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„Auch Südtirol darf abstimmen“

Daniel Turp, Professor für Internationales Recht an der Universität Montreal, verteidigt das Unabhängigkeits-Referendum in Katalonien. Und er sagt: Auch Südtirol habe das Recht, frei über seine Zukunft abzustimmen.

Tageszeitung: Herr Professor Turp, Sie haben das Referendum in Katalonien vor Ort miterlebt. Welchen Eindruck hatten Sie von der Abstimmung?

Daniel Turp: Ich würde mich am liebsten immer noch in Katalonien aufhalten, weil sich dort zurzeit wirklich interessante Entwicklungen abspielen. Aus beruflichen Gründen musste ich aber am Montag nach Kanada zurückreisen. Mein Eindruck ist der, dass die Katalanen ein demokratisches und friedliches Referendum organsiert haben, in dem die Menschen frei über die eigene Zukunft entscheiden konnten. Die Position Spaniens, wonach die Katalanen kein Recht auf eine solche Abstimmung hätten, halte ich für sehr erstaunlich. Jeder demokratische Staat müsste doch dafür sein, wenn die Bürger ihre eigene Zukunft bestimmen wollen.

Die spanische Polizei ist am Sonntag teils gewaltsam gegen die Unabhängigkeits-Bewegung vorgegangen. Wie haben Sie das rigorose Vorgehen Madrids erlebt?

Ich persönlich habe keine Ausschreitungen miterlebt. Doch die Bilder, die wir von anderen Abstimmungsorten, etwa aus den Schulen, erhalten haben, sind wirklich erschreckend. Die Staatsgewalt ist am Sonntag mit übertriebener Gewalt gegen die eigene Bevölkerung vorgegangen, die nur ihr Recht auf Selbstbestimmung wahrnehmen wollte. Das ist mit nichts zu rechtfertigen.

Die spanische Zentralregierung hat das Referendum bereits für illegal erklärt. Zu Unrecht?

Das Recht auf Selbstbestimmung ist im internationalen Recht verankert und gilt damit universell für alle Völker, also auch für die Katalanen. Eine Verfassung kann diese universellen Rechte nicht einschränken, weil die Verfassung ansonsten gegen internationales Recht verstoßen würde und damit illegal wäre. Das Selbstbestimmungsrecht ist ein demokratisches Grundrecht aller Völker. Es ist die Freiheit, all das entscheiden zu können, was man will, ohne dass andere diese Freiheit einschränken können.

Sie sagen: Auch Südtirol habe ein Recht auf Selbstbestimmung?

Ja natürlich, diese Position vertrete ich seit jeher! Die Südtiroler haben das Recht, selbst darüber zu entscheiden, ob sie weiterhin Teil von Italien bleiben, zu Österreich zurückkehren oder ein unabhängiger Staat werden wollen. Das Recht auf Selbstbestimmung ist in der Charta der Vereinten Nationen sowie in den Verträgen des UN-Menschenrechtsausschusses und des UN-Ausschusses über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte verankert. Laut Artikel 1 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte aus dem Jahr 1966 hat jedes Volk hat das Recht auf Selbstbestimmung – es gibt hier keine Ausnahmen. Dieser Pakt wurde auch von Spanien ratifiziert.

Sie berufen sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Doch wann ist ein Volk ein Volk?

Das ist eine interessante Fragestellung. Ein Volk definiert sich meiner Meinung nach selbst als Volk und beruft sich dabei auf eine gemeinsame Identität, eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsame Geschichte sowie gemeinsame soziale, politische und wirtschaftliche Praktiken. Wenn die Südtiroler sagen, sie sind ein Volk und wollen selbst über die eigene Zukunft und über die wirtschaftliche, politische und soziale Entwicklung entscheiden, dann haben sie auch das Recht dazu.

Gibt es einen Ausweg aus der gegenwärtigen Krise in Katalonien?

Es braucht jetzt eine internationale und eine europäische Vermittlung. Man muss Spanien dazu bringen, an einem neuerlichen Referendum mitzuarbeiten, in dem die Katalanen unter geregelten und rechtlich einwandfreien Umständen abstimmen können. Sollte sich eine Mehrheit der Katalanen für die Unabhängigkeit aussprechen, dann muss Spanien das akzeptieren.

Sehen Sie Parallelen zwischen dem katalonischen Referendum und den beiden Referenden im Quebec?

Wir haben in den beiden Referenden von 1980 und 1995 unser Recht auf eine Abstimmung genutzt, auch wenn wir uns nicht für die Unabhängigkeit entschieden haben. Die Menschen haben sich noch nicht bereit gefühlt, die Unabhängigkeit anzustreben. Die Referenden in Quebec wurden zwar eigenständig von der dortigen Regionalregierung organisiert, sie wurden aber – im Gegensatz zum Referendum in Katalonien – von der kanadischen Zentralregierung auch als solche akzeptiert. Auch der Oberste Gerichtshof in Kanada hat in einem Urteil zweifelsfrei festgestellt, dass Quebec durchaus ein Recht auf eine Sezession gehabt hätte, wenn sich eine Mehrheit der Bürger in einer demokratischen Abstimmung für diesen Weg ausgesprochen hätte. In Schottland wäre es genauso gewesen. Auch die dänische Regierung akzeptiert, dass sich Grönland selbstständig weiterentwickeln will. Umso verwunderlicher ist deshalb die Position Spaniens. Warum hat Spanien solche Angst vor einer demokratischen Abstimmung? Das ist mir völlig schleierhaft. Denn das Recht auf Selbstbestimmung ist viel weitergehender als das Recht auf Sezession. Es beinhaltet zwar das Recht auf Sezession, doch Selbstbestimmung kann auch heißen, dass ein Volk mehr Autonomie einfordert. Die Katalanen hätten sich also nicht zwangsmäßig für die Unabhängigkeit aussprechen müssen, sondern auch sagen können, dass sie lieber bei Spanien bleiben wollen.

Wie bewerten Sie die Haltung der Europäischen Union im Katalonien-Konflikt?

Die Position der EU ist widersprüchlich. Immerhin wurden die Abstimmungen in Estland, Litauen, Lettland oder Slowenien, bei denen es ebenso um die Gründung von neuen Staaten gegangen ist, nie in Frage gestellt. Selbst die Abstimmung in Großbritannien zum Brexit wurde von der EU akzeptiert. Man kann nicht die einen Referenden als demokratisch und die anderen als illegal deklarieren. Das Recht auf Selbstbestimmung steht allen Völkern zu. Ein Staat wie Spanien, der das Referendum in Katalonien ablehnt, ist nicht demokratisch.

Interview: Matthias Kofler

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (33)

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  • andreas

    Laut Völkerrecht ist eine Sezession nur bei schweren Menschenrechtsverletzungen oder wenn ein Volk unter dem Joch einer Kolonialmacht leidet, vorgesehen.
    Beides trifft weder bei den Katalanen; noch in Südtirol zu.
    Wenn Turp meint, ein Volk definiert sich durch eine gemeinsame Sprache und Kultur, kann er weder Südtirol, Deutsch, Italienisch, Ladinisch, noch die Katalanen, Spanisch und Katalanisch, meinen oder er ignoriert dies einfach, wie es auch ein Knoll macht.

    Die Abstimmung zum Brexit ist mit dieser überhaupt nicht zu vergleichen. Dort hat ein Nationalstaat darüber abstimmen lassen, ob sie als Ganzes weiter in einem freiwilligen Zusammenschluß von eigenständigen Nationalstaaten bleiben wollen oder nicht. Eine Region ist Teil eines Nationalstaates mit einer Verfassung, in welcher eine Abspaltung ausgeschlossen wird.

    Die Katalanen schaufeln sich mit ihrem unüberlegtem Vorgehen gerade ihr eigenes Grab, die wirtschaftlichen Konsequenzen werden für sie verherend sein, wenn sie eine eigene Republik ausrufen, welche von niemanden anerkannt wird.

    • giftzwerg

      Andreas, ich achte Dich zu sehr, um zu glauben, dass Du das ernst meinst!

