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„Enthält nicht viel Neues“

Verena Wisthaler vom Zentrum für Migration und Diversität der Eurac findet im Koalitionsprogramm nicht viel überraschend Neues. Vor allem aber im Bereich der Integration ist es deutlich vorsichtiger formuliert als frühere Programme.

Tageszeitung: Frau Wisthaler, im aktuellen Koalitionsprogramm steht: „Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung hat aufgrund verschiedener Entwicklungen der letzten Jahre, insbesondere auch durch unkontrollierte Zuwanderung, gelitten.“ Wie ordnen Sie diese Aussage ein?

Verena Wisthaler: Die Aussage passt gut zu dem, was im Wahlkampf vermittelt wurde, dass es in Südtirol ein Sicherheitsproblem gibt. Aber gibt es das wirklich? Es gibt bestimmte Orte in zwei bis drei Städten, wo es immer wieder zu Momenten der Unsicherheit oder auch des Zusammentreffens von Faktoren kommt, die das Sicherheitsgefühl unterwandern. Aber allgemein würde ich nicht sagen, dass Südtirol ein Sicherheitsproblem hat. Im Programm ist dieser Punkt eng an die unkontrollierte Zuwanderung gebunden. Vor allem die Südtiroler Freiheit hat massiv mit Sicherheitsproblemen Wahlkampf gemacht und eben auch mit diesem Zusammenspiel. Es wird suggeriert, dass Südtirol ein Sicherheitsproblem aufgrund unkontrollierter Zuwanderung hat. Dem ist aber nicht so. Auch weil die Zuwanderung nicht ausschlaggebend ist für die Sicherheit. Zuwanderung hat viele Facetten und es gibt viele verschiedene Arten der Zuwanderung.

In der Landesregierung wird künftig ein Regierungsmitglied mit den Themen der Gewaltprävention und der öffentlichen Sicherheit betraut werden. Was halten Sie von dieser Einrichtung?

Dieser Landesrat soll ein Ansprechpartner für staatliche Organe sein, die Koordination übernehmen zwischen Landes-, Staats- und Stadtpolizei, was erstmal eine gute Idee ist. Man könnte sich aber auch fragen, ob das in Richtung Symbolpolitik geht, weil ein Landesrat für Sicherheit diesem Thema natürlich auch ein wenig mehr Gewicht gibt, aber das Thema der öffentlichen Sicherheit grundsätzlich Kompetenz des Staates ist.

Mindestens einmal jährlich soll eine Landessicherheitskonferenz mit Vertretern des Landtags und unter Einbeziehung auch der Gemeinden stattfinden. Gab es diesen Austausch bislang nicht?

Ausgehend vom Landtag oder einem Organ der Provinz gibt es das bisher nicht, sondern wenn dann ausgehend von der Quästur, also einem staatlichen Organ. Somit versucht man hier vielleicht auch, die Verantwortung selbst in die Hand zu nehmen oder auch mehr Einfluss auf staatliche Organe zu nehmen.

Vor allem möchte die künftige Regierung weiterhin viel in die Präventionsarbeit investieren. Dabei soll der Fokus besonders auf „Jugendlichen mit mangelnder Integrationsbereitschaft“ liegen. Sind denn hauptsächlich sie für Gewalt und die Zerstörung öffentlichen und privaten Eigentums verantwortlich?

Es stellt sich die Frage, wer denn Jugendliche mit mangelndem Integrationswillen sind. Was wird hier suggeriert? Es ist zwar eine gute Idee, marginalisierte Gruppen oder auch Jugendliche mit schwierigem sozioökonomischen Status oder mit schwierigem Bildungsstatus mehr Fokus zu geben und mehr Unterstützung anzubieten. Der Hintergrund der gewaltbereiten Jugendlichen muss aber nicht unbedingt und ausschließlich mit Migration zu tun haben.

Leistungen sollen den Migranten vermehrt als Sachleistung zukommen. Will man damit einem Missbrauch von Geldern den Riegel vorschieben?

Dies ist angeknüpft an den Grundsatz „fordern und fördern“, den die SVP schon seit vielen Jahren immer wieder zentral in ihrem Integrationsverständnis aufgreift, und der 2023 so umgesetzt wurde, dass einige zusätzliche Sozialleistungen, die provinzspezifisch sind und im Rest von Italien nicht vergeben werden, für Personen aus Drittstaaten an das Erlernen einer Landessprache und den Besuch eines Wertekurses geknüpft wurden. Bei der Umsetzung gab es in der Anfangsphase einige Schwierigkeiten. Ich nehme an, das Voucher-System soll diese Schwierigkeiten beseitigen. Man möchte die Umsetzung dieser Politik wohl verbessern oder einfacher gestalten.

Wie würden Sie das Programm bewerten? 

