Du befindest dich hier: Home » Gesellschaft » „Frauen werden unsichtbar“

„Frauen werden unsichtbar“

Michela Morandini

Sind die Frauen die Verlierer der Corona-Krise? Gleichstellungsrätin Michela Morandini bejaht diese Frage, sie verweist auf die zahlreichen Covid-Infektionen von Frauen und sieht das Home-Office problematisch.

Tageszeitung: Frau Morandini, was hat uns die Corona-Krise in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse gezeigt?

Michela Morandini: Grundsätzlich kann man sagen, dass Krisen Ungleichheiten zuspitzen. Die Corona-Krise hat eine Art Lupe auf die bereits bestehenden Ungleichheiten gesetzt. Ein Beispiel dafür ist der Zugang zum Arbeitsmarkt. Bereits vor der Krise war es für Frauen schwieriger in das Arbeitsleben einzusteigen oder unbefristete Arbeitsverträge zu erhalten. Es gibt sehr viele Vorurteile gegenüber Frauen in der Arbeitswelt: Bei jungen Frauen denken viele Arbeitgeber an eine baldige Schwangerschaft, in Folge kann es zu Arbeitsunterbrechungen aufgrund von familiären Verpflichtungen kommen, Frauen sind weniger flexibel, da sie sich um den Haushalt und die Kinder kümmern müssen. Zurzeit ist es grundsätzlich schwieriger einen Arbeitsplatz zu finden, aber für diejenigen, die vorher bereits benachteiligt waren, wird es immer enger in dieser Hinsicht. In Südtirol hat der Arbeitsmarktbericht im Juni 2020 aufgezeigt, dass Frauen von den Folgen der Pandemie stärker betroffen sind.

Während der Krise haben aber hauptsächlich die Frauen gearbeitet…

Richtig. Während der Krise wurde klar: Es arbeiten vor allem Frauen in den systemrelevanten Berufen. Sie machen in diesen Berufsfeldern bis zu 75 Prozent der Mitarbeiter aus. Außerdem sind Frauen besonders in den Sozial und -Pflegeberufen beschäftigt. Wir wissen, dass die Corona-Krise unser Gesundheitswesen stark belastet hat und das Gesundheitswesen wiederum, wird zum Großteil von Frauen getragen. Man kann also durchaus sagen, dass die Krise hauptsächlich von Frauen gestemmt wurde.

Ist dies mitunter der Grund dafür, dass mehr Frauen als Männer an Covid-19 erkrankt sind?

Nicht ganz. Was zutrifft ist die Aussage des Arbeitsunfallversicherungsinstitut INAIL das angibt, dass es in Südtirol von Jänner bis Juni 786 Covid-19-Arbeitsunfälle gab und davon 605 Frauen betroffen hat. Dies wohl auch weil Pflegeberufe hauptsächlich weiblich besetzt sind. Das bedeutet, dass auch in dieser Hinsicht die Krise vor allem die Frauen getroffen hat. In der Krise ist die Anerkennung von Pflege- und Betreuungsberufe gestiegen, das ist ein positiver Aspekt. Vielen ist bewusst geworden, wie wichtig diese sind. Vor der Krise hat die soziale und oftmals monetäre Anerkennung dieser Berufe gefehlt. Ich hoffe, diese Aufwertung findet nun statt und man nutzt die Gelegenheit, sie attraktiver zu machen.

Was ist mit den Frauen, die nicht in diesen Berufen arbeiten und somit im Home-Office waren?

Das Home-office war für Viele eine große Herausforderung. Besonders Eltern mussten mehrere Rollen einnehmen: Arbeitnehmer/-in, Lehrer/-in, Kinderbetreuer/-in. Es war schwer vereinbar, die Kinder zu schulen, den Haushalt zu schmeißen und gleichzeitig von zuhause aus zu arbeiten. Viele Frauen suchten in der Phase des Lockdowns nach Rat. Die Anfragen waren vielfältig. So berichteten einige Frauen davon, dass sie den Urlaub aufbrauchen mussten, während die Männer ins Homeoffice geschickt wurden. Zurzeit hingegen erhalte ich immer öfter Beschwerden von Frauen, die erzählen, dass ihre männlichen Kollegen bereits zurück ins Büro dürfen und sie als Frauen noch im Home-office sind. Auch in dieser Situation kann man erkennen, dass die Krise bestimmte Vorurteile oder Überzeugungen offenlegt. Manche Arbeitgeber denken wahrscheinlich, dass sich die Frauen um die Kinder, den Haushalt oder die Pflege von Familienangehörigen kümmern müssen. Natürlich sind auch Männer dazu bereit, werden aber in manchen Situationen als Arbeitskraft bevorzugt. Darüber hinaus hat die Krise Frauen in anderen Bereichen stark getroffen. Viele Bereiche, die am längsten „stillstanden“, haben einen hohen Frauenanteil.

