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„Wir sind gefährdet“

Menschen mit Vorerkrankungen sind durch das Coronavirus besonders gefährdet. Vier Risikopatienten erzählen.

von Eva Maria Gapp

Wenn dieser Tage von Corona-Risikogruppen die Rede ist, denken viele an ihre Eltern oder Großeltern. Woran die meisten Menschen nicht denken sind Diabetiker, Menschen mit seltenen Erkrankungen oder Dialysepatienten. Menschen mit Vorerkrankungen sind durch das Coronavirus besonders gefährdet. Die TAGESZEITUNG hat mit vier von ihnen gesprochen.

Anna Faccin (Schmetterlingskind, 30)

Ich lebe mit einer sehr seltenen, genetisch bedingten Hautkrankheit, „Epidermolysis bullosa“ genannt. So lautet der Fachbegriff für die Schmetterlingskrankheit. Man nennt sie so, weil unsere Haut genauso verletzlich ist wie die Flügel eines Schmetterlings. Jede Berührung ist für uns äußerst schmerzhaft. Es bilden sich leicht Blasen und Wunden, die versorgt werden müssen. Ich habe mich aber daran gewöhnt. Schmerzen gehören zu mir und meinem Alltag, ein Leben ohne Schmerzen kann ich mir gar nicht vorstellen.

In Zeiten wie diesen müssen nicht nur ich, sondern auch andere Menschen mit seltenen Erkrankungen, besonders vorsichtig sein. Wir gehören zur Risikogruppe. Ich muss also noch stärker auf meine Haut Acht geben, noch stärker Wundpflege betreiben als sonst. Denn unsere empfindliche Haut ist sehr anfällig für Infektionen. Dadurch habe ich ein zusätzliches Risiko. Ich müsste dann womöglich ins Krankenhaus und das versuche ich zu vermeiden. Ich gehe auch so gut wie gar nicht mehr aus dem Haus.

Generell ist für mich ein Notfall-Eingriff oder eine Notfall-OP mit einem hohen Risiko verbunden. Wenn ich etwa intubiert werden müsste, weil ich angesichts des Coronavirus keine Luft mehr bekommen würde, wäre das sehr schlimm. Es würden sich dann tiefe Wunden bilden. Und wenn man nicht aufpasst, könnte die ganze Luftröhre verletzt werden. Über solche Situationen mache ich mir natürlich Gedanken, auch weil ich mich dann nicht richtig artikulieren könnte. Ich könnte den Ärzten nicht erklären, welche Grunderkrankung ich habe. Dabei braucht man sehr viel Hintergrundwissen, um uns Schmetterlingskinder zu behandeln. Ansonsten können schwere Schäden entstehen.

Wenn man hört, dass Leute wegen dem Coronavirus sterben, wäre es gelogen, wenn ich sagen würde, ich mache mir keine Sorgen. Man denkt auch darüber nach, ob die Versorgung mit Medikamenten und Verbänden weiterhin gewährleistet werden kann. Wir Schmetterlingskinder haben einen eigenen Therapieplan, der sehr wichtig ist. Wir müssen unsere Wunden mit einem speziellen Verband verarzten. Wenn wir diesen nicht mehr bekommen würden, wäre das ein großes Problem. Wir können nämlich nicht ein normales Pflaster oder einen anderen Verband verwenden. Wir hätten dann noch stärkere Schmerzen.

Ich denke aber immer positiv und versuche das Beste daraus zu machen. Wenn wir jetzt alle zu Hause bleiben und an einem Strang ziehen, dann können wir das Virus vielleicht ausmerzen. Jeder kann einen Beitrag leisten.

Dietrich Oberdörfer (Dialysepatient, wartet auf ein Spenderorgan, 63)

Bei mir haben die Ärzte vor rund 30 Jahren eine chronische Niereninsuffizienz, also totales Nierenversagen festgestellt. Seitdem bin ich Dialysepatient, also auf künstliche Blutwäsche angewiesen. Eine Zeitlang habe ich zwar mit einer Spender-Niere gelebt, vor dreieinhalb Jahren aber hat sie mein Körper abgestoßen. Ich bin also wieder auf die Dialyse angewiesen. Derzeit warte ich auf ein Spenderorgan.

Ich bin kein ängstlicher Mensch, trotzdem weiß ich, dass ich zur Risikogruppe gehöre und dadurch einer größeren Gefahr ausgesetzt bin. Wenn ich am Coronavirus erkranken würde, wäre das katastrophal. Eine Infektion mit Coronavirus kann für mich tödlich sein. Ich bin auch nicht mehr der Jüngste.

Natürlich weiß ich, dass man jedes Mal ein Risiko eingeht, wenn man zur Dialyse muss. Ich muss dreimal die Woche für vier Stunden ins Krankenhaus. Aber ich bin darauf angewiesen, sie ist lebensnotwendig für mich. Im Krankenhaus fühle ich mich aber sehr sicher und gut aufgehoben. Die Ärzte setzen alles daran, dass wir Dialysepatienten keiner Gefahr ausgesetzt sind. Die Menschen wissen dort, um was es geht. Jeder wird streng kontrolliert, bevor er in den Dialyse-Raum darf – sowohl Patienten, als auch Ärzte. Das gibt ein gutes Gefühl der Sicherheit.

