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„Schwierige Prognosen“

Was bringt das Jahr 2024 für die Wirtschaft? WIFO-Direktor Georg Lun erklärt, warum Unsicherheit für die Wirtschaft Gift ist und ob die hohen Zinsen wieder sinken werden.

Tageszeitung: Herr Lun, Corona-Krise, Inflation und hohe Zinsen – die letzten Jahre waren aus wirtschaftlicher Sicht keine einfachen. Blicken Sie zuversichtlich ins neue Jahr? 

Georg Lun: Die wirtschaftliche Ausgangssituation ist durchwachsen. Es ist eine leichte Abschwächung der Konjunktur zu verzeichnen, wobei wir aus einer Phase kommen, wo es in verschiedenen Bereichen wirklich Hochkonjunktur gab – ich denke da beispielsweise an den Bausektor oder den Tourismus, wo wir in Südtirol über mehrere Jahre eine Hochphase nach der Pandemie hatten. Jetzt hat sich die Situation normalisiert und dazu beigetragen haben natürlich auch die hohen Zinsen und die Inflation.

Die Inflation ist zuletzt wieder deutlich gesunken. Worauf ist dieser Rückgang zurückzuführen? 

Diese Inflation wurde hauptsächlich durch die hohen Energiepreise ausgelöst und dieser Effekt ist jetzt beim Abklingen. Auch die Zinsen, die von der EZB entsprechend angehoben wurden, haben dazu geführt, dass die Nachfrage eingeschränkt wurde und dadurch die Aktivität zurückgegangen ist, was sich wiederum auf die Inflation auswirkt. Die hohen Zinsen führen dazu, dass verschiedene wirtschaftliche Projekte schwerer umsetzbar sind und entsprechend wird weniger gebaut und investiert, was auch dazu führt, dass sich die Preise beruhigen – die Politik der Zentralbank hat also gewirkt.

Aber in einigen Bereichen wie z.B. bei Lebensmitteln spüren die Leute nach wie vor, dass alles teurer ist. Werden die Preise auch hier wieder sinken?

Meistens dauert es länger, bis diese Effekte wirken. Das hat man bei der Inflation gut gesehen: Die Zinsen sind im Frühjahr gestiegen, aber erst jetzt in den letzten Monaten hat man die Auswirkungen auf die Inflation gespürt. Aber natürlich ist und war die Nachfrage in Südtirol auch wegen des Tourismus schon immer hoch und das spürt man vor allem im Wohn- und Lebensmittelbereich, wo trotz der veränderten Rahmenbedingungen die Preise weiterhin hoch sind. Für Südtirol ist deswegen durchaus zu erwarten, dass eine gewisse Differenz zum gesamtstaatlichen Inflationswert bestehen bleibt.

Auch wenn die EZB den Leitzins zuletzt nicht weiter erhöht hat, liegt er mittlerweile bei 4,5 Prozent. Wie hat sich diese Situation auf die Betriebe ausgewirkt?

Neue Investitionen, wo Geld aufgeliehen werden muss, werden durch die hohen Zinsen teurer. Wir sehen jetzt zwar noch keinen massiven Effekt dieser Zinspolitik, aber man sieht eine leichte Beruhigung – aber das war die beabsichtigte Wirkung der EZB. Die Schwierigkeit bei Zinserhöhungen ist aber, dass wir aufgrund von anderen Faktoren, wie dem Ukraine-Krieg, Lieferengpässen und internationale Verwerfungen wirtschaftliche Schwierigkeiten in Europa haben, die die Tätigkeit der Betriebe belasten.

Glauben Sie, dass sich diese Situation heuer wieder beruhigen wird? Werden die Zinsen wieder sinken?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Zinsen weiter erhöht werden, weil man jetzt eine Wirkung dieser Maßnahme sieht. Ein weiteres Problem ist in diesem Zusammenhang ja auch die Staatsverschuldung, weil die Situation auch für die Staaten bei hohen Zinsen deutlich schwieriger wird. Wenn es nicht notwendig ist, wird die EZB sicher versuchen die Zinsen wieder zu senken – große Zinssprünge nach unten erwarte ich mir nicht, ich denke eher, dass man auf diesem Niveau stabil bleiben wird.

Der Arbeitsmarkt hat sich in fast allen Bereichen gut erholt. Wird gutes Personal zunehmend schwieriger zu finden sein?

Die Lage ist insgesamt schwierig, aber das betrifft nicht nur Südtirol, sondern ganz Europa. Wir haben einen demografischen Wandel, wir haben sehr viele Kohorten, die jetzt in Pension gehen und wo es schwierig ist, Ersatz zu finden, weil zu wenig junge Leute nachkommen. Das ist natürlich in allen Ländern ein Problem, aber bei uns, wo wir eine verhältnismäßig gute Konjunktur haben, ein entsprechend größeres. Ich glaube deswegen, dass es auch in Zukunft schwierig sein wird, Mitarbeiter zu finden.

In diesem Zusammenhang wird häufig auch die Diskussion um höhere Löhne geführt. Müssen die Löhne steigen?

Wir haben einen Arbeitsmarkt, wo die Arbeitnehmer die Marktmacht haben, sie sind gefragt und können entsprechend Forderungen stellen. Deswegen ist sicher nicht nur der Lohn eine Variable, die flexibel sein kann, sondern auch andere Elemente, wie Teilzeit, flexible Arbeitszeiten usw. Das gesamte Paket ist entscheidend und natürlich ist auch die Entlohnung ein wesentlicher Punkt.

Wenn Sie das ablaufende Jahr mit den Prognosen für das heurige vergleichen, was sticht dabei heraus?

Die Prognosen sind seit einiger Zeit sehr schwierig, schwieriger als vorher, vor allem weil die internationale Lage so unsicher ist. Wir haben verschiedene Krisenherde auf der Welt, haben Angriffe auf Frachtschiffe beim Suezkanal, wo man nicht weiß, wie sich diese auf den Welthandel auswirken werden, wir haben eine Krise in Israel, verschiedene Wahlen, die anstehen – also ich würde sagen, dass die Konjunktur-Diskussion sicher von diesen internationalen Entwicklungen dominiert wird. In Südtirol sind die Rahmenbedingungen insgesamt verhältnismäßig stabil, aber natürlich gilt es auch die unsicheren Rahmenbedingungen außerhalb zu berücksichtigen und diese erschweren Prognosen.

Das heißt, der Wirtschaft steht wieder ein Jahr mit vielen neuen Herausforderungen bevor…

Davon gehe ich aus. Man muss nicht pessimistisch in die Zukunft schauen, aber man muss wach bleiben und auf die Entwicklungen kurzfristig reagieren. Die Unsicherheit ist unser täglicher Begleiter und für wirtschaftliche Tätigkeit ist diese Unsicherheit eigentlich Gift.

Interview: Lisi Lang

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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