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„HGV und Bauernbund regieren Südtirol“

Der ehemalige KlimaHaus-Papst Norbert Lantschner hat gute Chancen, für die Grünen in die römische Kammer einzuziehen. Wie er um die erste Luftmessstation auf der Autobahn gekämpft hat. Und: Warum er von Arno Kompatscher enttäuscht ist.

TAGESZEITUNG Online: Herr Lantschner, werden Sie am 5. März ein Onorevole sein?

Norbert Lantschner (lacht): Hoffen wir es. Die Aussichten sind zwar gering …

Kenner der komplizierten Wahlrechtsmaterie stufen Ihre Chancen, ins römische Parlament gewählt zu werden, als durchaus hoch ein …

Jeder sieht den Wasserstand im Glas unterschiedlich. Es wird mit Sicherheit nicht leicht, aber wir haben eine Chance. Diese wollen wir wahrnehmen. Aus demokratischer Sicht ist es wichtig, mit Ideen und Inhalten anzutreten, die sich klar von den großen Parteien unterscheiden. Was uns sicherlich auch hilft, ist das Gefühl der Leute, dass von Demokratie nicht mehr viel übrig ist. Es wurde ein Wahlgesetz gezimmert, dass in Südtirol nur eine Tür offenlässt – für die SVP! Und es stößt vielen Menschen sauer auf, dass fünf von sechs Personen schon ihren Fahrschein nach Rom feiern können, obwohl sie keinen Euro für den Wahlkampf ausgegeben und die Wahlen noch gar nicht stattgefunden haben. Mit Demokratie hat das nichts mehr zu tun.

Wie grün ist Norbert Lantschner?

Ich bin immer eingetreten für Energie, Umwelt- und Klimaschutz. Ich habe mich den Großteil meines Berufslebens mit diesen Themen auseinandergesetzt. Ich erinnere mich noch gut, wie ich als Landesbeamter raufen musste, dass eine Luftmessstation auf die Autobahn kommt. Dabei ist diese große Verkehrsachse hauptverantwortlich für die Luft- und Lärmsituation in Südtirol.

Norbert Lantschner (Foto: Karl Oberleiter)

Schlussendlich wurde die Messstation aufgestellt?

Ja, aber die Interessensgruppen haben damals alles getan, um es hinauszuzögern. Heute donnern pro Jahr 2,2 Millionen Lkw plus elf Millionen Pkw über diese Achse. Wenn man diese 2,2 Millionen Lkw in einer Schlange aufstellen würde, dann würde diese 44.000 Kilometer lang sein. Das ist eine Erdumkreisung! Wir wissen, wir kritisch bei uns in Südtirol der Luftaustausch ist. Wir wissen, dass die Umweltgifte die Lebenserwartung der Menschen verkürzen …

Sie wollen damit sagen …

… dass ich mich immer schon für sogenannte grüne Themen eingesetzt habe. Ich war der erste Beamte in der Landesverwaltung, der den Ankauf von Dienstfahrrädern angeregt hat. Es hat sage und schreibe zwei Jahre gedauert, bis die bürokratischen und rechtlichen Hürden überwunden und diese Idee umgesetzt werden konnte.

Ihr Wahlkampfthema?

Das große Defizit auf nationaler Ebene ist, dass über die größte Herausforderung dieses Jahrhunderts, den Klimaschutz, praktisch nicht gesprochen wird. Dabei sind die Wirtschaft und auch die Banken längst alarmiert …

Wovon leiten Sie das ab?

Beim Weltwirtschaftsforum in Davos, das jetzt beginnt, werden die Umweltrisiken als Hauptrisiken angesehen. In Italien sind Mobilität, Klima, Landwirtschaft und Energie kein Thema.

Wie politisch ist Norbert Lantschner? Als Gemeinderat in Bozen sind Sie nicht durch Hyperaktivität aufgefallen?

