshalb darf man ihn auch nur so verwenden. Für die einmalige Anwendung müssen neue Studien gemacht und neu angesucht werden.

    • andreas

      Der Sarner liegt schon mal grundsätzlich daneben, da er von vornherein die Möglichkeit ausschließt, ohne sich dabei auf Studien berufen zu können. Niemand will den Impfstoff ohne Zulassung verspätet verabreichen, das steht doch gar nicht zur Debatte.

      Das Südtiroler Orakel ist halt nicht die oberste Instanz in Virologenkreisen.

  • tirolersepp

    Herr Gaensbacher hat Recht das Virus verschwindet so schnell wie es gekommen ist !

  • prof

    @andreas
    Gänsbacher als Orakel zu bezeichnen ist schon etwas gewagt auch wenn er in der Jugend ein sehr guter Fußballer war. Na gut,das Orakel wurde ja bei der Fussball EM in Deutschland bekannt,als es die Siegreiche Mannschaft voraussagte und fast immer Recht behielt.

    • andreas

      Paul sagte die Ergebnisse bei der WM 2010 in Südafrika voraus. 😉
      Wurde der eigentlich gebraten und verspeist?
      Das Fußball WM Orakel von 2018 in Japan wurde jedenfalls zu Sushi verarbeitet. 🙂 🙂

  • prof

    @batman
    Und was ist schlimm dabei?? Ach so,die TZ müsste einige Kommentar Schreiber/innen auch befragen.

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