Welche meinen Sie?

Damit ist zum Beispiel der Tourismus gemeint. Es sind zum Großteil Frauen, die im Tourismus-Sektor arbeiten und somit lange gar kein Einkommen hatten. Vor allem in jenen Bereichen, deren Wiederöffnung am längsten ungewiss war, wie zum Beispiel die Wellnessbereiche in den Hotels.

Was sind also konkret die Folgen der Corona-Krise auf die Frauen?

Die Folgen sind vielfältig, die Gefahr ist jedoch, dass die Geschlechtergleichstellung einen Rückschritt erfährt. Die Folgen haben sich bereits in Phase 1 gezeigt, teilweise dann in Phase 2 zugespitzt. Durch das Wegbrechen von Bildungs- und Betreuungsstrukturen erhöhte sich die Mehrfachbelastung für Frauen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wurde zur Unvereinbarkeit. Eine der Gefahren ist dabei, dass sich Frauen immer mehr ins Private zurückziehen und somit unsichtbarer werden. Bereits vor der Krise war z. B. der Anteil an Frauen in Entscheidungspositionen gering. Dies wird sich wohl noch zuspitzen. Die anstehenden Gemeinderatswahlen könnten ein Gradmesser sein. Mir wurde von vielen Frauen berichtet, dass sie ihre Kandidatur zurückgezogen haben. Aufgrund der Ungewissheit zu Betreuungs- und Bildungsangeboten wissen viele Frauen nicht, ob und wie sie alles unter einen Hut bekommen werden und ziehen sich zurück. Wir Frauen müssen aber auch daran denken, dass dann die nächsten fünf Jahre lang eine wichtige Perspektive fehlt.

Während der Corona-Krise wurde die meisten Entscheidungen von Männern getroffen…

Richtig. Dies ist eine weitere Situation, in der bereits bekannte Phänomene konkret sichtbar wurden. Die Unterrepräsentation der Frauen in Entscheidungspositionen ist ein altes Thema, in Corona Zeiten scheint es Vielen jedoch erst aufgefallen zu sein. Frauen arbeiten an der Basis, Männer kommunizieren nach außen.

Erhielten die Frauen dafür Anerkennung?

Na ja, davon ist noch nicht viel spürbar. In einem ersten Moment war die Anerkennung hoch. Zum Beispiel haben viele von uns für die im Gesundheitssystem tätigen geklatscht. Nun gilt es, daraus zu lernen und beispielsweise systemrelevante Berufe auch als solche anzuerkennen, ein Beispiel wäre eine höhere Vergütung. Darüber hinaus muss das Ungleichgewicht, das durch Corona, etwa die Mehrfachbelastung von Frauen, evident geworden ist, durch langfristige nachhaltige Maßnahmen ausgeglichen werden.

Interview: Mathilde Galli

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (15)

Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen

  • rumer

    Die Dame hat zwar ein nettes Äusseres, aber ihre Ausführungen sind fad, da widersprüchlich:
    1. Frauen waren überwiegend in den Berufen die weiterarbeiten mussten
    2. Frauen waren überwiegend in den Berufen die nicht arbeiten konnten
    Ja was denn nun?

  • olle3xgscheid

    Mal abgesehen davon ob dieser Posten sinnvoll ist ,hätte ich aber auch gerne einen Gleichstellungsrat 😉 damit er die Gleichstellung der Männer vertretet 😉 damit meine Kinder auch zu 50% von Männern unterrichtet werden und gleichwoh von l KrankenMänner usw behandelt werden . Dies hier führt ohnehin zu einer sinnlos-Diskusion den Gott sei Dank sind wir alle verschieden begabt talentiert ergeizig glücklich usw , damit jede/r sein Sinn und Berufung im Leben finden möge. Wie wäre es wohl wenn alle gleich währen??? Und zu allerletzt braucht die Gleichstellungsrätin auch einen Job 😉 und das nich schlecht honoriert bei wechem Endergebnis??

  • perikles

    ich lese allerorts, wie schwierig es ist, Kandidatinnen für die Gemeinderatswahlen zu finden; womöglich sind die meisten Frauen gar nicht so unzufrieden mit ihrem Dasein und wenn die grosse Menge der Frauen schweigt, hört man das Klagen der wenigen Unzufriedenen umso lauter.

Kommentar abgeben

Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.

2024 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen