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„Er ließ allen Spott von sich abprallen“

Alois Kuperion: Ein Vinschger Bauernknecht, der nach Kuhmist stank und für Karl Plattner ein „Maler von europäischem Format“ war. (Foto: Oswald Kofler)

Alois Kuperion: Ein Vinschger Bauernknecht, der nach Kuhmist stank und für Karl Plattner ein „Maler von europäischem Format“ war. (Foto: Oswald Kofler)

Alois Kuperion war ein Meraner Original, ein Bettelmaler, der für ein Glas Wein ein Bild hergab. Unter Künstlern jedoch war sein Werk überaus geschätzt. Kunst Meran widmet dem archaischen Vinschger Naturtalent eine Retrospektive. Ein Gespräch mit der Kuratorin der Ausstellung Ursula Schnitzer.

Tageszeitung: Frau Schnitzer, an Alois Kuperion erinnert Meran sich als Bettelmaler, als den Mann mit dem Rucksack, der für ein Glas Wein ein Bild hergab. Wie würden Sie ihn beschreiben?

Ursula Schnitzer: Ich habe von Alois Kuperion ein Bild, das sich aus zwei Teilen zusammensetzt: zum einen besteht dieses Bild aus Hunderten von Werken in Pastell, Aquarell, Mischtechnik oder Öl und ergibt mittlerweile ein großes Puzzle. Zum anderen habe ich mich Kuperion anhand von Erzählungen, Anekodoten, Briefen und einem Tonband-Interview nähern können. Der heitere Grundton der aus seinen Werken spricht und die Überlieferungen decken sich. Kuperion sei stets höflich und fröhlich gewesen, nie hat er auf Streiche wirsch reagiert, er ließ allen Spott von sich abprallen. Viele erinnern sich an seine freundlichen Blick und seine würdevolles Auftreten.

Antonio Manfredi beschreibt ihn als „ein altes Männlein mit struppigem weißem Bart um das aufgeweckte Kindergesicht und einer kleinen alten Staffelei am zerschlissenen Rucksack.“ Ist er den Meranern so im Gedächtnis geblieben?

Ursula Schnitzer: Viele, die sich um ihn kümmerten, behielten einen Großteil  des Geldes aus den Bilderverkäufen für sich selbst.

Ursula Schnitzer: Viele, die sich um ihn kümmerten, behielten einen Großteil des Geldes aus den Bilderverkäufen für sich selbst.

Ja, so beschreiben ihn fast alle. Durch die Gespräche, die wir im Zuge der Recherche führen konnten, konnten wir allerdings feststellen, dass den Menschen auch seine Liebenswürdigkeit und Freude an der Kunst in Erinnerung geblieben ist. Viele Leihgeber haben die Bilder nur deshalb als Leihgaben in die Ausstellung gegeben, weil sie sich daran erinnern, welche Bedeutung jedes Blatt für Kuperion hatte, mit welchem Stolz er seine Arbeiten präsentierte und niemals bettelte, ohne dafür ein Bild zu geben.

Die Meraner kennen zahllose Anekdoten über ihn. Welche charakterisiert ihn am besten?

Zwei Anekdoten beschreiben ihn bzw. sein Werk sehr treffend. Kuperion kam in den 1950er Jahren über einen Zeitraum von rund fünf Jahren jeden Sonntag zum Köfelgut in Kastelbell und bat um ein Mittagessen. Familie Pohl hat ihm immer ein Essen gegeben. Eines Tages kam er am Nachmittag zum Gasthof Unterwirt und hat dort Kaffee und Kuchen bestellt. Als er aufgefordert wurde, seine Konsumation zu bezahlen, meinte er, das würde der Herr Pohl vom Köfelgut bezahlen, der habe ihm heute nämlich keine Nachspeise gegeben. Was seine Malerei betrifft, erzählt man sich, dass Kuperion, sobald er ein Bild signieren sollte, immer verschmitzt lächelte und sagte: „Sie müssen mir schon sagen, wie sie es aufhängen wollen.“ Durch diese beiden Anekdoten können wir uns ein Bild davon machen, wie Kuperion sich durchgeschlagen hat und wie humorvoll er auf das Unverständnis das viele seinen abstrakten „Fantasien“ entgegen brachten, reagiert hat.

Viele sahen in ihm den naiven Hinterwäldler, der nach Kuhmist stank, als er nach Meran kam. Tatsächlich aber war er moderner und besser über das europäische Kunstgeschehen informiert als viele andere. Wie hat er sich dieses Wissen angeeignet?

Kuperion ist sein ganzes Leben lang viel gereist, er war sozusagen immer auf Wanderschaft. Und weil Kunst auch von Inspiration lebt, hatte er auf diesen Reisen viele Möglichkeiten sich zu inspirieren. In seinen verschiedenen handschriftlich verfassten Lebensläufen berichtet Kuperion von Rom, Florenz, der französischen Riviera, Wien und Innsbruck und erzählt auch, dass er dort Museen und Ausstellungen besucht hat. Darüber hinaus berichtet er auch, dass er die Werke der großen Meister in Kunstkalendern und Zeitschriften gesehen hat. In Meran und Bozen gab es in diesen Jahren bereits eine rege Ausstellungstätigkeit, Kuperion besuchte diese Ausstellung mit großem Interesse.

Eine Malschule hat er nie besucht. War er das sprichwörtliche archaische Naturtalent, das sich alles selber beibrachte und alles aus sich selbst schöpfte oder ist das ein Klischee?

Malerei von Alois Kuperion: Viele haben es später bedauert, ihre Kuperion-Bilder achtlos weggeworfen zu haben.

Malerei von Alois Kuperion: Viele haben es später bedauert, ihre Kuperion-Bilder achtlos weggeworfen zu haben.

Ich denke Kuperion war wirklich ein Naturtalent. Er hat zwar im Alter von 21 Jahren ein paar Monate lang eine landwirtschaftliche Schule in Rotholz/Tirol besucht und dort Naturstudien geübt, später, 1957, war er an der Fernakademie Paul Linke in Karlsruhe inskribiert und hat dort einen Kurs für Porträtmalerei belegt, beides bleibt in seinem Werk jedoch ohne sichtbaren Niederschlag. Zu seinen abstrakten Landschaftsbildern, den „Fantasien“, sei er „von seinem inneren Gefühl ausgehend“ gekommen.

Der Bauernknecht, der für Karl Plattner ein „Maler von europäischem Format“ war – das klingt nach einer Künstlerlegende. Wie schätzen Sie als Kuratorin sein Werk im Rückblick ein?

Ich bin der Überzeugung, dass Talent und Erfolg in der Kunst nicht immer Hand in Hand miteinander gehen. Wenn Antonio Manfredi früher auf Kuperion aufmerksam geworden wäre und die geplanten Ausstellungen in Rom, Venedig und Neapel stattgefunden hätten, wäre es denkbar, dass Kuperion international bekannt geworden wäre. Seine Geschichte, sein Talent und seine Erscheinung hatten durchaus das Potential zur Künstlerlegende.

Kuperion ist zu Fuß zur Biennale nach Venedig gegangen. Stimmt es, dass er auch nach Paris zu Fuß gegangen ist?

Das lässt sich aufgrund der vorliegenden Quellen nicht bestätigen. Was den Fußmarsch zur Biennale nach Venedig 1954 betrifft, sagt Kuperion in einem Interview, dass er von Castelfranco Veneto nach Mestre gegangen ist. Kuperion ist, sofern er das nötige Geld hatte, oft mit dem Zug gereist.

Auf einer Postkarte aus Paris soll er geschrieben haben: „Es gibt hier einen Maler, der malt wie ich. Er heißt Picasso.“ Ist diese Anekdote wahr?

Für diese Anekdote gibt es keine konkreten Anhaltspunkte. Picasso hat schon in der Zwischenkriegszeit verschiedene große Ausstellung gehabt, es gab genug Möglichkeiten, auf ihn aufmerksam zu werden. Nach der großen Picasso-Ausstellung auf der Biennale 1948 war Picasso in aller Munde. In Meran war der Austausch mit anderen Künstlern und Literaten rege, die Bibliotheken von Intellektuellen wie Antonio Manfredi waren mit den neusten Kunstpublikationen und Zeitschriften ausgestattet – ich denke Pablo Picasso war auch für Kuperion ein Begriff.

Anfang der 1960er Jahre wurde er in Italien eine Berühmtheit. Gina Lollobrigida soll ihm sogar einen Kuss gegeben haben. War sein Alkoholismus Schuld daran, dass er den Durchbruch letztlich doch nicht geschafft hat?

