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Kuscheln mit Fremden

Foto: Original Play

Wildfremde Männer und Frauen rangeln, raufen und kuscheln mit Kindern. Das pädagogische Spiel „Original Play“ sorgt derzeit für Furore. Was dahinter steckt.

von Eva Maria Gapp

Die Bilder sind irritierend: Männer, die sich mit Kindern wälzen und auf Matten rollen, die raufen und kuscheln, die die Kinder zwischen ihre Beine nehmen, sie umarmen und ihnen so nah kommen, wie es eigentlich nur Eltern oder engste Freunde tun sollten. Doch es sind völlig fremde Erwachsene. „Original Play“ nennt sich das Spiel, das der 76-jährige US-Amerikaner Fred Donaldson erfunden hat – und derzeit für erhebliche Furore sorgt. Zahlreiche Fachleute aus Österreich und Deutschland melden sich zu Wort und warnen vor dem pädagogischen Konzept. So sagt etwa die deutsche TraumaTherapeutin Michaela Huber: „Für mich ist das eine Einladung zur Übergriffigkeit an Kindern… Das, was da propagiert wird, ist meines Erachtens sehr, sehr nahe dran an Pädophilie.“

Auch hier in Südtirol wurde und wird „Original Play“ angeboten. Sabine Cagol, Psychologin und Leiterin der Fachambulanz für psychosoziale Gesundheit im Kindes- und Jugendalter Bruneck, hat sich das Konzept „Original Play“ näher angesehen. Sie kommt zum Schluss: „Dieser enge körperliche Kontakt zwischen fremden Erwachsenen und Kindern birgt die Gefahr, dass es zu Übergriffen kommt.“ Doch was ist genau passiert? „Original Play“ ist eigentlich ein pädagogisches Konzept, das Kindern helfen soll, durch körperliche Nähe den richtigen Umgang miteinander zu lernen. Laut den Organisatoren soll es helfen, Aggressionen und Ängste abzubauen. Dabei toben und raufen Kinder mit fremden Erwachsenen, es kommt zu engem Körperkontakt. Laut den Organisatoren ein harmloses Spiel, doch wie vor kurzem bekannt wurde, soll es in Kindertagesstätten in Berlin und Hamburg zu sexuellen Übergriffen gekommen sein. Eltern berichteten, dass ihre Kinder im Zusammenhang mit „Original Play“ sexuelle Gewalt erlebt hätten.Das zeigen Recherchen von Journalisten des ARD-Politikmagazins „Kontraste“ und der ORF Sendung „ZIB2“.

Daraufhin meldeten sich mehrere Experten zu Wort, nicht nur Behördenvertreter, auch Psychiater, Psychologen und Therapeuten, die das Konzept „Original Play“ scharf kritisierten – auch unabhängig vom Missbrauchsverdacht. Sie warnen davor, die Methode „Original Play“ zu praktizieren, da es zu Grenzüberschreitungen im Umgang mit Nähe und Distanz kommen könnte. Berlin und Brandenburg haben nun das umstrittene Spiel verboten, aber auch in Niederösterreich darf der Verein ab sofort nicht mehr engagiert werden. Und selbst die evangelische Kirche in Deutschland lehnt den Einsatz der Spielmethode ab.

Die Psychologin Sabine Cagol, die schon seit vielen Jahren mit Kindern arbeitet, sieht „Original Play“ ähnlich kritisch: „Ich finde die Botschaft, die „Original Play“ vermittelt, sehr problematisch. Wenn Kindern vermittelt wird, dass fremde Erwachsene schnell mit Kindern in ein körpernahes Spiel kommen wollen, wird signalisiert, dass es okay oder sogar wünschenswert ist, mit Fremden sehr intim zu werden.“ Das könnte negative Folgen haben: „Überspitzt gesagt, könnte dann ein Kind auch denken, dass es in Ordnung ist, in das Auto eines Fremden zu steigen“, so Cagol. Es werde also eine falsche Nähe zu fremden Erwachsenen vermittelt. Zugleich stellt sie sich die Frage: „Kann man davon ausgehen, dass alle teilnehmenden Kinder schon mit Körperkontakt umgehen, sowie Nähe und Distanz regulieren können, wie sie es möchten? Oder lernen sie eher weniger gesunde Grenzen zu setzen?“, so Cagol.

Weiters kritisiert sie, dass die Methode von „Original Play“ in keiner Weise wissenschaftlich belegt sei. „Für die Wirksamkeit von Original Play sind mir keine wissenschaftlich basierten Arbeiten bekannt, ebenso scheinen überprüfbare Standards zu fehlen“, betont sie. Es könne also auch nicht gesagt werden, dass mit diesem Spiel Aggressionen und Ängste von Kindern verbessert oder vorgebeugt werden könnten. „Es gibt keine Studie, die diese Aussage belegen würde“, betont Cagol. Zudem gebe es auch keine wissenschaftlichen Belege, die eine positive Wirkung des körperlichen Kontakts zwischen Fremden und Kindern belegen: „Es bräuchte diesen engen Körperkontakt mit fremden Erwachsenen eigentlich nicht. Kinder können auch auf andere Weise, wie zum Beispiel im Turnunterricht Grenzen austesten oder lernen mit Nähe und Distanz umzugehen“, sagt sie.

Auch die vielen angeblichen Vorteile von „Original Play“, die auf der Internetseite aufgelistet sind, seien nicht durch wissenschaftliche Untersuchungen gedeckt. So steht auf der Homepage zum Beispiel, „Original Play“ „wandelt tief verwurzelte negative Gewohnheiten und Verhaltensmuster in neue Gewohnheiten um, die auf Gefühlen wie Liebe, Zugehörigkeit und Sicherheit beruhen“ oder „schafft einen sicheren Raum für die Transformation von körperlicher oder verbaler Aggression“. Es wird aber nicht erklärt, wie genau diese Ziele erreicht werden sollen. Und selbst der Erfinder von „Original Play“ Fred Donaldson hat keinen pädagogischen oder psychologischen Hintergrund. Er hat eigentlich Geographie studiert, und nie als Professor gearbeitet. Trotzdem behauptet er immer wieder ehemaliger Universitätsprofessor zu sein. Er spielt laut eigener Aussage seit 1970 „mit unzähligen Menschen jeden Alters und freilebenden Tieren wie Wölfen, Bären und Delfinen“.

Problematisch ist laut Cagol aber auch, dass es bei „Original Play“ keine klaren Regeln geben würde: „Es kann sich jeder für einen Workshop anmelden, es wird nicht nach einem Führungszeugnis oder dergleichen gefragt, und wenn man diesen absolviert hat, wird man schon auf die Kinder losgelassen. In jedem anderen Bereich, wie zum Beispiel in der körperorientierten Bewegungstherapie, muss man eine mehrjährige Ausbildung absolviert haben, um diese überhaupt durchführen zu können. In allen Bereichen, in denen mit Minderjährigen gearbeitet wird, sollte man genau hinschauen. Ein Führungszeugnis wird meines Wissens sogar bei Skilehrern verlangt. Es braucht klare Bestimmungen und ein wissenschaftliches Fundament, das die Wirksamkeit der Verfahren garantiert. Das sehe ich bei „Original Play“ aber nicht“, betont sie. Es gebe also keine Sicherheit, dass auch die Qualität dieser Methode gewährleistet sei. Deshalb wäre es laut Cagol wichtig, für solche Angebote eine externe Kontrollstelle zu installieren, welche die Verfahren, sowie die Standards in der Ausbildung überprüft. „Wichtig wäre, dass es außerdem einheitliche und überprüfbare Schutzkonzepte für alle gibt, die mit Minderjährigen arbeiten“, so Cagol.

Um „Original Play“ spielen zu können – so steht es auf der Internetseite – sind in der Regel zweitägige Workshops mit dem Erfinder notwendig, für die sich jedermann anmelden kann. Kosten pro Teilnehmer: 200 bis 250 Euro. Nach den Workshops werden von seinen sogenannten „Lehrlingen“ die Mattenspiele in Kindereinrichtungen organisiert. Die „Lehrlinge“ wurden vorher von Donaldson ausgebildet und ermächtigt. Dabei läuft dies weltweit so. Die Stiftung „Original Play“ agiert in mehreren Ländern der Welt, unter anderem in Deutschland, Österreich, aber auch USA und Südafrika. Da sich aber jedermann anmelden kann und es keine wirkliche Kontrollinstanz gibt, kritisieren Experten, dass „Original Play“ so pädophilen Menschen Tür und Tor eröffnen würde, um mit Kindern in Kontakt zu kommen.

Auch Cagol sieht diese Gefahr der Grenzüberschreitung: „Immer dann, wenn fremde Menschen mit einem Kind Berührungen austauschen, besteht grundsätzlich mehr Gefahr, dass Grenzen überschritten werden.“ Zumal es keine externe Kontrollinstanz gibt, welche die Mitarbeiter des Vereins überprüft. Deshalb sollte „Original Play“ in Südtirol „ehr nicht“ angeboten werden, so Cagol. Zumindest nicht solange eine positive Wirkung nicht belegt ist und keine Standards für die ausführenden Mitarbeiter festgelegt werden. „Dieser Körperkontakt kann auf eine so unkontrollierte Art und Weise geschehen, dass ich es nicht für sinnvoll erachte, „Original Play“ in Kindergärten, Kitas oder im Rahmen von Workshops anzubieten.“ Anfang Dezember wird im Vereinshaus Oberbozen ein Workshop mit dem Titel „Sich ganz einlassen – Original Play und Achtsamkeit für Familien mit Steve und Christian Heitzer und Nicole Balej“ angeboten. Bereits 2013 wurden „Original Play“-Workshops für Kinder und Jugendliche im Südtiroler Kinderdorf abgehalten.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (19)

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  • brutus

    …wenn die Leit spinnen
    gebn sie Zoachn!

  • sabine

    wir früher haben untereinander gerauft und sind auch normale Menschen geworden……versteh nicht, was das soll, Original Play; diese modernen linksliberalen Erziehungspilosophien und deren dämliche Auswüchse gehören auf den Müll der Geschichte; Kinder gehören zu anständigen, liebenswürdigen und hilfsbereiten Menschen erzogen und dazu braucht es diesen Mist sicher nicht!!

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