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So funktioniert Integration

Kopftuchverbot, Sprachkurse für Kinder, keine Landesgelder für Integrationsunwillige: Landesrat Philipp Achammer präsentiert im großen TAGESZEITUNG-Interview sein Integrationsmodell.

Tageszeitung: Herr Landesrat, im Regierungsprogramm steht, dass die Integration von neuen MitbürgerInnen „ganz oben auf der Agenda“ der Südtiroler Landesregierung stehe. Was verstehen Sie unter Integration?

Philipp Achammer: Integration bedeutet, Teil einer Gesellschaft werden zu können. Damit Integration funktionieren kann, müssen einige Voraussetzungen gegeben sein: Es muss eine der Landessprachen gesprochen und all das, was unser Rechtsstaat vorschreibt, respektiert und geachtet werden. Einwanderer müssen die lokalen Gegebenheiten zwar nicht annehmen, sie müssen sie aber respektieren. Wer Teil einer Gesellschaft werden will, muss diese Voraussetzungen erfüllen können. Nur so kann Integration funktionieren.

Kann Integration mit Assimilation gleichgesetzt werden?

Nein, Assimilation ist ganz etwas anderes. Assimilation heißt, dass man all das übernehmen muss, was die „Aufnahmegesellschaft“ mit sich bringt. Das ist nicht Integration. Integration heißt vielmehr: Ich muss mich an das halten, was die Gesellschaft als Regeln voraussetzt und die Verfassung sowie den Rechtsstaat achten. Ich kann beispielsweise nicht Teil einer Gesellschaft werden, wenn ich nicht eine der Sprachen des Landes sprechen kann.

Ein Einwanderer aus Bangladesch muss nicht in Lederhose herumlaufen und sich in die katholische Kirche einschreiben, um ein „echter“ Südtiroler zu werden?

Das verlangt niemand von den Einwanderern! Jeder würde nur darüber schmunzeln, wenn ich sagen würde: Richtig integriert ist jemand, der an der Prozession teilnimmt, Lederhosen trägt und regelmäßig die Messe besucht. Das ist nicht die Erwartungshaltung an Integration. Wer aus Bangladesch kommt, hat natürlich das Recht, seine Religion zu leben. Er muss dies aber im Rahmen der Verfassung und des Rechtsstaats tun, jede Form von Extremismus hat hier nichts zu suchen.

Gibt es Regionen in Europa, wo Integration gut funktioniert? Anders gefragt: Schwebt Ihnen ein Modell von Integration vor, dass auch Südtirol übernehmen sollte?

Ich halte wenig davon, von der perfekten Integration eines Gebietes zu sprechen. Ich sehe es eher so, dass man von den Fehlern, die gemacht wurden, lernen soll. Es gibt überall besser funktionierende und weniger funktionierende Fälle. Statt ein bestimmtes Modell zu übernehmen, sollte man aus den Fehlern lernen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen.

Was sind das für Fehler?

Ich hatte vor einiger Zeit ein Gespräch mit dem ehemaligen Integrationsbeauftragten von Bayern, der sagte: Wenn Fälle eintreten, wo die zweite oder dritte Generation – also eine im Land geborene Generation – kein Einsehen hat, dass sie die Landessprache sprechen soll, dann ist etwas falsch gelaufen. Dann können wir wirklich von Parallelwelten und Parallelgesellschaften sprechen, die wir nicht akzeptieren können.

Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz, der selbst Integrationsstaatssekretär war, will ein Kopftuch-Verbot für Mädchen unter 14 Jahren verhängen. Was halten Sie von solchen Maßnahmen?

Ich werde mich sicherlich nicht in die innenpolitische Diskussion in Österreich einmischen. Was ich gut und richtig finde, ist der Ansatz, alle Tendenzen, die sich aus dem Rechtsstaat hinausbewegen könnten, zu bekämpfen. Die österreichische Regierung bezieht sich klar gegen einen politischen Islam. Wenn es nicht mehr nur mit der freien Religionsausübung zu tun hat, sondern in eine ideologische Richtung geht, die bedenklich werden könnte, wo Grundfreiheiten, die die Verfassung des Staats gewährleisten muss, eingeschränkt werden, ist es richtig, eine klare Linie zu ziehen.

Also sollte man auch in Südtirol über ein Kopftuch-Verbot nachdenken?

In Südtirol kann man deshalb nicht darüber diskutieren, weil es keine Kompetenz des Landes, sondern eine Staatskompetenz ist. Das muss ganz klar sein.

Das Konzept der Landesregierung „Integration durch Leistung“ sieht vor, dass Einwanderer eine der Landessprachen erlernen müssen. Viele Südtiroler der deutschen oder italienischen Sprachgruppe beherrschen die andere Landessprache nicht oder nur unzureichend. Verlangen Sie von den Migranten mehr als von den „Einheimischen“?

Nein, und zwar deswegen nicht, weil es im Beschluss heißt: Sie müssen eine der Landessprachen erlernen. Wir schreiben ja nicht vor, dass man zwei oder mehr Landessprachen gut sprechen muss, sondern mindestens eine der Landessprachen. Wie soll ich mit der Gesellschaft in Südtirol in Kontakt treten können, wenn ich nicht zumindest eine der Landessprachen spreche? Wir verlangen, dass eine der Landessprachen – sei es durch Vater wie Mutter – gesprochen werden muss. Das ist ganz wesentlich. Es ist vielleicht eher möglich, dass der Vater eine Landessprache beherrscht, weil er in die Arbeitswelt integriert ist. Doch wir dürfen gleichzeitig nicht die Augen davor verschließen, dass es Realitäten gibt, wo Frauen aus bestimmten Kulturkreisen keine Möglichkeit haben, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Diese Frauen kommen nicht in die Gesellschaft hinein, weil sie aus ihrem Kulturkreis nicht „herauskommen“ können, dürfen oder wollen. Indem wir Vätern und Müttern vorschreiben, eine Landessprache zu erlernen, erhöhen wir die Chancen, auch zu diesen Frauen hinzukommen.

Wenn nicht beide Elternteile die Sprache erlernen, werden Sozialleistungen gestrichen?

Richtig. Wir werden von einer nicht sehr kleinen Zielgruppe. Daher hat die Ausarbeitung unseres Beschlusses auch etwas länger gedauert. Derzeit gibt es etwa 4.500 bis 5.000 Ansuchen von Nicht-EU-Bürgern um das Landesfamiliengeld. Verdoppelt auf diejenigen, die die Voraussetzungen erfüllen müssen, sind es 9.000 bis 10.000 Personen. Das sind nicht wenige. Wir starten nun eine Informationskampagne in verschiedenen Sprachen, die stark über die Schulen und Kindergärten läuft, weil das oft die einzige Möglichkeit ist, um die Eltern zu erreichen. Freilich wollen wir auch die vorgeschriebenen Sprach- und Integrationskurse stark potenzieren.

Eltern, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken, sollen sanktioniert werden, indem man ihnen Sozialleistungen kürzt. Die Grüne Brigitte Foppa spricht von einer „Scheindebatte“, weil es in Südtirol nur sehr wenige Fälle gibt, in denen Kindern die Schulpflicht verweigert wird. Hat sie Unrecht?

Das sehe ich absolut nicht so. Die Schulführungskräfte bestätigen, dass die unentschuldigte Abwesenheit von Einwandererkindern für sogenannte „Kulturreisen“ eines der größten Probleme ist. Wenn man merkt, dass die entsprechenden Meldungen bei der Jugendgerichtsbarkeit sehr häufig ohne Konsequenz bleiben, werden sie gar nicht mehr gemacht oder von den Betroffenen einfach ignoriert. Jetzt weiß man: Diese Meldungen haben eine Folge, weil die Auszahlung der Zuwendungen an die Familien abhanden kommt.

Die Landesregierung hat einen Forderungskatalog aufgestellt, den Einwanderer abarbeiten müssen, um Sozialleistungen in Anspruch nehmen zu können. Kann Integration ohne dieses Fordern nicht funktionieren?

Ich bin fest vom Prinzip des „Fördern und Forderns“ überzeugt. Integration kann nur dann funktionieren, wenn man ganz deutlich einfordert und Regeln festlegt. Wenn man alles dem Zufall überlässt und nicht darauf achtet, dass die Maßnahmen auch umgesetzt werden, ist das sehr realitätsfern. Man kann nicht nur die positiven Fälle, die es auch gibt, hervorheben und sich damit zufrieden geben, sondern muss auch die negativen Fälle offen ansprechen. Integration heißt, zu jedem und jeder hinzukommen.