Kuperion war 1962 bereits 71 Jahre alt, er hatte bisher ein entbehrungsreiches Leben, keine Familie, kein regelmäßiges Einkommen und trank zu viel. Die große Nachfrage nach seinen Bildern nach den Ausstellungen in Lugano und Mailand haben ihn gezwungen, oft Dutzende Bilder in kürzester Zeit zu malen. Beide Umstände haben ihn überfordert. Als er der Nachfrage an Bildern nicht mehr nachkommen konnte, fand der Kuperion-Hype ein Ende noch bevor Kuperion den großen Durchbruch schaffen konnte.

Sein malerisches Werk umfasst an die 1.500 kleinformatige Bilder. Viele davon wurden weggeworfen oder als Heizmaterial verwendet. Wie viele Werke von ihm gibt es noch?

Das ist schwer zu sagen, auch die Anzahl von 1.500 ist nur eine Schätzung. Ich habe im Zuge der Vorbereitungen für die Ausstellung rund 300 Bilder gesehen, eben so viele wird es sicher noch geben und einige Hunderte sind es wohl, die in den letzten 60 Jahren verloren gegangen sind. Viele Sammler sind erst über die großen Artikel von Antonio Manfredi in „Gente“ oder „Rivista Pirelli“ hellhörig geworden und haben bedauert, ihre Kuperion-Bilder achtlos weggeworfen zu haben.

Kuperion war in Künstlerkreisen hoch geschätzt und zuletzt waren seine Bilder auch sehr begehrt. Dennoch starb er verarmt und vereinsamt. Warum?

Trotz seines Erfolges in den frühen 1960er Jahren ist Kuperion sehr arm geblieben. Seine erste Ausstellung in Meran hatte ihm seine Freunde organisiert, damit er seine Mietschulden im Goldenen Löwen bezahlen hatte können. Auch danach erhielt Kuperion oft nur einen sehr kleinen Teil aus dem Verkauf seiner Bilder. Viele, die sich um ihn kümmerten, behielten einen Großteil des Geldes aus den Bilderverkäufen für sich selbst. Als Kuperion 1962 ins Meraner Altersheim kam, hat ihm seine Freiheit wohl sehr gefehlt und das hat sich auch auf seine Schaffenskraft ausgewirkt.

Gibt es sein Grab noch oder wurde es gestört, weil niemand dafür bezahlt?

Das Grab von Kuperion im Städtischen Friedhof von Meran gibt es nicht mehr, es wurde 1983 aufgehoben. Allerdings gibt es in der Nähe der Friedhofskapelle noch zwei Gedenktafeln, eine für Kuperion und die andere für Fritz von Herzmanovsky Orlando.

Interview: Heinrich Schwazer

 

Malen ist mein Lebensinhalt

Zum 50. Todestag des Malers Alois Kuperion arbeitet Kunst Meran das Werk des Vinschger Wandermalers auf.

Anlässlich des 50. Todestages von Alois Kuperion findet vom 10. Oktober 2015 bis zum 10. Januar 2016 bei Kunst Meran eine große Retrospektive über das Leben und Werk des Vinschger Wandermalers statt, der am 17. Januar 1966 starb. Kuperion (1891–1966), der seine Kindheit und Jugend zuerst im Vinschgau und dann in Österreich verbracht hatte, war er nach dem Zweiten Weltkrieg nach Südtirol zurückgekehrt. Nach Jahren in Kastelbell hat er in den 1950er-Jahren schließlich Meran zu seiner Wahlheimat auserkoren. In den 1950er-Jahren ist es ihm gelungen, eine abstrakte Malerei zu entwickeln, deren Farbensinn, Intuition, Komposition und Unbekümmertheit die Anstrengungen zur Überwindung der Gegenständlichkeit vieler Zeitgenossen übertraf und für eine ganze Reihe einheimischer Künstler prägend war. Dank 40 privater Leihgeber ist es gelungen, rund 100 seiner besten Werke in der Ausstellung zu vereinen. Insgesamt wird sein Werk wohl an die 1.500 kleinformatige Bilder umfasst haben. 500 bis 600 davon sind bis heute in Südtiroler Privatbesitz, Hunderte wurden weggeworfen und viele werden wohl im Familienbesitz von „Meran-Urlaubern“ als Erinnerung an Meran und seine Promenaden aufbewahrt.

Die Monografie Alois Kuperion, Hrsg.: Kulturreferat der Stadt Meran in Zusammenarbeit mit Kunst Meran, 207 Seiten, 120 Abbildungen, mit Texten von Eva Maria Baur, Paul Preims, Ursula Schnitzer und neuen biografischen Erkenntnissen erscheint im Raetia Verlag. Kuratorin der Ausstellung ist Ursula Schnitzer.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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