      • andreas

        Natürlich meine ich das ernst, entspricht auch der Rechtslage, das Recht auf Selbstbestimmung eines Volkes ist nicht bedingungslos und greift hier nicht, es gilt die spanische Verfassung, welche 1978 auch von den Katalanen mit einer großen Mehrheit angenommen wurde. Und diese erlaubt kein Referendum dieser Art.
        Das Referendum war ein Rechtsbruch, welchen kein demokratischer Staat akzeptieren kann, da es das gesamte Rechtssystem in Frage stellen würde.
        Beide Seiten sind zu stur um zu verhandeln, die Katalanen sind aber schon etwas zurückgerudert, da sie wohl selbst verstanden haben, dass sie keinerlei Unterstützung von außen und schon gar nicht von der EU zu erwarten haben. Sie würden sich isolieren, sollten sie weiter diese harte Linie fahren.
        Spanien kann die katalanische Regierung nach Artikel 155 der Verfassung absetzen und Neuwahlen ausrufen, will dies aber vermeiden, um die Situation nicht eskalieren zu lassen.
        Spanien sitzt am längeren Hebel und hat das Recht hinter sich. Die nächsten Tage werden zeigen, welcher der beiden Sturköpfe sich durchsetzt.

  • sigmundkripp

    andreas´ Meinung beruht auf der Annahme, dass Gesetzeswerke – und damit auch Verfassungen – etwas Absolutes und damit unveränderbar seien. Das kann man so sehen. Die Wirklichkeit lehrt uns, dass auch Verfassungen den Wünschen der Bevölkerungen angepasst werden müssen, und auch allenthalben angepasst worden sind.

    • andreas

      @sigmundkripp
      Nichts ist in Stein gemeißelt und alles lässt sich ev. anpassen, entweder in Verhandlungen oder mit Gewalt.
      Offensichtlich hat es mit Verhandlungen nicht geklappt, dann sollen sie sich halt die Köpfe einschlagen, wenn es anders nicht geht.
      Aber sie können doch nicht ernsthaft das gesamte Recht als Meinung abtun, da es ja angepasst werden kann. Und auch nicht nur ein paar Passagen, da sie gerade in ihr Konzept passen, das klingt doch etwas absurd oder nicht?

  • cliktrip

    @einereiner

    Punkt 3, alle sind sich einig, dass sie wegwollen….

    Hat dir das der Knoll verraten, oder wie? Bei einer Beteiligung von nur 42% sind definitiv nicht alle einig, dass sie wegwollen…

    Ich würde den Ball mal wirklich flachhalten und mich vielleicht mal mit ein paar Katalanen unterhalten, gibt auch im Pustertal einige.

  • andreas69

    Südtirol war nie ein eigener Staat. Südtirol könnte bei einer Abstimmung nur den Anschluss an Österreich fordern, aber niemals ein eigener Staat werden. Das sind Fakten, welche unsere Freiheitlichen immer verschweigen. Südtirol ist gut beraten, seine Autonomie zu verteidigen oder event auszubauen. Alles andere wäre pure Brandstifung. Man sollte aber realistisch bleiben, Italien würde das niemals zulassen.

  • cliktrip

    @unouno

    Ja, genau das glaube ich. Eine (vielleicht) schweigende Mehrheit der Katalanen ist gegen die Unabhängigkeit, aber ich habe nichts dagegen, wenn ein rechtsstaatlich gültiges Referendum mich eines besseren belehrt.
    Das letzte Woche durchgeführte Referendum war eine Farce, das wissen sogar eingefleischte Separatisten.

  • pantone

    Nur wenn schwere Menschenrechtsverletzungen vorkommen würden sowie das Volk unter dem Joch einer Kolonialmacht leidet, aber echt, würde ich es verstehen, wenn laut Völkerrecht ein Referendum zur Selbstbestimmung durchgeführt würde. Bei den Katalanen verstehe ich es echt nicht. Zudem leben in Katalonien nicht nur Katalanen, laut meinem Verständnis wurde das Referendum schon deshalb irregulär bewertet, da das Ergebnis von Seiten der Regierung bei jedem Quorum als gültig angesehen wird. Die Mehrzahl hat ja gar nicht gewählt. Wenn jetzt Katalanen unzufrieden sind, dass sie zu zu Spanien gehören, sind es umgekehrt anschließend die in Katalonien lebenden Spanier, würde dann Katalonien ein eigener Staat werden. Wer weiß, wie die ganze Sache in einer Woche aussieht. Ich hoffe, es gibt kein Blutvergießen. Würde sich das lohnen? Katalonien könnte sich die EU sowieso abschminken.
    Und in Südtirol würden wohl nie 70 % der gesamten Bevölkerung für die Abtrennung stimmen, dazu haben wohl zu wenige ein Brett vor dem Kopf!

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