Du befindest dich hier: Home » News » Der Frost

Der Frost

Eiszeitstimmung im Landtag: Wie die Opposition dem LH bei seiner Wiederwahl die Leviten gelesen hat. Und warum die „Verteidigungsreden“ der SVP-Vertreter und ihrer rechten Verbündeten für Arno Kompatscher zum Bumerang geworden sind.

von Matthias Kofler

Um 15:21 Uhr gibt Landtagspräsident Sepp Noggler das Ergebnis bekannt: 19 Abgeordnete haben in einer offenen Wahl für Arno Kompatscher als neuen (und alten) Landeshauptmann gestimmt, 16 dagegen. Damit hat die Rechts-Koalition aus SVP, Freiheitlichen, Fratelli d’Italia, Lega und La Civica, die auf dem Papier genau diese 19 Stimmen zählt, ihre erste große Hürde gemeistert.

Doch die Kür Kompatschers, seine dritte und damit letzte, vermag nicht einmal in den eigenen Reihen echte Begeisterung und Aufbruchstimmung zu wecken – eigentlich ein wesentliches Merkmal neuer Regierungskonstellationen. Abgeordnete, die schon länger im Haus sind, sagen, dass die Atmosphäre im Landtag frostiger denn je sei. In den vergangenen Wochen und Monaten war viel vom Unmut der Zivilgesellschaft über die rechtslastige Regierung die Rede. Das einzige Zeichen dieses Unmuts ist am Donnerstag eine Installation, die von der Bewegung „No Excuses“ vor dem Landesparlament aufgebaut wurde. Über einen Lautsprecher wird ein Tonband abgespielt. Außer dem Fratello Marco Galateo, der aufmerksam die Aufschriften durchliest, sind keine Menschen zu sehen.

Im Plenarsaal ist es ruhig, man hätte eine Nadel fallen hören können. Proteste von den Zuschauertribünen bleiben aus. Die Opposition nutzt ihre Wortmeldungen, um Kompatscher öffentlichkeitswirksam die Leviten zu lesen. Alle Dämme scheinen gebrochen. Sven Knoll wirft dem LH vor, eine Koalition mit Faschisten einzugehen und weist auf die massive Polizeipräsenz hin, unter der die Sitzung stattfinde. Dabei steht nur ein einziges Carabinieri-Auto vor dem Landtag. Brigitte Foppa sagt mit zittriger Stimme, dass man Kompatscher seine Rolle als Garant für Werte nicht mehr abnehme. Sandro Repetto ist der Meinung, dass die Werte-Präambel des Koalitionsprogramms genauso gut mit KI hätte geschrieben werden können. „Unser Land braucht mehr Zuversicht – Sie strahlen diese nicht aus“, meint Thomas Widmann, der der SVP im Streit mit dem LH den Rücken gekehrt hat und jetzt mit einer Ein-Mann-Fraktion im Landtag sitzt. Und Jürgen Wirth Anderlan tönt: „Meine wunderbare Heimat hat vor wenigen Jahren noch in der europäischen Champions League gespielt, mittlerweile sind wir im Zwiebelaufschneidkurs angekommen. Vielen Menschen kommen nur noch die Tränen bei der Unfähigkeit einiger Politiker hier im Haus. Herr Kompatscher, Sie sind nicht die Lösung der Probleme dieses Landes, sondern das Hauptproblem.“

Der respektvolle Umgang zwischen politischer Minderheit und Mehrheit, wie er unter Luis Durnwalder und lange Zeit auch unter Arno Kompatscher üblich war, gehört der Vergangenheit an. Der Regierungschef, der auch durch Selbstverschulden viel von seiner Autorität verloren zu haben scheint, bleibt die ganze Zeit stoisch auf seinem Stuhl sitzen. Man sieht dem Völser an, wie schwer es ihm fällt, diese – wie er sagt – „emotionale, teils untergriffige Kritik“ zu ertragen. „Ich halte das schon aus, keine Sorge“, versichert Kompatscher und sinniert, dass gar einige „mit ihm beleidigt oder von ihm enttäuscht“ seien. Aber selbst die vermeintlichen Verteidigungsreden seiner Fraktionskollegen wirken oft deplatziert. Kompatscher habe „Schwächen, aber viele Vorzüge“. Er sei der „richtige Mensch zur richtigen Zeit“, meint Rosmarie Pamer.

Fraktionschefin Magdalena Amhof schlägt in dieselbe Kerbe: „Kompatscher hat zehn Jahre lang die Verantwortung für alles übernommen und dafür auch viel persönliche Zeit geopfert, daher gebührt ihm auch mehr Respekt.“ Andere, wie Daniel Alfreider, Luis Walcher und Harald Stauder, erwähnen die Wahl Kompatschers nur am Rande und erinnern an die großen autonomie-, wirtschafts- und sozialpolitischen Leistungen, die die SVP in den letzten Jahrzehnten groß gemacht haben: Ein erster Abgesang auf Kompatscher und ein Ausblick auf die Zeit nach ihm?

Unangenehm sind dem LH aber auch die Reden der neuen rechten „Verbündeten“. Während der zähen Verhandlungen, bei denen es hauptsächlich um Posten ging, war es nicht möglich, einen Teamgeist oder ein solides Vertrauensverhältnis aufzubauen.Christian Bianchi, Marco Galateo und Anna Scarafoni treffen erst mit sieben Minuten Verspätung im Landtag ein. Kompatscher deutet verärgert auf seine Armbanduhr. Während der Völser nicht müde wird zu betonen, dass die SVP für Kontinuität stehe und die Politik der Vergangenheit fortsetzen wolle, sagen die Rechten das Gegenteil. Diese Koalition sei ein „absolutes Novum“, das Ergebnis eine „Synthese“, meint FdI-Fraktionschefin Scarafoni. Das Mikrofon von Ulli Mair funktioniert zunächst nicht. Es sei „verteufelt“, spielt die Freiheitliche auf das von der Opposition so oft verwendete Sprachbild des „Paktes mit dem Teufel“ an, den die SVP hier eingegangen sei.

Für Ulli Mair ist die neue Konstellation eine „Chance“, die sich Südtirol nicht entgehen lassen dürfe. In dieser „Arbeitskoalition“ würden die für die Umsetzung konkreter Maßnahmen sorgen. Vor der Abstimmung ergreift erneut Arno Kompatscher das Mikrofon: „Wenn man schwimmt, wird man nass – und wenn man regiert, läuft es nicht immer so, wie man will“, sagt er. Dennoch: Die Wahl des Landeshauptmannes liege voll im Zeitplan. Selbstkritik ist seiner Meinung nach nicht angebracht. Dass die neue Mehrheit und er selbst in den letzten Wochen kein gutes Bild abgegeben haben, nach den öffentlichen Querelen und gebrochenen Versprechen: Kein Wort. Auf den Bänken von SVP, Freiheitlichen und Co. gibt es verhaltenen Applaus. Nach der Wahl überreicht Sepp Noggler dem LH einen Blumenstrauß. Er bedankt sich bei seiner Frau und seiner Familie für die Unterstützung und sagt, dass es für sie in den letzten Jahren nicht einfach gewesen sei. Es sei eine „große Ehre, für dieses wunderbare Land zu arbeiten“, sind Kompatschers letzte Worte an diesem denkwürdigen Tag.

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (27)

Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen

Du musst dich EINLOGGEN um die Kommentare zu lesen.

2025 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen