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„Gefahr wurde unterschätzt“

Die Lawine in Schnals, Hermann Brugger (Foto: FB/Sandy Gurschler)

Laut dem Notfallmediziner und Lawinenexperten Hermann Brugger hat es bei der Lawinentragödie in Schnals eine Fehleinschätzung gegeben. Warum es auch auf präparierten Pisten nie eine hundertprozentige Sicherheit geben kann.

TAGESZEITUNG Online: Herr Dr. Brugger, viele Skifahrer sind immer davon ausgegangen , dass sie – wenn sie auf einer präparierten Piste unterwegs sind – keiner Lawinengefahr ausgesetzt sind. Die Tragödie auf der Teufelsegg-Piste in Schnals, bei der am Samstag eine 35-jährige Frau und zwei siebenjährige Mädchen ihr Leben verloren haben, belehrt uns jetzt alle eines Besseren?

Hermann Brugger: Ja, es ist tatsächlich so! Wenn man sich in alpines Gelände begibt, gibt es keine hundertprozentige Sicherheit. Und Pistenlawinen sind gar nicht so extrem selten …

Sie sprechen das Unglück von vor wenigen Tag in Andermatt in der Schweiz an, wo eine Lawine sechs Skifahrer auf einer neu eröffneten Piste verschüttet hat?

Ja, dabei sind die Schweizer noch viel genauer mit den Lawinensprengungen, auch weil dort die Sprengungen leichter durchzuführen sind. In den Schweizer Skigebieten gibt es eigene Sprengbahnen. Das sind Seilbahnen, die mit Sprengsätzen bestückt sind, die dann aus der Ferne gezündet werden können, um die Hänge zu entlasten. Es gibt auch noch die sogenannte Gasex-Methode, dabei handelt es sich um eine Lawinenauslösung durch eine Gasgemischzündung durch ein Rohr, das nach unten gerichtet ist.

Die acht Kilometer lange Talabfahrt am Schnalstaler Gletscher gilt als mittelschwere, stets gut präparierte und gesicherte Abfahrt, die auch mit Kindern zu schaffen ist …

Ich kenne den Hang nicht so gut. Aber es ist tragisch, es ist ein Wahnsinn, wenn ein Urlaubsgast, der zu uns kommt und sich auf einer Skipiste in Sicherheit wähnt, unter einer Lawine stirbt. Denn auf der Piste bewegt er sich ja in einem gesicherten Skiraum. Aber das Unglück zeigt: Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit …

Auch auf der Piste nicht?

Nein, auch auf der Piste, auch im gesicherten Skiraum nicht! Man nähert sich zwar immer mehr der hundertprozentigen Sicherheit, aber die hundertprozentige Garantie wird man nie haben. Wir sind nun einmal der Schwerkraft ausgesetzt, entweder fallen wir selbst irgendwo hinunter, oder es fällt etwas auf uns herunter, das hat man auch bei den Murenabgängen gesehen. Das hängt eben auch mit der Steilheit des Geländes in Südtirol zusammen.

Andermatt, Schnals: Unterschätzen die Betreiber der Skigebiete die Gefahr?

Die Gefahren wurden unterschätzt, sonst wären die Unglücke in Andermatt und in Schnals nicht passiert. Die Pisten wurden als sicher eingeschätzt. Im Fall Schnals dürfte der Wind die entscheidende Rolle gespielt haben. Es hat große Schneemengen gegeben, aber das ist in Schnals nicht so außergewöhnlich. Was überraschend dazukam, war der starke Sturm, und zwar der starke Nordföhn mit einer hohen Intensität. Dieser Wind hat die Situation verschärft …

Inwiefern?

Der starke Nordföhn kann die Situation von einem Tag auf den anderen verschärfen und umkrempeln. Die Lawinenwarnstufe 3 war sicher okay für den breiten Durchschnitt der Skigebiete, aber eine Lawinenwarnstufe gibt nie einen Einblick in die einzelnen Spots, beispielsweise in Gebiete, die extrem dem Wind ausgesetzt sein können. Dort haben wir dann Schneisen, wo sich die Windgeschwindigkeit wie in einer Öse erhöht. Die Lawinenwarnstufe drückt nicht die lokalen oder zonalen Gegebenheiten und Besonderheiten aus. Ich will damit keine Schuldzuweisung machen, das obliegt anderen Institutionen.

Es hat aber in Schnals offenbar eine Fehleinschätzung der Lage gegeben?

Ja, wenn die Lage richtig eingeschätzt worden wäre, dann wäre die Tragödie nicht passiert. Aber es ist brutal schwierig! Noch einmal: Auf einer Piste, die im steilen Gelände liegt, gibt es nie 100 Prozent Sicherheit. Wer die hundertprozentige Sicherheit will, der muss auf den Kronplatz gehen, wo es keinen übergeordneten Berg gibt.

Welche sind denn die lawinengefährdeten Pisten oder Skigebiete in Südtirol?

Eigentlich alle Skipisten, die am Hauptalpenkamm liegen, etwa jene im Ahrntal.

Resümierend: Der Wind hat in Schnals die entscheidende Rolle gespielt?

Ja, der Wind hat die entscheidende Rolle gespielt. Bis dieser Wind kam, hatten wir in Südtirol superideale Verhältnisse. Viel Schnee ist immer ein gutes Zeichen, schneereiche Winter sind erfahrungsgemäß nicht lawinenreiche Winter. Wenn aber zu dem vielen Schnee der Wind hinzukommt, dann wird es gefährlich, wegen der meterhohen Schneeansammlungen in den Mulden.

Wie gut ausgebildet oder fachlich kompetent sind die Personen, die in Skigebieten vor Ort entscheiden, ob eine Piste gesperrt wird oder nicht?

Das weiß ich nicht, ich weiß nicht, welche Schulung diese Leute haben.

Diese Menschen tragen aber eine Riesenverantwortung?

Ja, das ist gewaltig und extrem schwierig.

Würden Sie sich über so etwas hinaussehen?

Nein, das würde ich mich nicht getrauen. Sogar für Bergführer, die täglich im Gelände unterwegs sind, ist es extrem schwierig, einzelne Hänge zu beurteilen.

Kann man die Teufelsegg-Piste künftig noch sorglos abfahren?

Ich nehme an, dass die Sicherheit durch dieses Unglück noch weiter verschärft wird , so dass wir uns einer hundertprozentigen Sicherheit nähern werden. Aber die hundertprozentige Sicherheit in Ausnahmesituationen wird es nie geben.

Interview: Artur Oberhofer

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