Die Süd-Tiroler Freiheit verweist auf je drei deutschsprachige Kindergärten und Schulen, an denen es mittlerweile mehr Ausländer als Einheimische gibt, und sie wirft Ihnen vor, dieses Problem nicht ernst zu nehmen. Ist der Vorwurf berechtigt?

Die Stellungnahme der STF ist keine neue. In diesem Bereich gibt es nicht die eine Maßnahme, die das „Problem“ löst, das muss jedem klar sein. Wir haben aber verschiedene Maßnahmen auf den Weg gebracht, die sehr wohl wirksam sind: Beispielsweise werden Kindergartengruppen vor allem in Bozen bei einer Größe von 22 Kindern belassen und nicht vergrößert. Wir haben den Kindergärten und Schulen mit einer höheren Quote an Zuwandererkindern mehr Personal zugewiesen. Dass man jetzt sagt, wir hätten nichts getan und absurde Forderungen aufstellt, ist unverständlich. Zum Beispiel verlangt die STF, für Ausländerkinder ab 3 Jahren einen Sprachtest einzuführen – und wer diesen nicht besteht, muss in eine Sondergruppe hinein. Das ist absurd! Nicht nur bei Ausländerkindern, sondern auch bei einheimischen Kindern kann die Sprachentwicklung bei einem Alter von 3 Jahren noch nicht so sein, wie sie gewünscht wird. Was passiert dann? Dann kommen die 20 Pakistani-Kinder in eine Gruppe, wo sie unter sich sind. Ja glauben Sie, dass sie dann Deutsch lernen? Sicher nicht. Diese Kinder werden sich schwer tun, Deutsch zu lernen, weil sie mit niemandem in eine Konversation kommen können. Das österreichische Modell sieht „Deutsch vor dem Schuleintritt“ vor. Wir machen nicht viel anders, obwohl wir uns an die staatlichen Bedingungen zu halten haben und keine Sonderklassen bilden dürfen. Wenn Kinder dem Unterricht nicht folgen können, werden sie herausgenommen, um mit ihnen intensiv die Sprache zu lernen, und dann wieder in die Ursprungsklasse zurückgeführt.

Die Lehrer fühlen sich nicht von der Politik alleine gelassen?

Die Rückmeldungen der Schulen beweisen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die Lehrer sagen sehr wohl, dass es eine herausfordernde Situation ist. Ich habe vor jeder Lehrperson Respekt, die in solchen Situationen arbeitet. Doch es gibt nicht die Lösung nach dem Prinzip: Aus den Augen, aus dem Sinn. Ich nehme es aus der Klasse heraus oder schiebe es zum Nachbar, dann gibt es das Problem nicht mehr. So einfach geht es nicht. Das heißt aber nicht, dass wir die Probleme verheimlichen. Sehr oft mischen sich sprachlich-kulturelle mit sozial prekären Situationen. Dann wird es erst recht schwierig. Wir versuchen, den Schulen unter die Arme zu greifen und werden in den kommenden Jahren noch mehr tun müssen, wissend, dass sehr viel Verantwortung auf ihren Schultern lastet.

Versuchen Parteien wie die STF, aus diesen real existierenden Problemen Kleingeld zu schlagen?

So würde ich es zwar nicht ausdrücken. Ich will in erster Linie daran appellieren, umsetzbare Lösungen zu präsentieren, statt zu sagen: „Schiebt sie aus den Klassen raus, verteilt sie besser.“ Ausgerechnet diejenigen, die die Verteilung fordern, sagen: „Aber bitte schickt die Nachbarskinder nicht zu mir in die Schule, weil dort dann der Ausländeranteil höher wird.“ Solche Vorschläge, wie sie die STF bringt, sind nur sehr begrenzt umsetzbar.

Interview: Matthias Kofler

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (19)

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  • asterix

    Da kommt eine gänzlich andere Kultur ins Land. Die werden sich auch in 5 Generationen nicht integrieren. Solange die Frauen 3 Meter hinter den Männern gehen müssen, keinerlei Rechte haben und eingesperrt werden kann man von Integration nicht reden. Man kann nur sagen dass der Kurs notgedrungen (wegen dem Geld) abgesessen wurde.

  • tiroler

    Komisch dass keiner der linken und grünen spinner einen kommentar abgibt

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