Grundsätzlich ist nicht so viel Neues im Programm. Es fehlt eine Vision, wohin es gehen soll. Neu ist, dass jetzt auch die Wirtschaft eine gewisse Verantwortung tragen soll für die Integration – vor allem mit dem Schwerpunkt Wohnen. Die Wirtschaft ist jener Bereich, der unter dem Fachkräfte- oder Arbeitskräftemangel leidet und somit mehr Menschen aus dem Ausland anziehen möchte. Somit finde ich es gut, dass auch die Arbeitgeber sich Gedanken darüber machen müssen, dass diese Menschen eben nicht nur Arbeitskräfte sind, sondern auch Teil der Gesellschaft werden und somit auch andere Bedürfnisse haben. Das ist ein durchaus  positiver Punkt im Koalitionsprogramm. 2013 wurden Migranten im Programm als „neue Mitbürger und als Teil der Südtiroler Gesellschaft“ bezeichnet. Es gab also ein sehr inklusives Verständnis von Migration. 2018 gab es einen Hinweis darauf, dass „die Vielfalt aller Sprachen und Kulturen einen Mehrwert darstellt“. Migration und Integration findet man dort unter dem Punkt „Friedliches Zusammenleben“. Diese Hinweise auf die positiven Aspekte von Migration, auf den Mehrwert von Vielfalt fehlen im aktuellen Programm. Es ist vorsichtiger und mahnender formuliert.

Interview: Sandra Fresenius

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (9)

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  • brutus

    …eine Schlussfolgerung ist schon mal falsch:
    „Es gibt bestimmte Orte in zwei bis drei Städten, wo es immer wieder zu Momenten der Unsicherheit kommt!“
    …aber noch nie würde in meiner Nachbarschaft soviel eingebrochen, und ich wohne alles andere als in der Stadt!

  • robby

    Zentrum für Migration und Diversität Aha. Sowas braucht Südtirol also. Wer hat da wohl einen Job gebraucht?

  • artimar

    Die staatliche Politik Zuständigkeit ist das Problem. Die Südtiroler Einwohnerschaft hat die Folgen zu tragen.
    Südtirol als Sonderverwaltungszone müsste Einwanderung selbst regeln. Katalonien macht es vor. Katalonien ist ein wegweisendes Beispiel. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass Spanien erst ab 1978 begann, wieder zu demokratischen Verhältnissen zurückzukehren.
    In Südtirol hat man selbst die eh nur wenigen Bestimmungen nach über 77 Jahren Schutzübereinkommens im Rahmen des Pariser Friedensvertrags von 1946 nicht umgesetzt und zu totem Recht verkommen lassen. Dazu gehört auch die völlige Gleichstellung des Deutschen mit dem Italienischen. Statt Deutsch als völkerrechtlich gleichgestellte Amtssprache ist sie weiterhin Hilfssprache, mit allen damit verbundenen negativen Folgen, auch bei Integrationsbemühungen in Südtirol, wo Sprachkenntnisse (A2) auf Deutsch bei der Zuerkennung eines Daueraufenthaltstitels nicht zählen usw. Dass bei dieser (diskriminienden) Ungleichwertigkeit der Einwohnerschaft auch die Akzeptanz schwindet, Migranten aufzunehmen, verwundert da nicht ganz.

    • heracleummantegazziani

      Die Akzeptanz der Migranten hat mit den von Ihnen geschilderten Aspekten absolut nichts zu tun. Die schwindende Akzeptanz der Migranten hat ausschließlich mit der pauschalen Vorverurteilung bestimmter Parteien zu tun. Sippenhaft im 21 Jhd: Da dürfen sich FdI, Freiheitliche, STF und Co. nicht wundern, wenn sie in die Nähe der rechtsextremen Ideologien gerückt werden, die den größten Flächenbrand der Geschichte ausgelöst haben.

      • artimar

        Objektiv hat Akzeptanz sehr wohl mit Integration und Inklusion zu tun. Das sagen uns alle Erfahrungsberichte und Studien. Wieso also nicht Integrationsbemühungen in Südtirol anerkennen, wo Sprachkenntnisse (A2) auf Deutsch bei der Zuerkennung eines Daueraufenthaltstitels nicht zählen?

  • 2xnachgedacht

    @hera

    kann man so stehen lassen… und dann wie gewohnt, das große *aber*
    für die entfachung des feuers, zeigen sich allerdings andere kreise verantwortlich.

  • dn

    Die Leute wählen rechts, weil sie das ganze linksgrüne Gelabere satt haben (und was hat es dem normalen Bürger gebracht?). Wer in dieser Blase sitzt, kann das nicht verstehen.

    • heracleummantegazziani

      Genau, Sie sitzen in der Blase und haben nichts verstanden. Sogar Meloni, die seit jeher pauschal gegen die Migranten wettert und sie am liebsten im Mittelmeer treiben sehen würde, hat ausgesagt, dass Italien rund 500.000 Migranten benötigt, um das Land am Laufen zu halten (das ist es was es dem normalen Bürger bringt), weil sonst niemand bestimmte Arbeiten in Industrie, Dienstleistung und Landwirtschaft verrichten will. Das hängt sie natürlich nicht an die große Glocke und die ganzen Tölpel bekommen das nicht mit.
      Die Herausforderung ist es, zweifelhafte Gestalten herauszufiltern und die anderen Integrierungswilligen zu integrieren. So lange so ein Volldepp wie Salvini in der Regierung sitzt, wird das aber nicht gelingen.

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