Der Gemeinderat ist primär ein Ort der Verwaltung, wo nicht die großen Weichen gestellt werden. Ich habe mich aber sehr wohl eingebracht, indem ich, beispielsweise, unsere grüne Stadträtin unterstützt habe, als es um die Autobahn, um die Tram oder um Themen wie Müllvermeidung ging. Klar: die Einflussmöglichkeiten im Gemeinderat sind sehr begrenzt, auch weil wir als Minderheit in einer Koalition sind. Wir machen das Machbare.

Als Onorevole …

Auf nationaler Ebene wäre es anders. Ich bin seit Jahrzehnten als Experte in Sachen Energie und Klimaschutz unterwegs. Diese Bereiche werden in den nächsten 20, 30 Jahren in Europa die größte Rolle spielen. Es geht darum, die Weichen zu stellen für eine neue, nachhaltige Wirtschaft.

Sie waren zuerst Direktor des Landesamtes für Luft und Lärm. Dann Leiter der Klimaagentur. Als solcher wurden Sie abgesetzt. Was ist damals wirklich passiert?

Es war das übliche Spiel, in dem es um Neid und Eifersucht ging. Ich habe diese Faktoren völlig unterschätzt. Ich hatte geglaubt, dass es genügt, Kompetenzen zu haben. Diese Kompetenz wurde der KlimaHaus-Agentur auf nationaler und internationaler Ebene immer wieder bescheinigt. Das politische Ränkespiel habe ich außer Acht gelassen, das war ein Fehler. Aber im Nachhinein sieht man, was aus der Agentur geworden ist …

Was?

Da leuchtet überhaupt nichts mehr. Die Agentur ist heute ein Landesamt, wobei von der ursprünglichen Vision einer nachhaltigen Bauwirtschaft nichts oder nur mehr wenig übriggeblieben ist. Da ist das Schlimmste, was einem innovativen Projekt passieren kann.

Welche Rolle sähen Sie in Rom für sich?

Man kann nicht nur Südtirol sehen, man muss das ganze Land sehen. Ich möchte den Menschen verständlich machen, dass sie sich in einer Wohnung im Erdgeschoss, auch wenn es ihnen guten geht, nicht wohlfühlen können, wenn es in den oberen Stockwerken brennt. Es ist eine nationale Wahl, Themen wie Energie und Klima wären die großen Herausforderungen, sie spielen aber im Wahlkampf keine Rolle …

Was schlimm ist?

Ja, denn Italien muss laut den EU-Vorgaben in diesen Bereichen noch gewaltige Aufgaben erfüllen. Und diese Themen sind eng gekoppelt mit der sozialen Ungleichheit. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich in Italien immer weiter. 10 bis 12 Prozent der Menschen besitzen 75 Prozent des materiellen Reichtums. Das bedeutet, dass auch das Steuerrecht unter die Lupe genommen werden muss, um eine Trendumkehr zu schaffen.

Würden Sie im Falle Ihrer Wahl den Vollblutpolitiker machen?

Ja.

Wenn es mit Rom nicht klappt, werden Sie dann im Herbst für den Landtag kandidieren?

Ich konzentriere mich zunächst auf diese Herausforderung, nach dem Motto: Ein Schritt nach dem anderen. Ein Marathon besteht aus vielen Schritten.

Sie kennen die Landespolitik aus Ihrer Zeit als Spitzenbeamter beim Land. Was hat sich unter Arno Kompatscher verändert?

Ich habe Hoffnungen in das Neue, in Arno Kompatscher gesetzt. Ich habe gehofft, dass sich etwas ändert. Aber diese Hoffnungen haben sich leider nicht erfüllt. Ich finde, dass das Land festgefahren ist. Es hat sich in Südtirol eine Eigendynamik entwickelt, die von Interessensverbänden vorangetrieben wird. Ich denke da insbesondere an die Landwirtschaft und an den Tourismus, die das Land in der Hand haben …

Sie sagen: Südtirol wird von der Tourismus- und Landwirtschaftslobby , sprich: vom HGV und vom Bauernbund regiert?

