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„Sonst gibt es ein böses Erwachen“

Axel Bauer (Foto: Uni Ibk/Lechner)

Angesichts der Infektionsfälle mit dem neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2/Covid-19) herrscht bei Menschen mit Herz- und Kreislauferkrankungen derzeit besondere Verunsicherung über Risiken und zu ergreifende Maßnahmen. Axel Bauer, Direktor der Innsbrucker Univ.-Klinik für Innere Medizin III (Kardiologie und Angiologie) beantwortet dazu die wichtigsten Fragen.

TAGESZEITUNG Online: Was ist grundsätzlich unter einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu verstehen?

Axel Bauer: Darunter versteht man die Gesamtheit aller Erkrankungen, die das Herz, die Gefäße oder deren Regulation betreffen. Die häufigsten Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind Bluthochdruck, koronare Herzerkrankungen, Herzschwäche, Herzklappenerkrankungen sowie Herzrhythmusstörungen wie z.B. Vorhofflimmern.

Warum haben Personen mit Vorerkrankungen des Herzens im Vergleich zu PatientInnen mit anderen Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf einer Infektion mit dem neuen Coronavirus CoV-2?

Das hat verschiedene Gründe. Zum einen haben PatientInnen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingeschränkte Reserven und können die zusätzliche Belastung einer Infektionserkrankung schlechter kompensieren. Zum anderen kann die Immunabwehr bei PatientInnen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen geschwächt sein. Des Weiteren kann das Virus neben der Lunge auch das Herz im Sinne einer akuten Herzmuskelschädigung direkt angreifen. In Wuhan war das bei fünf der 41 ersten PatientInnen mit COVID-19 der Fall. Diesen zusätzlichen Angriff stecken PatientInnen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen schlechter weg. Zuletzt könnte es jedoch auch spezifische Mechanismen geben, die bislang nicht verstanden sind. Insbesondere die Häufung von Bluthochdruck und schweren Verläufen von COVID-19 scheint mir auffällig.

Wie reagieren Herz-Kreislauf-PatientInnen und Patienten auf die Erkrankung?

Zunächst einmal genauso wie PatientInnen ohne Herz-Kreislauf-Erkrankungen, d.h. mit Unwohlsein, Fieber, trockenem Husten, Kopfschmerzen. Allerdings kommt es, wie Arbeiten aus China zeigen, bei PatientInnen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen häufiger zu schwereren Verläufen. Das gilt im Übrigen auch für ältere PatientInnen ab etwa 60 Jahren. Das Tückische an der Erkrankung ist, dass sich die schweren Verläufe oft erst nach einigen Tagen demaskieren.

Wer von der Gruppe der „Herz-Kreislauf-PatientInnen“ ist besonders gefährdet?

Bisherige Untersuchungen zeigen: Je schwerer die Grunderkrankung, desto gefährdeter der Patient/die Patientin. Ich denke hier insbesondere an PatientInnen mit fortgeschrittener Herzschwäche und mit akuten Herzerkrankungen wie Herzinfarkten. Wir dürfen aber auch die Gruppe der immunsupprimierten, herztransplantierten PatientInnen nicht vergessen.

Warum verlaufen Infektionen mit SARS-CoV-2 so unterschiedlich?

Das bleibt vorerst ungelöst. Möglicherweise spielt die individuelle Immun-Antwort, wie der Organismus auf das Virus reagiert, eine entscheidende Rolle. Möglicherweise gibt es auch eine genetische Prädisposition.

Dürfen im Falle einer Infektion die verordneten Medikamente weiter genommen werden?

Das lässt sich nicht pauschal beantworten und ist sehr vom Zustand des Patienten/der Patientin abhängig. Im Falle einer Infektion sollte die Medikation mit dem behandelnden Arzt/der behandelnden Ärztin besprochen werden. Ein selbstständiges, unkontrolliertes Absetzen von Herzkreislaufmedikamenten, beispielsweise bei Herzschwäche, kann schwere Folgen haben.

Erhöhen Blutdrucksenker das Risiko für einen ungünstigen Verlauf der Erkrankung durch SARS-CoV-2?

Das wird aktuell kontrovers diskutiert. Hier angesprochen sind die sogenannten ACE-Hemmer bzw. Renin-Angiotensin-Rezeptorblocker – zwei weit verbreitete und bewährte Substanzklassen. Nun ist es so, dass SARS-CoV2 über bestimmte Rezeptoren, die sogenannten ACE2-Rezeptoren, in die Zellen gelangt, welche durch ACE-Hemmer und Renin-Angiotensin-Rezeptor-Blocker hochreguliert werden, d.h. diese Rezeptoren kommen dann auf der Zelloberfläche vermehrt vor. Hierdurch könnte die Ausbreitung des Virus im Körper begünstigt werden. Auf der anderen Seite haben diese Medikamente viele günstige Wirkungen – wir haben sie den PatientInnen ja schließlich aus gutem Grund verschrieben. Die Fachgesellschaften empfehlen den PatientInnen, die Substanzen weiter einzunehmen und in keinem Fall selbstständig abzusetzen. Allerdings besteht nach wie vor eine große Unsicherheit in der Bevölkerung. Um das optimale Vorgehen bei der Einnahme dieser Blutdrucksenker zu klären, haben wir daher in Innsbruck, zusammen mit der Ludwig-Maximilians-Universität München, eine multizentrische, kontrollierte, klinische Studie geplant, die wir hoffentlich bald starten können. Die Studie wird an vielen Zentren in Tirol und Bayern durchgeführt werden. 

Sollen PatientInnen zur Behandlung bzw. Kontrolle überhaupt an die Klinik kommen?

Das halte ich für eine sehr wichtige Frage! Wir müssen auch in den schwierigen Zeiten einer Pandemie wie COVID-19 darauf achten, dass unsere PatientInnen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine leitliniengerechte Therapie erhalten. Sonst kann es ein böses Erwachen geben. Manche Untersuchungen lassen sich für begrenzte Zeit ohne Nachteil aufschieben, andere jedoch nicht. Das muss individuell entschieden werden. HerzpatientInnen mit Symptomen wie Angina pectoris oder Luftnot müssen abgeklärt und therapiert werden, sonst entstehen durch COVID-19 große Kollateralschäden.

Gelten zum Schutz vor einer Ansteckung besondere Vorkehrungen für PatientInnen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen?

PatientInnen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählen zur Risikogruppe, d.h. bei diesen PatientInnen sind die allgemein empfohlenen Maßnahmen zur Infektionsprophylaxe wie Händedesinfektion, Abstandhalten oder Gesichtsmasken besonders wichtig. Schicken Sie Ihre Enkel zum Einkauf und bleiben Sie zu Hause. Generell gilt: Erhöhte Vorsicht, aber keine Panik!

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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