Insgesamt sehe ich die ganze Sache aber nicht so negativ. Es hat ja sowieso keinen Sinn, in Panik zu verfallen oder ständig Angst zu haben. Wenn es das Schicksal will, dann kann es sein, dass man sich ansteckt oder vielleicht auch stirbt. Aber ich tu alles dafür, dass es nicht so weit kommt. Ich bleibe zu Hause, meine Frau geht für uns einkaufen und wir halten die Hygieneregeln strikt ein. Die Quarantäne ist für mich auch eine Chance mich konzentriert, ohne Ablenkung künstlerisch zu beschäftigen. Alles hat auch seine positiven Aspekte.

Linda Zeni (Diabetikerin, 27)

Seit ich acht Jahre alt bin, leide ich an Diabetes Typ 1, auch Jugenddiabetes genannt. Das heißt, meine Bauchspeicheldrüse kann gar kein Insulin produzieren, es muss also durch Spritzen hinzugeführt werden. Es handelt sich im Grund um eine Autoimmunerkrankung.

In Südtirol gibt es rund 2.000 Personen (ca. 200 davon sind Kinder), die mit Diabetes Typ 1 leben. Wir sind nicht anfälliger und erkranken auch nicht schneller an Coronavirus oder anderen Krankheiten. Das Problem ist aber, wenn wir erkranken, kann es bei Diabetikern schneller zu Komplikationen kommen. Und die Genesung dauert länger. Trotzdem müssen wir auf uns Acht geben und besonders vorsichtig sein. So wie alle anderen auch, befolge ich als Diabetikerin, so gut wie möglich alle Hygieneregeln, die uns vorgeschrieben wurden.

Ich gehe so gut wie gar nicht aus dem Haus, ich kann von daheim aus arbeiten, und wenn ich dann doch einmal rausgehen muss, dann nur mit Handschuhe und Atemschutzmaske. Den Einkauf erledigt für mich meine Familie. Ich kontrolliere öfters und genauer meine Blutzuckerwerte, da sich mein Tagesrhythmus aufgrund der mangelnden Bewegung (Sport, Wanderungen usw.) verändert hat. Diese Änderung hat einen Einfluss auf den Insulinbedarf, der dadurch angepasst werden muss. Trotzdem versuche ich im Haus so gut wie möglich Sport zu machen und mich gesund zu ernähren. Das ist auch wichtig für mein Immunsystem.

Ich habe schon öfters darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn es mich treffen würde. Natürlich macht man sich Sorgen, wenn man hört, wie viele Menschen bereits gestorben sind, ich verdränge es aber nicht, man muss sich schon mit der Gefahr konfrontieren. Es hat keinen Sinn einfach nur zu sagen, das ist eine normale Grippe, was soll denn schon dabei sein. Ich finde es wichtig, dass man sich nicht nur mit sich selbst beschäftigt, sondern auch auf das Umfeld achtet.

Jan Gasperi & sein Sohn Julian (Herzfehler, 15)

In unserer Familie leben drei Menschen, die zur Corona-Risikogruppe gehören. Mein Vater ist Krebspatient, die Oma ist rund 90 Jahre alt und mein Sohn ist mit einem schweren Herzfehler zur Welt gekommen. Das heißt: Er hat keine rechte Herzkammer, die eigentlich das sauerstoffarme Blut in die Lunge pumpt. Das übernimmt jetzt ein künstlich geschaffener Lungenkreislauf. Deshalb ist er auch nicht so leistungsfähig, er hat auch ein schwaches Immunsystem. Man könnte es auch so formulieren: Ein gesundes Kind hat 100 PS Motorleistung, unser Sohn zwischen 50 und 60 PS. Deshalb besteht auch ein erhöhtes Ansteckungsrisiko für Kinder mit einem Herzfehler. Für sie könnte das Coronavirus lebensgefährlich werden. Um das Risiko so gering wie möglich zu halten, haben wir uns dazu entschieden, dass er nicht mehr das Haus verlassen darf. Er kann zwar im Garten mit seinem Bruder spielen, mehr aber auch nicht. Besuche bei anderen Nachbarskindern sind tabu. Er hat dafür aber vollstes Verständnis, weil er weiß, was auf dem Spiel steht.

Ansonsten halten wir uns ganz strikt an die Hygieneregeln, nur ich oder meine Frau gehen einkaufen, und auch die Schuhe ziehen wir immer vor der Wohnungstür aus. Wenn ich etwa einkaufen gehe, dann versuche ich wirklich nur das zu kaufen, was auf dem Einkaufszettel steht, ich greife nicht unnötig Lebensmittel an. Man beginnt auch Dinge zu hinterfragen: Muss ich jetzt wirklich wegen einem Liter Milch zum Supermarkt fahren? Muss ich jetzt unbedingt zur Bank? Denn jeder Außenkontakt stellt ein Risiko dar. Zu Hause haben wir auch ganz klare Regeln. In der Zeit, wo man auf engstem Raum zusammenlebt, und so gut wie gar nicht die Wohnung verlässt, müssen wir diszipliniert miteinander umgehen. Jeder geht in einen anderen Raum. Die Räume werden klar aufgeteilt. Auch das Handy, die Brieftasche und die Hausschlüssel werden regelmäßig desinfiziert.

Nichtsdestotrotz lassen wir uns nicht wahnsinnig machen. Man muss die Situation so annehmen, wie sie ist. Ich erwarte aber auch von meinen Mitmenschen, dass jeder ein bisschen für die Gemeinschaft denkt. Es gibt nach wie vor Menschen, die glauben, unverbesserlich zu sein.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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