Ja.

Was ist an dem Gerücht dran, dass Sie und Brigitte Foppa nicht gut miteinander können?

Das erste Mal, das ich das höre.

Ein blödes Gerücht?

Ja.

Wie werden die Wahlen in Italien ausgehen?

Das Wahlgesetz wurde so gemacht, dass man nicht erwarten kann, dass wir am 5. März oder zwei Wochen später eine Regierung haben werden. Ich hoffe sehr, dass sich die Menschen, wenn sie am 4. März in die Wahlkabine gehen, die Frage stellen: Wie soll es in diesem Land weitergehen? Welche Chancen haben meine Kinder? Der PD wird deutliche Einbußen ertragen müssen, weil er als Linkspartei wenig zu sehen war und sich auch im Umwelt- und Klimabereich zu wenig engagiert hat. Diese Rechnung wird der PD bezahlen müssen.

Und Berlusconi?

Bei Berlusconi erlebt man wohl die letzten Ausgeisterer eines Dinosauriers. Die Grillini sind mit ihren Forderungen und Inhalten nicht glaubwürdig. Allgemein gilt, dass die Rechtsparteien immer nur die Interessen der Reichen vertreten haben. Wir brauchen endlich eine Gleichgewichtung, ein Umverteilung.

Wäre Südtirol reif für eine SVP-Grünen-Regierung?

Es wäre höchst an der Zeit, dass die sogenannten grünen Themen nicht nur mit Worthülsen besetzt oder in Sonntagsreden angesprochen werden, sondern dass man sie mit Inhalten füllt. Wir könnten unseren Beitrag leisten.

Interview: Artur Oberhofer

 

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Kommentare (34)

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  • andreas

    Aha, der selbsternannte Messias fürs Klima möchte also auch an den Futtertrog und die Steigbügel werden ihm von den Grünen gehalten.

  • prof

    Aber es ist schon klar,daß Herr Lantschner mit Hilfe von einigen Obrigen und der SVP von seinem Arbeitsplatz hinausgeekelt wurde.

    • andreas

      Und das wohl zu Recht.

    • leser

      das mag stimmen aber lantschner sollte auch nicht vergessen, dass er anfangs auch hineingehievt wurde genau von diesem apparat, den er jetzt in ansätzen ansägt
      er schmückt sich mit klimakompetnez, ich finde sich als kompetent zu bezeichnen ist wohl sehr relativ und vor allem wenn diese worte aus beamten kommen, lantschner war ein beamter und das ein gut bezahlter
      wenn man kompetent ist im bürokratischen handeln haisst noch lange nicht, dass man etwas von der technik versteht und diese ist im klimahaus von anfang an wohl etwas fragwürdig gestartet
      aber das ist auch wahlkampf jeder klopft sich selber am meisten auf die schulter in der hoffnung ein paar soldaten hinter sich zu bekommen
      und wie lantschner schon gesagt hat, damit die 10% ihre schäfchen ins trockene bringen können
      messiase haben ein volk noch nie gerettet

  • tiroler

    Als Trittbrettfahrer nach Rom. Das scheint sehr „in“ zu sein

  • morgenstern

    …, und ewig lockt der öffentliche Futtertrog.

    • leser

      ja genau, denn das ist das futtertrog , in das die von lantschners zitierten 10% des vermögensbesitz ihre bosamen hineinschmeisen und die von den leuten in form von politikern herausholen können
      und das nennt man noch demokratie

  • george

    Richtig gegen jede normale menschliche Gesellschaftsform und jegliches ordentliches Benehmen, wie sich hier wieder einmal die meisten ausrichten.

  • andreas69

    …nachhaltigen Bauwirtschaft? wie bitte? Genau der Lantschner redet von nachhaltig? Wohl eher nachhaltiges Self-Promoting! Er hat die Klimahausagentur geopfert für seine persönlichen Ziele!

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